Köln – Es heißt, der Mensch wachse mit seinen Aufgaben. Eine Weisheit, die auf den Schweizer Publizisten Ernst Reinhardt zurückgeht. Der, als er diesen Aphorismus verfasste, mit Sicherheit nicht an eine solche Herausforderung dachte, wie sie in diesen Tagen die Spieler des 1. FC Köln zu bewältigen haben – nämlich, das, was Peter Stöger als „positiven Stress“ bezeichnet, zu verarbeiten.
Der Trainer hat seiner Mannschaft nach dem 3:0-Sieg über den Hamburger SV zwei Tage freigegeben, erst am Mittwoch beginnt die Vorbereitung auf das Auswärtsspiel gegen Eintracht Frankfurt (Samstag, ab 18 Uhr im Liveticker auf ksta.de). Und, nun ja, warum das Ganze? „Für uns ist das schon intensiv, nicht nur als körperliche Geschichte. Es prasselt viel auf die Jungs ein“, sagte Stöger, und er meinte damit nicht die durch den DFB-Pokal zuletzt erhöhte Spielfrequenz. „Ich bin ein Freund davon, ihnen mal Luft zum Atmen zu geben, und ich bin ein Freund davon, mal eine Einheit zu streichen“, sagte Stöger, „wenn ich meine, dass es vielleicht nicht so sehr hilft, wenn sie 70 Minuten bei uns trainieren, wie, dass sie mal die Köpfe freibekommen und alles ein bisschen aufarbeiten können, um dann in Richtung Samstag noch mal alles zu mobilisieren.“
Rezept für erfolgreiche Zeiten
Das öffentlichkeitswirksame Erwartungshaltungsmanagement haben die Kölner Verantwortlichen in den vergangenen Wochen zurückgefahren, der Tenor lautet jetzt: Jeder, der es mit dem FC hält, soll sich einfach freuen, solange der Aufschwung keine nachhaltigen Rückschläge erfährt. Mit Blick auf seine Spieler sagt Stöger dann aber eben auch: „Wir haben jetzt eine gute Serie und wollen alles mitnehmen. Aber wahrscheinlich hat jede Bundesliga-Mannschaft irgendwann mal auf einem Champions-League-Platz oder einem Europa-League-Platz gestanden. Wenn wir im Mai dort stehen, dann werden wir es verdient haben. Aber bis dahin haben wir eben noch einiges zu tun. Ich weiß, dass das auf die Burschen zukommt, deshalb: ein bisschen Luft rausnehmen, Akku aufladen, Köpfe freikriegen.“ So lautet das Rezept.
Einer, der sich darüber freut, ist der Mann der Stunde in der Mannschaft der Stunde. „Wir haben uns riesig gefreut, als er uns nach dem Spiel gesagt hat, dass wir erst am Mittwoch wieder trainieren“, sagte Anthony Modeste, der den Sieg über den HSV mit einem Hattrick sicherstellte. Durchaus eine wichtige Resonanz.
Schließlich ist Modeste einer derjenigen, auf die es besonders ankommt, wenn es darum geht, auf welchem Tabellenplatz der FC im Mai stehen wird. Elf Tore und eine Vorlage weist er nach neun Ligaspielen auf, darüber hinaus je ein Tor in den beiden bisherigen DFB-Pokal-Partien. Diese Werte und das Auftreten des Franzosen, sein gigantisches Selbstverständnis gepaart mit der noch immer wachsenden Coolness – das alles lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Stürmer einen Lauf hat, wie er ihn vermutlich nie wieder erleben wird. „Er trifft wie gemalt“, sagte Jörg Schmadtke, und, ja: Nahezu jede Ballannahme gelingt, jeder Abschluss, sogar aus Zweikämpfen geht Modeste häufig als Sieger hervor.
Modeste und der Jetzt-erst-recht-Impuls
Ein entscheidender Unterschied zur vergangenen Saison besteht in seinen Reflexen auf Misserfolg: Haderte Modeste früher mit sich, seinen Mitspielern oder dem Schiedsrichter, wenn ihm etwas nicht gelang, so entwickelt er mittlerweile zumeist einen Jetzt-erst-recht-Impuls, der ihn antreibt, seinen Gegenspieler nach Ballverlusten hinterherzujagen und den nächsten Abschluss nach einer vergebenen Chance noch konzentrierter zu gestalten. Er schieße die Tore nur für den Erfolg der Mannschaft, sagte Modeste, und: „Ich bin keine One-Man-Show.“ Aber zuletzt war er eben doch die One-Man-Show des 1. FC Köln.
Spiel für Spiel weist der Franzose nach, dass seine Unverzichtbarkeit so immens ist, dass die Kölner sehr gut daran getan haben, ihn mit einem neuen, höher dotierten Vertrag bis 2021 auszustatten. Dass Modeste über einen Wechsel nach China nachgedacht haben soll, nimmt ihm längst niemand mehr übel. Die Frage ist ohnehin, ob ein Fan des 1. FC Köln dem Mann, der die vergangenen sieben Ligatore der Stöger-Elf erzielt hat, überhaupt etwas übelnehmen kann.