Top-Ausbildung und eine Flut an Stars – die französischen Nachbarn haben den deutschen Fußball längst überholt.
Freundschaftsspiel am Dienstag„Flick Flop“ – Frankreich staunt über den Verfall der DFB-Elf
Es gab eine Zeit, da staunten französische Fußballanhänger über die Konstanz der deutschen Nationalmannschaft. Noch in ihrer Montag-Ausgabe zählt die Sportzeitung „L'Equipe“ die sensationelle Bilanz von DFB-Teams bei WM-Turnieren auf, die neben vier Titeln auch noch unglaubliche 13 Halbfinal-Teilnahmen seit 1934 beinhaltet, Weltrekord. Begegnungen von französischen und deutschen Teams boten zudem lange eine Bestätigung für den in Frankreich weiterhin geltenden Lehrsatz, wonach im Weltfußball primär die Deutschen zu fürchten sind, die einfach immer gewinnen, wenn es nötig ist, vor allem gegen Frankreich.
So war es im Halbfinale der WM 1982, als Frankreich in der Verlängerung von Sevilla schon mit 3:1 führte, aber im Elfmeterschießen doch noch scheiterte. So war es vier Jahre später ebenfalls in der Vorschlussrunde, als ein durchschnittliches deutsches Team die favorisierten Franzosen mit 2:0 schlug. Und so war es 2014, als Mats Hummels mit einem Kopfball das WM-Viertelfinale von Rio mit 1:0 für die Deutschen gegen die Auswahl des Nachbarn entschied.
Französischer Fußball-Historiker Dietschy zu Flick: „Das ist unglaublich“
Umso überraschter nehmen die Menschen westlich des Rheins nun den Verfall zur Kenntnis, dem dieser Mythos namens „La Mannschaft“ vor dem Testspiel am Dienstag in Dortmund ausgesetzt ist. „Damit war nicht zu rechnen“, sagt etwa Paul Dietschy, ein französischer Historiker, der sich auf die Erforschung fußballspezifischer Themen spezialisiert hat.
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Dass in Bezug auf den Fußball eine derartige Erschütterung zu vernehmen ist, vom Verband über die Leistungen der Nationalelf bis hin zur Entlassung von Bundestrainer Flick nur neun Monate vor der EM im eigenen Land – „das ist unglaublich“. Die „L'Equipe“ titelte übrigens so kurz wie passend zum Thema Rausschmiss des Bundestrainers: „Flick Flop“.
Dietschy wundert sich zudem über einen kürzlich im „Spiegel“ erschienen Artikel, der in Frankreich sehr oft zitiert wird, wonach der Nachbar in Bezug auf die Wirtschaft das bessere Deutschland sei. Dass die über 50-jährigen Franzosen nun lernen dürften, dass „wir nicht nur 1998 und 2014 Weltmeister werden konnten, sondern dass die französische Wirtschaft als Musterbeispiel in Deutschland gilt, das war in den 1970er-Jahren nicht im Ansatz absehbar“, erzählt Dietschy.
Französische Jugendarbeit ist in Deutschland ein Vorzeigeobjekt
Längst schon ist in Deutschland der französische Fußball mit seiner vorzüglichen Ausbildung ein Vorzeigeobjekt, erstmals kopiert nach der missglückten deutschen EM 2000 mit der verpflichtenden Errichtung von Nachwuchsleistungszentren bei Profiklubs. Die in den längst schon viel weiter entwickelten „Centres de formation“ ausgebildeten französischen Spieler sind überdies begehrt bei deutschen Klubs. Aktuell spielen 31 Franzosen in der Bundesliga. Sehr erfolgreich war dort auch Bixente Lizarazu bei den Bayern aktiv. Lizarazu, inzwischen TV-Experte und Co-Kommentator, sagt: „Seit der WM 2014 dümpelt die deutsche Elf vor sich hin.“
Der einstige Linksverteidiger kennt Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps sehr gut, und er weiß, dass dieser als Trainer viel Autorität ausstrahlt, und zwar auch bei seiner aktuellen Generation der Hochbegabten um Kylian Mbappé, Ousmane Dembélé, Antoine Griezmann, Kingsley Coman, Eduorad Camavinga oder Auŕelien Tchouaméni: „Die Spieler folgen ihrem Trainer blind.“ Und der habe klare Vorstellungen von dem Ausgang von Partien, denen er in Verantwortung stehend beiwohnt: „Solange Deschamps Nationalcoach ist, können Sie fest davon ausgehen, dass Frankreich jedes Spiel ernst nehmen wird, egal ob WM-Finale oder Freundschaftsspiel.“ Am Dienstag ist die Frage nach dem Favoriten schon mal klar beantwortet. Deutschland ist es nicht.