Köln – Unter den Millionen in der Pandemie bislang zwangspausierenden Amateur- und Nachwuchsfußballern gibt es einen kleinen Kreis von jungen Sportlern, die zumindest etwas Normalität erleben dürfen. Es sind die älteren Jahrgänge im Juniorenbereich der Profiklubs, die sich unter Einhaltung von Hygienekonzepten im Trainingsbetrieb befinden – tatsächlich gemeinsam auf dem Rasen und nicht via Videokonferenz mit Hanteln und anderen Geräten im eigenen Wohnzimmer.
Doch auch wenn die U-17- und U-19-Fußballer immer wieder von ihren Trainern auf ihre privilegierte Stellung hingewiesen werden – viele der jungen Sportler sind von Zukunftsängsten geplagt. Sie befinden sich in ihrer Ausbildung hin zum Wunschberuf Fußballer in den Abschlussjahrgängen. In dieser entscheidenden Phase fehlt ihnen nun ein Kernstück der Entwicklung: der Wettbewerb. Die Junioren-Bundesligen sind seit Ende Oktober unterbrochen. Weitergehen könnte es, so ist die vage Hoffnung der Verantwortlichen, Mitte April. Gerade im U-19-Bereich ist das ein massives Problem. Knapp ein halbes Jahr konnten sie sich dann nicht für Vereine aus dem bezahlten Fußball präsentieren. Könnte der 2002er-Jahrgang eine verlorene Generation werden?
Stefan Ruthenbeck, U-19-Trainer des 1. FC Köln, sieht vor allem ein großes Problem für die zweite Reihe. „Die Top-Talente wird es wohl nicht treffen“, sagt der 48-Jährige. „Eher, die, die sonst andere Wege gehen. Über die Regionalliga oder Dritte Liga. Welche Mannschaft verpflichtet quasi ungesehen einen U-19-Spieler, der so lange keinen Wettkampf bestritten hat?“ Aus Ruthenbecks aktueller A-Jugend haben Top-Talente wie Jan Thielmann und Tim Lemperle Profi-Verträge beim FC erhalten. Weil es ein insgesamt starker Jahrgang sei, könnten die Auswirkungen in Köln verzerrt sein, glaubt Ruthenbeck. „Deutschlandweit werden es aber vermutlich weniger Spieler aus dem 2002er-Jahrgang in den Profi-Bereich schaffen. Viele werden sich umorientieren müssen“, sagt der Trainer. Zumal jene Spieler bereits den ersten Corona-Lockdown im Frühjahr, damals noch als jüngerer A-Jugend-Jahrgang, miterlebt haben und nicht spielen durften. „Wir wissen um die Problematik und begleiten die Jungs“, sagt Ruthenbeck. „Wir haben Netzwerke und versuchen, die Jungs zu vermitteln. Wir möchten allen gerecht werden, wissen aber auch, dass es schwierig ist.“
Während es beim 1. FC Köln mit der U21 in der Regionalliga noch eine Art Auffangbecken gibt, hat sich Bayer 04 Leverkusen vor einigen Jahren entschieden, diese Zweitvertretung abzuschaffen. Seitdem ist die U19 der direkte Unterbau der Profi-Mannschaft. Die Lücke zum Seniorenbereich ist deshalb noch größer, ohnehin gelingt in Leverkusen der direkte Sprung in die Bundesliga meist nur Auserwählten – wie zuletzt Kai Havertz oder Florian Wirtz. Für die anderen muss der Umweg über das Ausland oder untere Ligen herhalten. Der nun durch die Unterbrechung des Spielbetriebs ein sehr steiniger ist – Scouting ist kaum möglich. „Wir führen Einzelgespräche und wollen den Jungs die Angst nehmen“, berichtet Sven Hübscher, seit Jahresbeginn A-Jugend-Trainer in Leverkusen. „Im Training versuchen wir, sie besser und interessant für andere Vereine zu machen. Sie müssen jede einzelne Einheit nutzen und danach sagen: «Heute bin ich besser geworden.«“ Der 1. FC Köln und Bayer 04 streben in der A-Junioren-Bundesliga West nach Top-Platzierungen.
Viktoria und Fortuna Köln sind mit ihren Teams ebenfalls regelmäßig in der Nachwuchs-Eliteklasse vertreten, für sie geht es aber primär um den Klassenerhalt. Doch eint die jungen Spieler aller Bundesligisten der Traum vom Profi-Geschäft. Marian Wilhelm, Trainer von Viktorias U19, versucht, seiner Mannschaft in der Krise Optimismus zu vermitteln. „Wenn man nicht den wöchentlichen Wettkampfdruck hat, dann hat man andere Themen, mit denen man sich beschäftigen kann – wie zum Beispiel im athletischen Bereich“, sagt Wilhelm. Dass die lange Unterbrechung Auswirkungen habe, „steht außer Frage“. Bei der U19 sei der Kernpunkt, „unter Wettkampfdruck Trainingsinhalte abzurufen“. Und das ist aktuell nicht möglich. „Aber trotzdem sind wir privilegiert. Die Jungs haben viele Freunde, die sie beneiden, weil wir trainieren dürfen“, berichtet Wilhelm.
Innerhalb der U-19-Bundesliga gibt es große Unterschiede zwischen den Klubs. Während der FC, Bayer 04 und auch Viktoria nur einige Wochen mit dem Trainingsbetrieb pausiert haben, stand bei Fortuna Köln knapp drei Monate im Nachwuchsbereich alles still, bei Rot-Weiss Essen waren es sogar fast vier. In Zollstock sind die U17 und U19 der Fortuna erst seit Februar wieder auf dem Rasen.
„Die Jungs kommen ja immer noch mit der Bahn zum Training“
Ein rundum gutes Gefühl hat Timo Westendorf, Leiter von Fortunas Nachwuchsabteilung, aber auch damit nicht: „Wir haben eine Verantwortung. Wenn hier jemand in Quarantäne muss und deswegen nicht in die Schule kann, ist das natürlich schlimm. Machen wir uns nichts vor: Selbst wenn sich bei uns niemand ansteckt – die Jungs kommen ja immer noch mit der Bahn zum Training, wie vorher auch.“ Auch der sportliche Werdegang der Spieler bereitet Westendorf Sorgen. „Der Wettkampf fehlt, in der Bundesliga kann man sich mit den Besten des Jahrgangs messen. Das kann man auch mit Training nicht ersetzen“, sagt er. „Dem älteren A-Jugend-Jahrgang, der schon den ersten Lockdown in der U19 miterlebt hat, dem sind fast zwei Saisons genommen worden. Da bleibt die Entwicklung auf der Strecke.“
Viele der A-Jugendlichen seien zudem momentan im durch die Corona-Krise ebenfalls verstärkten Abitur-Stress, „eine doppelte Unsicherheit“, sagt Westendorf. Dieses Problem sieht auch FC-Trainer Ruthenbeck. „Wir haben einige Jungs, die schon letztes Jahr ihr Abitur nicht geschafft haben. Jetzt gibt es da wieder ein paar Kandidaten. Diese Herausforderung ist ein weiterer Stress-Faktor.“
Einig sind sich alle Trainer darin, dass nach einem möglichen Restart der Junioren-Bundesligen kein reguläres Ausspielen der Meisterschaft folgen darf. „Es geht nicht darum, dass irgendwer Deutscher Meister wird. Es geht nur darum, den Jungs eine Plattform zu bieten, damit sie sich entwickeln und zeigen können“, sagt Ruthenbeck. Eine Art Kurz-Turnier als Jobbörse für den Nachwuchs. Denn klar ist laut Ruthenbeck bereits jetzt: „Durch die vergangenen Monate sind einige Profifußball-Träume geplatzt.“