Köln – Eigentlich habe er ja „bei Sieg direkt reingehen“ wollen, gab Markus Gisdol später zu Protokoll, doch dann hatte man ihn noch abgefangen auf dem Rasen des Dortmunder Stadions; hatte ihn gedrückt und geherzt und beinahe abgeküsst, jedenfalls sah es danach aus, als Gisdol in den Armen seines Assistenztrainers Frank Kaspari lag, seinem Gefährten seit gemeinsamen Jugendtagen in Geislingen an der Steige. Sportchef Horst Heldt klammerte sich ebenfalls an den Kölner Cheftrainer, voller Glück: 2:1 bei Borussia Dortmund – nach langer Zeit war endlich die Erleichterung über den 1. FC Köln gekommen.
Extrem unwahrscheinlicher Sieg
Statistisch kann eine Bundesligamannschaft nicht jedes Spiel nicht gewinnen, doch die Wahrscheinlichkeit dafür war in Dortmund so gering wie an kaum einem anderen Ort. Seit 1991 hatte der FC nicht mehr beim BVB gewonnen, damals hatte Horst Heldt noch als Spieler für Köln auf dem Platz gestanden und der unvergessene Maurice Banach doppelt getroffen. „Ein Anfang ist gemacht, dass die Serie endlich vorbei ist und wir gezeigt haben, dass wir trotz dieses Drecksvirus nicht verflucht sind“, sagte Gisdol später, noch immer aufgewühlt von 90 Minuten Fußball im Grenzbereich, nervlich wie körperlich.
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Am 11. März, einem verregneten Mittwochabend, hatten die Kölner in Mönchengladbach das erste Geisterspiel der Bundesligageschichte absolviert und 1:2 verloren, eine Woche zuvor noch hatten sie in Paderborn vor ausverkauften Rängen den achten Sieg im zehnten Spiel eingefahren. Nur vier weitere Punkte holte der FC aus den restlichen neun Partien und nahm die Serie mit in die neue Saison: Erst am neunten Spieltag folgte nun der erste Sieg, 267 Tage waren da seit Mönchengladbach vergangen. „Wie sich die Jungs heute reingehängt haben gegen einen eigentlich übermächtigen Gegner, das war sensationell“, befand Timo Horn, der in der 87. Minute mit einem fantastischen Reflex einen Schuss des Dortmunders Mats Hummels abgewehrt hatte: „Dass es heute passiert, hätten die wenigsten geglaubt.“
Gisdol sieht „abartige Laufleistung“
Es ist üblich, dass eine Außenseitermannschaft mit wenig Ballbesitz mehr läuft als der Gegner – doch der FC spulte zehn Prozent mehr ab als die Dortmunder und durchbrach die Grenze von 120 Mannschaftskilometern. „Es war eine abartige Laufleistung“, befand Gisdol, der vor der Partie das Ende der Serie verfügt hatte: „Der Trainer hat eine sehr gute Ansprache gehalten und einen Schlussstrich unter die Zeit gezogen“, berichtete Timo Horn.
Banachs Nachfolger
Am 13. April 1991 hatte Maurice Banach die Kölner in Dortmund mit zwei Treffern in Führung gebracht, sein Nachfolger war da noch nicht auf der Welt: Ellyes Skhiri, am 10. Mai 1995 in Lunel bei Montpellier in Frankreichs Süden geborener tunesischer Nationalspieler, erzielte am Samstag die Treffer zur Kölner 2:0-Führung (9., 60.). Skhiri zeigte eine perfekte Doublette, „wir haben heute zweimal dasselbe Tor kassiert“, staunte der eingewechselte Thorgan Hazard, dem in der 74. Minute noch der Dortmunder Anschluss gelungen war. Jeweils hatte Ondrej Duda einen Eckball an den Fünfmeterraum geschlagen, wo sich Marius Wolf gegen Julian Brandt durchgesetzt und den Ball zu Skhiri an den zweiten Pfosten verlängert hatte. „Ich gehe gern auf den ersten Pfosten. Wir haben uns offensiv wie defensiv in jeden Zweikampf geworfen und damit auch die Tore erzwungen“, sagte Wolf, den die Kölner für diese Saison aus Dortmund entliehen haben. Zwar habe er darauf gehofft, ein eigenes Tor zu erzielen. Dennoch freue er sich für Skhiri, „er ist ein unheimlicher Arbeiter auf dem Platz.“
Skhiri glänzt mit unerwarteten Fähigkeiten
Bislang galt Skhiri tatsächlich beinahe ausschließlich als Muster an Laufbereitschaft in einer zum Phlegma neigenden Kölner Mannschaft. Doch gab es auch Felder, auf denen ihm Lernbedarf attestiert wurde: Zu nett sei er, laufe oft hinter seinem Gegner her, statt sich den Weg zu sparen, indem er mit einem taktischen Foul schlicht unterbricht. Außerdem sei er zu leise für einen Mann auf derart zentraler Position. Torgefahr hatte man von einem Arbeiter wie Skhiri ohnehin nicht erwartet. Dann schnappte er sich am Samstag einmal Marco Reus im Mittelfeld und sah sogar Gelb dafür. Und erzielte beide Kölner Tore. „Die Serie war wirklich übel“, sagte Skhiri später, „das Selbstbewusstsein war am Boden. Aber heute hat das Team einen guten Geist gezeigt und das Maximum gegeben.“ Der 25-Jährige wirkte von sich selbst amüsiert. Die Tore seien wirklich sehr ähnlich gewesen, „ich habe versucht, in einer guten Position zu sein. Aber es gehört auch Glück dazu, dass der Ball so durchkommt. Es war mein erstes Mal, dass ich zwei Tore geschossen habe. Ich bin glücklich, aber der Schlüssel war unser Zusammenhalt.“