Köln – Herr Vesper, was löst das legendäre Weinrot des ASV Köln bei Ihnen aus?
Michael Vesper: Der ASV ist ein ganz besonderer Verein, allein wegen der Tradition. Das habe ich schon in meiner Zeit beim DOSB bemerkt. In den vergangenen Jahren hat der ASV zwar nicht mehr ganz so viele Olympiasieger hervorgebracht. Aber wir haben immer wieder Teilnehmer gestellt, auch in Tokio. Breitensport und Spitzensport gehören zusammen, das eine funktioniert nur mit dem anderen. Es ist mir ein großes Anliegen, hier etwas zu bewegen. Zwar wurde mir gesagt, der Aufwand sei begrenzt. Aber schon jetzt zeigt sich: Es wird deutlich mehr.
Es war nicht Teil meiner Lebensplanung, nach meiner Zeit beim DOSB und fünf Olympischen Spielen, die ich begleiten durfte, Präsident eines Sportvereins zu werden. Aber dann habe ich das Fitness-Angebot des ASV entdeckt. Ich habe hier auf dem Vereinsgelände trainiert und mich einfach ungemein wohlgefühlt. Und dann kam die Frage von Günter Dibbern (zuletzt ASV-Präsident, Anm. d. Red.), ob ich mir vorstellen könnte, in den Vorstand zu gehen. Aktuell muss ich allerdings feststellen, dass die Corona-Krise leider noch immer nicht überwunden ist, daher ist unser Vereinsleben weiterhin stark eingeschränkt.
Wie haben Sie im Verein die Corona-Krise erlebt?
In einer Zeit, in der man schon wieder in die Kneipe und ins Restaurant gehen konnte, war der Sport weiterhin sogar draußen für Kinder verboten. Das war völlig kontraproduktiv, ein riesiger Verlust für die Kinder und Jugendlichen, die ihren Sport nicht mehr betreiben konnten. Da stand der Sport am Ende der Nahrungskette – und hat auch selbst zu wenig Kraft entwickelt, um öffentlich sichtbar zu machen, dass da etwas falsch läuft. Das war bitter.
Sie schließen den Sport in Ihre Kritik ein?
Ja, der Sport hätte sich deutlicher artikulieren müssen. Andere haben das getan. Die Kultur zum Beispiel war besser zu vernehmen. Deutschland ist meines Erachtens gut durch die Krise gekommen. Doch das Feintuning war falsch. Dazu gehört für mich, den Sport im Freien zu verbieten. In der Phase mit sehr hohen Inzidenzen mag das gerechtfertigt gewesen sein. Aber als die Öffnungen kamen, hätte der Sport viel früher bedacht werden müssen.
Wie erleben Sie jetzt die Rückkehr des Sports als Faktor in einer Gesellschaft, die lange Zeit auch in ihrer Bewegung extrem eingeschränkt war?
Ich erlebe, was ich zuletzt auch beim 1. FC Köln im Stadion gesehen habe: Eine ganz große Erleichterung und Freude. Das sind Gänsehautmomente. Es ist tröstlich, zu sehen, was der Sport auslösen kann. Beim ASV ist es so, dass wir noch nie einen solchen Zulauf im Kinder- und Jugendbereich hatten wie jetzt. Man sieht einfach die Sehnsucht nach echter Bewegung, nicht nur nach virtueller auf dem Bildschirm. Wir müssen die Jugend wieder von der Couch holen. Wir haben hier bei uns auf der Anlage so viele glückliche Menschen. Das richtet auch den Blick auf die Vereinslandschaft, die wir in Deutschland haben. Das gibt es nur in ganz wenigen Ländern. Hier entdeckt man Talente, hier kann man sie fördern.
Wie steht der ASV aktuell da? Der Verein kommt aus finanziell ziemlich schwierigen Zeiten.
Wir waren in neun der vergangenen 15 Monate geschlossen. Es gab zwar zeitweise ein paar Möglichkeiten für Kinder unter zwölf und in Kleingruppen. Aber sechs Monate lang durfte hier gar nichts passieren. Die meisten Mitglieder hatten großes Verständnis und ein Gefühl dafür, dass man in einer solchen Krise nicht einfach geht. Ich habe eine große Grundsolidarität erlebt, daran sieht man, dass wir ein Verein sind. Dennoch haben wir Austritte. Die haben wir aber in einem Verein von dieser Größe immer. Schmerzhaft war, dass wir in einer solchen Phase natürlich keine Vereinseintritte hatten. Das ist nicht spurlos an uns vorbei gegangen. Aber wir haben Unterstützung bekommen, die Hilfen haben uns erreicht. Wenn es so bleibt wie jetzt, bin ich zuversichtlich, dass der Verein die Krise gut überstehen wird. Wir haben viel geschafft und befinden uns nun auf einem soliden Weg.
Der Fußball dominiert das öffentliche Interesse. Was kann der ASV unternehmen, um die Sichtbarkeit zum Beispiel der Leichtathletik zu erhöhen? Früher gab es das ASV-Sportfest im alten Müngersdorfer Stadion.
Wir sollten versuchen, so etwas wieder auf die Beine zu stellen.
Ein großes Sportfest mit bekannten Leichtathleten?
Moment! Sportfest, groß, mit bekannten Athleten – das sind aus meiner Sicht drei Stufen. Ich fände es sehr gut und ambitioniert, wieder ein Sportfest auf die Beine stellen zu wollen. Das hat aber auch eine finanzielle Dimension: Vor vier Jahren hatte der ASV Köln sehr große Verbindlichkeiten, wir haben diesen Trend mittlerweile aber umgedreht. Wir werden absehbar schuldenfrei sein, und weil wir ein Verein sind, werden wir dann nach Wegen suchen, unsere Überschüsse im Sinne des Sports einzusetzen. Ein Sportfest, das den Sportlern die Möglichkeit gibt, sich zu präsentieren, und Spitzensport für die Zuschauer erlebbar macht, wäre da ein schönes Ziel.
Gibt es da schon Planungen?
Wir sind noch am Anfang. Aber wir sind auf einem guten Weg, auch wenn noch eine harte Strecke vor uns liegt. Stand heute sehe ich nicht, dass wir ein Sportfest im Südstadion mit 10 000 Zuschauern auf die Beine stellen können. Ich wüsste nicht einmal, ob es klug wäre, eine solche Veranstaltung dann überhaupt „Sportfest“ zu nennen, denn der Begriff ist in Köln einfach mit den großen ASV-Sportfesten im Müngersdorfer Stadion verbunden. Aber ein Leichtathletikfest hier bei uns auf der Anlage, bei dem dann durchaus ein Leistungsniveau auf nationaler Ebene sichtbar würde: Das würden wir gern machen. Das liegt ja auch im Interesse der Verbände. Daher fällt mir kein Grund ein, warum so etwas in Köln nicht perspektivisch denkbar wäre.