Köln – Herr Podolski, Sie haben jetzt eine Halbserie in Japan verbracht. Sind Sie mittlerweile dort angekommen – oder ist es immer noch eine fremde Welt?
Fremd eigentlich gar nicht mal so sehr. Das liegt vielleicht daran, dass ich schon einige Erfahrung habe und ziemlich herumgekommen bin; allein durch die Zeit mit der Nationalmannschaft. Klar ist das eine neue Kultur, und man ist weit weg von zu Hause. Aber es hat mich nicht komplett umgehauen.
Wenn wir mal zwei Tage frei haben, versuche ich, so viel es geht vom Land zu sehen. Zum Beispiel in Tokio und in anderen Städten. Das sind Sachen neben dem Fußball, die ich mitnehmen kann.
Wie bewegen Sie sich dort?
Entweder mit dem Auto oder dem Superzug, dem Shinkansen.
Was gefällt Ihnen?
Die Sauberkeit, die Freundlichkeit der Menschen. Und die Sicherheit. Ich habe gehört, dass es in den Sportgeschäften in Japan keinen Diebstahlschutz gibt. Weil dort niemand klaut. Es ist schwierig zu beschreiben, aber man fühlt sich einfach wohl dort, wirklich angenehm. Die Leute sind etwas distanzierter, die kennen jetzt eher nicht die offene Art des Kölners. Da falle ich manchmal etwas auf. Im Sport ist es einfacher.
Verhalten Sie sich in Japan anders?
Es gibt Aktionen, die nicht so passen, die muss ich mir dann verkneifen. Meine Mitspieler haben einen ähnlichen Humor wie ich. Die Leute im Kiosk eher weniger.
Wie leben Sie?
In einer Wohnung mit meiner Familie. Die Schule ist nicht weit entfernt, ins Zentrum sind es vielleicht zehn Minuten. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Wasser, Berge, viel Grün. Eine richtig schöne Aussicht. Es ist ein wirklich schönes Land.
Können Sie unbehelligt auf die Straße gehen? Erkennt Sie dort jeder?
Ich sehe halt nicht japanisch aus, von daher erkennen mich schon viele. Aber die Leute lassen mich in Ruhe, der Fokus im Land liegt nicht so sehr auf dem Fußball. Eher auf Baseball und Sumo. Neulich hat ein japanisches Fußballteam die asiatische Champions League gewonnen, und in der Zeitung stand das auf der vierten Sportseite. Auf der ersten Seite war ein Pferderennen. Auf der zweiten und dritten war Baseball. Und auf der vierten dann ein kleiner Bericht vom Champions-League-Finale mit einem Mannschaftsfoto – in Schwarz-Weiß.
Haben Sie sich die anderen Sportarten schon angesehen?
Ich war beim Baseball. Das ist eher ein Familien-Event, da geht man mit den Kindern hin, kauft Souvenirs und isst den ganzen Tag auf den Tribünen. Beim Sumo war ich auch schon, das ist wahnsinnig interessant. Auch hinter den Kulissen. Wie die Kämpfer die Haare gemacht bekommen und angezogen werden. Das ist eine große Sache dort. Ich finde es total cool, dass diese Traditionen in Japan beibehalten werden.
Zur Person
Lukas Podolski, geboren am 4. Juni 1985 in Gleiwitz (Polen), verheiratet, zwei Kinder. 1987 siedelte Familie Podolski, zu der auch noch die fünf Jahre ältere Schwester gehört, nach Deutschland über. Lukas Podolski spielte von 2003 bis 2006 beim 1. FC Köln, von 2006 bis 2009 beim FC Bayern München, von 2009 bis 2012 wieder für den FC, von 2012 bis 2015 für den FC Arsenal, 2015 auch leihweise für Inter Mailand und von 2015 bis Juni 2017 für Galatasaray Istanbul. Im Juli dieses Jahres wechselt er zu Vissel Kobe in Japan. Seit 2004 absolvierte Podolski 130 Länderspiele, in denen er 49 Tore erzielte.
Wie sind die Bedingungen in ihrem Klub?
Klar jetzt nicht so professionell wie in Deutschland. Als Nationalspieler kenne ich das absolute Top-Niveau, aber so muss es ja in Kobe nicht sein. Ich habe schon viel geändert, auf vieles hingewiesen. Das haben die von mir gefordert. Die Infrastruktur ist okay. Wir haben zwei Trainingsplätze mit Naturrasen. Die Kabine, das sind jetzt keine schlechteren Bedingungen als ich sie vom FC kenne. Es geht eher um Details.
Will der Verein weitere Ausländer verpflichten?
Glaube ich nicht. Ich habe den Bossen gesagt, dass sie lieber auf die guten Japaner schauen sollen. Den Podolski oder den Messi zu holen – damit allein gewinnst du die Liga nicht. Die japanischen Spieler müssen besser werden. Ich glaube, die japanische Liga schläft. Das sind die falschen Leute am Werk. Viele Vereine haben tolle Stadien, viele noch von der WM 2002 oder noch neuer. Die Spiele sind ordentlich besucht, die Stimmung ist gut. Die Hingabe der japanischen Fans ist wirklich toll. Aber ich frage mich auch: Wo will die Liga hin? Das Marketing fehlt. Die Nationalmannschaft stagniert ja leider auch.
Wie ist ihr Japanisch?
Normal.
Normal?
Die Standardsachen habe ich drauf. Ich frage viel nach, wenn ein Wort fällt, das ich nicht kenne. Aber ich bin ja nicht dahingekommen, um nur die Sprache zu lernen. Ich bin dort, weil es beruflich eine spannende Aufgabe ist und auch privat gepasst hat.
Warum sind Sie nicht in die USA gegangen?
Ich habe mit vielen Spielern dort gesprochen, so begeistert sind die gar nicht. Die Reisen sind extrem weit, manchmal hat man mehrere Auswärtsspiele nacheinander und ist dann eine ganze Woche nicht zu Hause. Dann spielt man viel auf Kunstrasen. Der Unterschied ist das Marketing, die haben echt viel aus der Liga gemacht.
Haben Sie Heimweh?
Nein, eigentlich nicht. Die Freunde fehlen manchmal. Mal rausgehen, was essen – ich vermisse den Alltag. Aber das passt schon. Wenn man einen solchen Schritt macht, dann darf man nicht hinterher jammern, dass Köln so weit weg ist und man nicht mehr zum FC gehen kann.
Wenn Ihr Vertrag in Japan endet, werden Sie 34 sein. Merken Sie langsam das Alter?
Die Regeneration dauert etwas länger, man ist nicht mehr ganz so lauffreudig. Das Tempo ist in Ordnung, in der japanischen Liga ist es ja nicht ganz so hoch. Wobei die dort auch Qualität haben.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ein drittes Mal für den 1. FC Köln spielen?
Keine Ahnung, was ich da für eine Prozentzahl aufrufen soll. Ich lasse das offen, weil ich es am Ende ja auch nicht allein entscheide.
Es wirkte in den vergangenen Jahren, als hätte Jörg Schmadtke Ihre Rückkehr ausgeschlossen.
Zu mir direkt hat er das nie gesagt. Ich finde es seltsam, denn wenn einer aus der eigenen Jugend kommt und so an dem Verein hängt, dann würde ich den ein bisschen mit ins Boot nehmen. Ich spiele ja kein Spiel, sondern sage nur, dass der FC mein Verein ist. Es muss niemand sagen, dass er mich mit offenen Armen aufnehmen würde. Aber es zu blockieren – das finde ich seltsam. Ich würde ja mit einer positiven Einstellung zum FC zurückkehren. Und fragen: Wo kann ich anpacken, wo braucht ihr Hilfe? Es ist doch Unsinn, zu sagen, dass ich einen negativen Einfluss haben könnte. Ich will ja meinen eigenen Verein nicht kaputtmachen.
Bedauern Sie Ihre Abstiege mit dem FC?
Natürlich hätte ich sie lieber nicht erlebt. Aber das gehört zum Sport dazu. Trotzdem ist der FC mein Verein, ob ich jetzt absteige oder Europa League spiele. Wir waren nicht so gut aufgestellt damals. Und sind es ja immer noch nicht, das sieht man doch jetzt. Wenn wir damals nicht abgestiegen wären, wäre ich nicht zu Arsenal gegangen. Aber wenn Arsène Wenger anruft und du die Chance hast, nach London zu gehen, dann ist das etwas anderes, als nach China zu gehen und das Geld mitzunehmen. Den Wechsel hat damals aber auch jeder verstanden, glaube ich.
Kann man die Saison 2012 mit der aktuellen vergleichen?
Ich glaube, damals war es chaotischer, die Stimmung war auch aggressiver. Aber in den letzten Wochen geht es schon wieder in die Richtung. Die zerpflücken sich untereinander, das ist zumindest mein Eindruck von außen. So war das damals auch. Trainer, Sportdirektor und Vorstand waren sich nicht einig. Wenn das einmal passiert, ist es schwierig, die Lage unter Kontrolle zu halten. Die Spieler sind am Ende die Idioten, die das Theater ausbaden müssen.
Sie haben immer eine Meinung zum FC.
Ja, natürlich. Da bin ich wie Uli Hoeneß: Wenn jemand etwas gegen seinen Verein sagt, dann haut der drauf. Das ist ja auch richtig. Er lebt für seinen Verein.
Wundern Sie sich dann nicht, wenn Peter Stöger innerhalb von einer Woche von einem zum nächsten Verein wechselt?
Nein, das ist ja sein Job. Wenn mich morgen der FC rauswirft und ich am nächsten Tag die Möglichkeit habe, für einen Top-Klub zu spielen, brauche ich ja nicht erstmal fünf Jahre zu warten. Aber man müsste Peter Stöger fragen, wie er sich das denkt. Vielleicht will er auch mal einen Top-Klub trainieren. Für uns ist das ungewohnt, ihn in den BVB-Klamotten zu sehen, weil es in den letzten Jahren anders war.
Haben Sie Angst um den FC?
Nein. Der FC ist mein Verein, da ist es vollkommen egal, ob die jetzt Europa League spielen oder vielleicht in die Zweite Liga absteigen. Die Beziehung zu dem Verein ändert sich nicht. Ich werde trotzdem noch ins Stadion gehen, wenn ich die Zeit finde. Das ist in mir, seit ich fünf Jahre alt bin. Ich habe so viel erlebt. Als Fan, als Balljunge, als Jugendspieler, als Profi. Das kann mir niemand nehmen.
Wie würde sich der Kreis für Sie schließen?
Ich könnte mir jetzt noch nicht vorstellen, FC-Trainer zu sein. Lieber etwas im Hintergrund. Ich will auch kein Präsident sein, der vom Hof gejagt wird, wenn es schiefgeht. Aber mal sehen was kommt.
Wenn man sich anschaut, was Wolfgang Overath als FC-Ikone von seiner Präsidentschaft gehabt hat, ist das ja nachvollziehbar.
Genau. Es ist nicht so, dass ich Angst davor habe. Ich will den Fans langfristig ein gutes Gefühl geben. Ich will nicht wegen einer schlechten Saison meine Verbindung zum FC verlieren. Es gibt genug spannenden Aufgaben. Vielleicht im Jugendbereich. Es gibt hinter dem Präsidenten ja auch noch Positionen. Ich würde dem FC gern helfen, bekannter zu werden, internationaler. Aber bis 40 kann ich ja noch spielen.
Ist das das Ziel?
Mal schauen. Ich weiß es einfach nicht. Der Körper funktioniert zwar noch. Aber 13 Jahre DFB muss man auch erstmal mitmachen. Zehn Länderspiele pro Jahr.
Wie ist das, jetzt der Nationalmannschaft zuzuschauen?
Ist schon noch komisch, wenn die Hymne kommt. Die Atmosphäre bei der Nationalmannschaft war schon immer besonders. Aber ich bin zufrieden mit meiner Karriere als Nationalspieler. Ich habe 130 Spiele gemacht und habe noch ein Abschiedsspiel bekommen. Es wäre ja verrückt, wenn ich sagte, dass es irgendwie hätte besser laufen können. Ich bin quasi als Flüchtling aus Polen hergekommen. Jetzt stehe ich mit 32 Jahren da, spiele immer noch Fußball. Da muss man zufrieden sein.
Sie hatten 13 Jahre lang mit Joachim Löw zu tun.
Ja, vielleicht kann ich ja bald sein Co-Trainer werden. Beim FC Köln (lacht).