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Talent von Bayer 04Kai Havertz - Zwischen Abitur und Wembley

Lesezeit 4 Minuten

Kai Havertz im Einsatz beim Florida-Cup in Orlando gegen Atletico Mineiro.

Orlando – Es ist nicht so, dass Kai Havertz in Florida in jeder freien Minute über den Schulbüchern hängt, dafür ist er zu sehr mit seinen Verpflichtungen als fußballerisches Ausnahmetalent bei Bayer 04 Leverkusen befasst. Aber eine halbe Stunde am Tag muss er sich schon mit dem Stoff beschäftigen, aus dem er in einem halben Jahr sein Abitur bauen will.

„Sonst käme ich ja überhaupt nicht mehr mit“, sagt er. Die Lehrer schicken ihm seine Aufgaben per E-Mail. Zurzeit ist er wegen der USA-Tournee der Werkself zwar wieder einmal vom Unterricht befreit. Aber am Montag muss er wieder hin, „dann geht mein normales Leben wieder los mit Schule und Training“, sagt der 17-Jährige. Was immer das auch sein mag, das normale Leben des Kai Havertz.

Kai Havertz Karriere:

Seine Karriere jedenfalls ist bislang eine einzigartige. Deutscher B-Jugend-Meister mit Bayer 04 Leverkusen wurde er im vergangenen Jahr, nahm anschließend mit der U-17-Nationalmannschaft an der Europameisterschaft in Aserbaidschan teil. Im Sommer reiste er bereits mit den Leverkusener Profis ins Trainingslager. Und am 15. Oktober im Bremer Weserstadion schrieb er Geschichte: In der 83. Minute wechselte ihn Roger Schmidt für Charles Aranguiz ein und machte ihn mit 17 Jahren und 126 Tagen zum jüngsten je eingesetzten Bayer-Profi.

In der Woche darauf lief Havertz in der A-Junioren-Bundesliga auf, doch vom neunten Spieltag an spielte er achtmal in Folge in der Bundesliga, zudem beim 1:0-Sieg über Tottenham Hotspur vor 85000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion. Zwölf Einsätze in der Profimannschaft sind es geworden bis zu dieser Winterpause. Havertz ist immer noch 17, wird es noch ein halbes Jahr bleiben. Aber er ist längst mehr als nur ein Zaungast des großen Sports, sondern längst ein Teil davon. „Ich hätte nie geglaubt, dass das alles so schnell gehen kann. Auf einmal in Wembley zu stehen. So schnell geht’s. Darüber kann ich mich einfach nur freuen“, sagt er.

Abi-Schnitt im Dreierbereich reiche vollkommen

Fehlt nur das Abitur, Leistungskurse Sport und Deutsch, die lernintensivsten Fächer hat er sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht ausgesucht. „Den Abi-Schnitt setze ich nicht so hoch an. Ich will es irgendwie schaffen, Dreierbereich reicht mir vollkommen.“ Ein bisschen strengt die Doppelbelastung schon an, auch auf dem Schulhof. Er ist eine kleine Berühmtheit geworden, muss seinen Mitschülern für Fotos zur Verfügung stehen und Autogramme schreiben.

„Es hat sich viel geändert, das ist schon ein bisschen extrem geworden“, sagt er, „obwohl ich ja nicht so oft da bin.“ Was nach der Schule kommt – was er einmal werden will, wenn er groß ist? Havertz muss lachen, die Frage bekommen seine Mitschüler wahrscheinlich täglich gestellt, er dagegen eher selten: „Das ist einfach zu beantworten: Fußballprofi“, sagt er, „das war immer mein Traum“.

Dass es in diese Richtung gehen könnte, war durchaus abzusehen. Sein Großvater spielte mit Jupp Derwall zusammen, dem Nationalspieler und späteren Bundestrainer. „Mein Opa saß früher mit mir auf der Wiese und hat mir die Bälle zugeworfen. Meine Familie ist generell schon ziemlich fußballverrückt“, sagt Havertz.

Vor sechs Jahren kam er von Alemannia Aachen an den Rhein

Der gebürtige Aachener kam über Alemannia Mariadorf und Alemannia Aachen vor sechs Jahren nach Leverkusen. Und hat sich prächtig entwickelt. Mit 1,86 Meter ein schlaksiger Teenager, den das Training demnächst zu einem Athleten machen wird. Fußballerisch gilt er als einer, der das Spiel außergewöhnlich gut begreift, ein Stratege für das Mittelfeld. Doch Havertz ist noch so jung, dass er bislang nicht auf eine Position festgelegt ist.

Ein wenig wie Benjamin Henrichs, den Roger Schmidt vor einem Jahr aus der Offensive auf die Außenverteidiger-Position versetzte und damit erst zum Stammspieler bei Bayer 04 machte – und im weiteren Verlauf des Jahres zum A-Nationalspieler. Havertz hat in der Bundesliga bereits offensiv auf dem Flügel gespielt, das zentral-defensive Mittelfeld scheint ebenfalls gut zu seiner Spielweise zu passen. Aber alles ist offen: „Mir ist es im Moment noch relativ egal, wo ich eingesetzt werde. Hauptsache, ich spiele.“

Jüngster Bayer-Profi der Geschichte

Sein Status als der jüngste Bayer-Profi der Geschichte, vielleicht gar als Wunderkind, bedeutet in der täglichen Arbeit keine nennenswerte Belastung, sagt er. „Im Umgang mit den Kollegen merke ich da nichts von. Es kommt nur auf meine Leistung an“, sagt er. Keine übertriebene Ehrfurcht vor einem Auserwählten, eher das Gegenteil: „Man muss sich anpassen als junger Spieler, auch mal die Bälle tragen.“

Er lebt also recht gut mit seiner Rolle. Allerdings scheint er nicht mehr bereit, sich wieder herausdrängen zu lassen aus dem Kader des Champions-League-Teilnehmers. Nicht freiwillig, nicht nach diesem halben Jahr: „Jetzt hatte ich ein paar Einblicke. Jetzt will ich noch mehr.“

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