Der Mönchengladbacher Mittelfeldspieler spricht vor dem Derby mit dem 1. FC Köln über Rivalität, seinen ZDF-Job und ein Tagebuch.
Großes Interview vor dem FC-DerbyChristoph Kramer: „Köln ist eigentlich ein cooler Verein“
Christoph Kramer ist Mittelfeldspieler bei Borussia Mönchengladbach. Der 32-Jährige war zuvor für Bayer 04 Leverkusen und den VfL Bochum aktiv. Zwischen 2014 und 2016 spielte er insgesamt zwölf Mal für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, mit der er in Brasilien Weltmeister wurde. Bei der WM 2018, der EM 2021 und der WM 2022 war Kramer für das ZDF als Experte im Einsatz.
Im Interview erklärt er, wie er zum 1. FC Köln steht, wenn es am Sonntag (15.30 Uhr/ Liveticker auf ksta.de) ins Derby geht. Er erklärt außerdem, welche Derbys ihm in Erinnerung geblieben sind, zum Beispiel als FC-Anhänger in Maleranzügen 2015 das Feld stürmten, da dachte Kramer: „Was ist denn hier los?“. Er selbst kämpft mit einer Tor-Flaute, aber damit kann er umgehen – zum Beispiel mit seinem Tagebuch, das er nach jedem Spiel pflegt.
Christoph Kramer über den 1. FC Köln und das Derby, seinen ZDF-Job und das Tagebuch
Herr Kramer, am Sonntag steht Ihr elftes Derby mit Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln an.
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Christoph Kramer: Wie ist meine Bilanz?
Sechs Siege, ein Unentschieden und drei Niederlagen. Entspricht das der gefühlten Quote?
Ja, schon. Wir hatten gefühlt viele Jahre die Oberhand. Aber dann ist es zuletzt etwas gekippt. Abgesehen natürlich vom Hinspiel.
Da gewann Mönchengladbach 5:2. An welche Derbys erinnern Sie sich besonders?
Als damals die Vermummten in Maleranzügen auf den Platz kamen, habe ich mich schon gefragt: „Was ist denn hier los?“ Und an das erste Geisterspiel. Damals wusste noch niemand etwas mit Corona anzufangen, das war gespenstisch. Wir haben gewonnen, und für mich war das Spiel besonders wichtig, weil ich es damals für möglich gehalten habe, dass die Saison nicht wieder aufgenommen wird und die Tabelle so stehenbleibt. Wir sind mit dem Sieg auf Rang vier gesprungen, daher dachte ich: Vielleicht ist das ja schon die Qualifikation für die Champions League.
Haben Sie schon in der Jugend mit Bayer 04 Leverkusen gelernt, Köln als Rivalen wahrzunehmen?
Wir haben uns mal mit einem Tor in der 90. Minute im Franz-Kremer-Stadion zur Herbstmeisterschaft geschossen. Gegen eine richtig gute Kölner Mannschaft: Mit Taner Yalcin, Stephan Salger, Christian Clemens. Für die Leverkusener ist die Begegnung Leverkusen – Köln das Derby, das war in der Jugend schon groß für uns.
Was ist der 1. FC Köln für Sie?
Das ist das Problem: Ich mag das Stadion, die Stimmung ist immer super. Ich finde eigentlich, dass Köln insgesamt ein cooler Verein ist. Allerdings habe ich bei Leverkusen, Düsseldorf und Mönchengladbach gespielt. Da wurde mir eingeimpft, dass Köln eben kein cooler Verein ist. Die Rivalität ist aber ja in erster Linie ein Fan-Ding und ja auch was Schönes. In einer anonymen Umfrage würden die meisten Fans wahrscheinlich dafür stimmen, dass der Gegner eben nicht absteigt, damit es dieses Derby gibt.
Lernt man die Rivalität in der Jugend?
Gar nicht! Wir haben ja in den Auswahlmannschaften oft miteinander gespielt, deswegen mochte man die Kölner. Man kannte sich, das fanden wir in der Jugend megacool. Von Trainerseite wurde das aber in der Jugend schon gepusht. Dann hieß es: „Heute ist Derby, Männer!“ Wie man das mit Kindern halt macht (lacht).
Wie ist aktuell die Stimmung in Ihrer Mannschaft?
Nach dem maximal enttäuschenden 2:2 gegen Bremen war es wichtig, mal etwas Pause zu haben. Ich bin ein großer Freund davon, extrem viel zu trainieren, wenn es läuft. Aber wenn es nicht läuft, so wenig wie möglich, weil man dann sowieso nicht hier sein will. Nach der Pause ist es jetzt wieder besser.
Was würde man eigentlich bei einem Wettanbieter kassieren, wenn man auf Sie als Derby-Torschützen setzte?
Die Quote würde mich auch interessieren. Ich darf ja als Profisportler ohnehin nicht wetten. Allerdings weiß ich auch nicht, ob ich jemandem empfehlen könnte, auf mich zu setzen. (lacht)
Beim 0:0 gegen Schalke waren Sie kurz davor, ihre mittlerweile vierjährige Tor-Durststrecke zu beenden.
Mein Schuss war ja praktisch schon drin! (lacht). Yoshida springt mit allem rein, was er hat – und köpft den Ball noch aus dem Winkel. Ich dachte wirklich, dass sich etwas gegen mich verschworen haben müsste, zumal ein Tor in diesem Spiel für uns als Mannschaft sehr wichtig gewesen wäre. Jetzt warte ich halt weiter.
Gibt es mittlerweile auch Häme?
Die hält sich in Grenzen. Ich teile gerne aus, da kann ich auch einstecken.
Im Januar haben Sie Ihren Vertrag vorzeitig um zwei Jahre bis 2025 verlängert. Wollen Sie bei Borussia alt werden?
Ich freue mich sehr, dass ich hier noch bleiben darf. Stand jetzt, macht es mir alles noch riesigen Spaß. Ich kann mir vorstellen, noch ganz lange zu kicken. Ich bin ein krasses Kind des Westens, das ist meine Heimat. Dass ich meine fußballerischen Wurzeln noch mal verlasse und irgendwo anders hingehe, halte ich eher für unwahrscheinlich. Ein Wechsel rein wegen des Geldes kommt für mich ohnehin nicht infrage.
Wie lange stehen Sie noch als Experte beim ZDF unter Vertrag?
Ich mache das ja turnierweise. Bei der Europameisterschaft 2024 werde ich wieder für das ZDF im Einsatz sein, aber ich bin ja auch immer von der Rechtevergabe abhängig.
Haben Sie denn mehr Fachwissen als Ihre Kollegen?
Nein. Ich kenne Spieler, die deutlich mehr wissen. Gegen Florian Neuhaus (Kramers Teamkollege bei Borussia, d. Red.) habe ich keine Chance, Flo kennt alle Spieler aus allen Ligen. Aber es gibt natürlich auch Kollegen, die das abseits ihres Jobs nicht alles im Detail interessiert.
Ist es für Sie ein Problem, über Kollegen zu urteilen, mit denen Sie noch zusammenspielen?
Ich achte darauf, dass ich keinem richtig auf den Schlips trete. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wann und warum etwas mal nicht wie geplant laufen kann. Aber ich sage natürlich ganz klar meine Meinung, begründe sie auch und versuche, erklärende Ansätze zu finden. Ich muss aber als Christoph Kramer vom Bundesliga-Zehnten Gladbach auch nicht Spielern wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka erklären, wie man als Sechser spielt.
Im Jahr 2023 gehört es allerdings zum Anforderungsprofil eines Profifußballers, dass er auch mal Kritik aushalten muss. Man darf die Kritik allerdings nicht so an sich heranlassen, vor allem nicht die aus den sozialen Medien. Manches dort ist heute leider oft erschreckend. Und leider hören wir zu oft auf diese giftigen Stimmen. Ich versuche schon seit einigen Jahren, mir diese Meinungen nicht mehr zu Herzen zu nehmen.
Sie haben früher über jedes Spiel eine Art Tagebuch geführt. Machen Sie das immer noch?
Ja, das mache ich immer noch – per Hand. Ich habe über die Jahre schon mehrere Büchlein verfasst, einige liegen im Safe bei der Bank. Mittlerweile habe ich sie auch digitalisiert.
Was steht da so drin?
Manchmal schreibe ich nur über das Spiel, manchmal über ein süßes Kind, das mein Trikot wollte. Es bleiben immer andere Ereignisse von einem Spiel hängen. Ich versuche, das relativ frisch aufzuschreiben, manchmal mache ich mir auch erst als Gedankenstütze nur eine Handynotiz.
Es ist doch cool, wenn später zum Beispiel mein Kumpel Dominick Drexler bei mir zu Besuch ist und wir uns erinnern: „Weißt du noch damals – das Spiel bei Rot-Weiss Essen?“ Dann blättere ich nach und weiß sofort, was damals passiert ist. Oder wenn Tony Jantschke und ich uns in Zukunft treffen und ich ihm sofort sagen kann: „Weißt du noch, als damals beim Spiel in Bremen ein Junge von jedem Gladbacher Spieler das Trikot haben wollte – nur nicht von dir“?
Was soll am Montag in Ihrem Tagebuch stehen?
Auf jeden Fall schon mal: Derbysieger.