Der tiefe Fall des einst großen Bayern-Widersachers hat tragische Züge.
Otto Rehhagel begründete eine Ära, in der Titel und Stars die Regel waren.
An Trainer Florian Kohfeldt wurde das Schicksal des ganzen Klubs festgemacht.
Köln – Das Schicksal der alten deutschen Städte Köln und Bremen hat eine direkte historische Verbindung in der Zeit des neunten Jahrhunderts. Von 805 bis 870 war das Bistum Bremen dem Erzbistum Köln unterstellt, ehe es dann unter großem Protest aus dem Rheinland selbst zum Erzbistum ernannt wurde. Seitdem haben sich Köln und Bremen nicht mehr sehr umeinander kümmern müssen. 300 Kilometer Luftlinie haben genügt, um die Geschichtslinien dieser Siedlungen gebührend auseinander zu halten.
Im Frühsommer 2020 führt sie der Fußball direkt zusammen. Wenn der 1. FC Köln am Samstag im Bremer Weserstadion sein letztes Spiel der Saison gewinnt, muss der SV Werder unabhängig von den Geschehnissen auf den anderen Plätzen absteigen. Für den deutschen Fußball wäre das ein großer Einschnitt. Er würde einen seiner renommiertesten Vereine an die Zweitklassigkeit verlieren. Werder hat mehr Spiele in der Bundesliga absolviert als alle anderen Klubs. Die Partie gegen den FC trägt in dieser Liste die Zahl 1900.
Ein einziges Jahr hat der SV Werder seit 1963 im Unterhaus des deutschen Fußballs zugebracht. Es war in der Saison 1980/81. Der Schaden wurde schnell repariert. Otto Rehhagel startete im März der Aufstiegsspielzeit als Nachfolger des wegen nachlassender Gesundheit ausgeschiedenen Kuno Klötzer seine Bremer Erfolgsgeschichte. Mit der Verpflichtung des Zweitliga-Torjägers Rudi Völler begann an der Weser 1982 eine Personalpolitik, die ihrer Zeit voraus war. Werder wurde zum Klub, den keiner als Star betrat, aber viele als Stars verließen. Manche blieben für immer.
„Werder Bremen ist ein anderer Verein, er hat eine besondere Eigenschaft. Das bestätigen uns immer wieder Leute, die hier herkommen und uns über längere Zeit beobachten. Wir haben eine gewisse Eigenart behalten, irgendwie sind wir hier schon noch auf einer kleinen Insel“, hat Thomas Schaaf kurz vor der Meisterschaft 2004 in einem Gespräch mit dieser Zeitung gesagt. Er beschrieb damit die von Otto Rehhagel begründete Philosophie, auf der alle Werder-Erfolge beruhten: Eine Wagenburgmentalität geprägt von Fleiß, Demut, Zusammenhalt und Deich-Idylle.
Die Namen der Profis, die in den Erfolgsjahren unter Otto Rehhagel (1982 – 1995) und Thomas Schaaf (1999 – 2010) in der familiären Hansestadt zu Top-Spielern wurde, könnten ein Album füllen. Bruno Pezzey, Karl-Heinz Riedle, Frank Rost, Dieter Eilts, Uwe Reinders waren nach Rudi Völler die Stars der frühen 80er-Jahren, in denen dieser Verein zum Widersacher des großen FC Bayern aufstieg. 1987/88, als der 1. FC Köln unter Christoph Daum sein spektakuläres Zwischenhoch begann, gelang dem SV Werder die erste Meisterschaft nach dem Titel von 1935. Die Mannschaft wurde schon von modernen Spielern wie Rune Bratseth, Thomas Schaaf und Karl-Heinz Riedle geprägt.
Unter dem kongenialen Manager-Trainer-Duo Willi Lemke/Otto Rehhagel wurde die Auseinandersetzung mit den Bayern zum Klassenkampf stilisiert. Weitere Titel folgten: 1991 der Sieg im DFB-Pokal im Elfmeterschießen gegen den 1. FC Köln, 1992 der Gewinn des Europapokals der Pokalsieger, 1993 dank der vielen Tore des überragenden Neuseeländers Wynton Rufer erneut die Meisterschaft, 1994 wieder der DFB-Pokal-Sieg. Es war die Ära von sich in Individualität und Teamfähigkeit ergänzenden Profis wie Andreas Herzog, Marco Bode, Dieter Eilts und Mirko Votava. Sie endete mit einer gewaltsamen Aktion. Der FC Bayern München hatte 1995 genug davon, ständig gegen Otto Rehhagel zu verlieren und verpflichtete den Trainer, obwohl alle hätten wissen müssen, dass er nicht an die Säbener Straße mit ihren großen Egos passte. Nach zehn Monaten wurde Rehhagel entlassen.
Werder brauchte vier Jahre, um sich davon zu erholen. Der Sieg im DFB-Pokal 1999 unter dem Rehhagel-Schüler Thomas Schaaf war der Beginn der zweiten Erfolgsphase, die bis 2010 dauerte und weitere Titel und Stars hervorbrachte. Höhepunkt dieser Geschichte war das Double 2004. Fünf Jahre später folgte mit dem Gewinn des DFB-Pokals (1:0 über Leverkusen) der bis heute letzte Triumph. Die Protagonisten dieser Epoche hießen Johan Micoud, Ailton, Torsten Frings, Miroslav Klose, Claudio Pizarro, Mesut Özil, Diego und Per Mertesacker, mit dem die Ära der echten Bremer Stars endete.Der SV Werder hat in seiner gewollten Beschaulichkeit die erste digitale Zeitenwende des Internet und Handys noch ausgehalten. Aber als die Smartphones kamen und die sozialen Medien und das ganz große Geld der Champions League, wurden die Bremer von der Zeit überholt. Die Tragik der letzten Etappe des Verfalls liegt im Versuch, auf Werder-Art das Gute zu tun, wo es wahrscheinlich nicht mehr möglich ist. Nach der schlechtesten Vorrunde der Vereinsgeschichte hielt die Familie um Marco Bode (Klubchef) und Frank Baumann (Sportdirektor) an Trainer Florian Kohfeldt fest, in dem man die moderne Fortsetzung der Linie Rehhagel – Schaaf sehen wollte. Dass der Kader nach dem Abgang von Max Kruse nicht mehr passte, dass die Leistungen immer finsterer wurden, blendete man aus. Das ganze Schicksal des Klubs wurde an der Person des sympathischen Trainers festgebunden. Und das Beste, was er jetzt noch erreichen kann, ist die Relegation, in der ein Duell mit dem ewigen Nord-Konkurrenten Hamburger SV droht.
Die grün-weiße Dynastie steht vor dem Fall. Der 1. FC Köln kann sie am Samstag mit einem Sieg beenden.