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Neid auf FrankreichRudi Völler will trotz Stürmer-Not nicht „jammern“

Lesezeit 4 Minuten
Rudi VÖLLER

DFB-Sportdirektor Rudi Völler erkennt die Not auf der Stürmerposition in den deutschen Nationalmannschaften an.

Wer soll bei der EM in einem Jahr die Tore schießen? Rudi Völler bedauert das Fehlen einer Nummer 9 – hofft aber auf Alternativlösungen.

Die deutsche Stürmer-Not schmerzt den früheren Weltklasse-Angreifer Rudi Völler ganz besonders. Sowohl in der A-Nationalmannschaft als auch in der U21 fehlten zuletzt die Männer für die Tore.

„Das wird sich im Fußball nicht ändern. Du brauchst einen Zielstürmer, jemanden, der vorne die Bälle über die Linie drückt oder köpft“, sagte der DFB-Sportdirektor beim Besuch der U21-EM in Georgien.

Zu wenige Tore: U21 vor dem EM-Aus

BVB-Jungstar Youssoufa Moukoko (18) konnte auch wegen einer Verletzung noch nicht die Turnierrolle einnehmen, die er sich wünschte. Der gleichaltrige Nelson Weiper brachte beim 1:2 gegen Tschechien Schwung rein. Gut möglich, dass der Mainzer bei dem von Völler angedeuteten Ausfall von Moukoko auch im Gruppenfinale gegen England am Mittwoch von Beginn an ran darf.

Da sind die Chancen auf ein Weiterkommen sehr gering – Völler und U21-Trainer Antonio Di Salvo hoffen aber noch. Zwei verschossene Elfmeter beim 1:1 gegen Israel, nur ein Tor gegen die Tschechen – wie beim A-Team, das zuletzt zweimal ohne Torerfolg blieb, hapert es auch beim Fußball-Nachwuchs mitunter mit dem Toreschießen.

Rudi Völler: „Du brauchst einen, der die Bälle vorne reinmacht“

„Es ist nicht wie beim Eiskunstlauf, da gibt es keine Kür, du musst am Ende die Spiele gewinnen. Das geht nur mit solchen Typen, die man wieder ausbilden muss“, mahnte Völler.

„Das hat auch einer der erfolgreichsten Trainer der letzten 20 Jahre gesehen, dass er den braucht, Pep Guardiola. Bei allem Tiki-Taka brauchst du auch einen, der die Bälle vorne reinmacht.“ Manchester City hatte sich vor der Saison mit Stürmer Erling Haaland verstärkt – und gewann das Triple inklusive der Champions League.

„Ich will das nicht zu schwarz malen. Wir müssen nicht immer jammern, dass wir nicht so viele Mittelstürmer oder Außenverteidiger haben. Das Material, das man hat, ist immer noch gut genug“, sagte Völler. „Wir haben wunderbare Kreativspieler in Deutschland. Da muss man eine Mannschaft formen, das trotzdem erfolgreich sein kann. Das geht auf diesem Niveau nur mit dieser Konsequenz und Leidenschaft.“

Rudi Völler kritisiert Jugendausbildung in Deutschland

In dem Zusammenhang sieht Völler bei der Ausbildung junger Fußballer in Deutschland deutliches Verbesserungspotential und nimmt auch die Vereine in die Pflicht. „Das ist eine Qualitätsfrage, die müssen wir wieder hinbekommen. Das fängt im Jugendbereich an“, sagte der DFB-Sportdirektor.

„Aber das ist nicht nur der DFB, da sind auch die Vereine mit im Boot. Die haben zuletzt nicht so ausgebildet, wie sich das gehört“, so Völler weiter. In den Nachwuchsleistungszentren müsse „sicherlich etwas passieren in der Zukunft“, sagte der 63-Jährige.

„Das clevere Verhalten hat uns in Deutschland immer ausgezeichnet. Natürlich ist eine Spieleröffnung wichtig, aber heute wird in der Jugend vermittelt, dass jeder Innenverteidiger den Ball vier Meter nach links oder rechts spielen kann. Das muss man können, aber viel wichtiger ist Kopfballspiel, eins gegen eins und den Zweikampf zu gewinnen. Das ist die Basis.“

Rudi Völler blickt mit Neid auf Frankreich

Voller Neid blickte Völler bei diesem Thema auf das Nachbarland Frankreich, wo es zurzeit ein Überangebot an jungen Talenten gibt. „Frankreich ist die einzige Mannschaft, die mit ihrer Qualität über allen anderen in Europa steht. Normal hätten die in den letzten zehn Jahren jedes Turnier gewinnen müssen“, sagte Völler: „Sie haben den mit Abstand größten Fundus an Spielern.“

Dazu gehört mit Moussa Diaby auch ein Leverkusen-Star, den Völler aus seiner langen Zeit bei Bayer bestens kennt. „Diaby, der in der Bundesliga teilweise rückwärts schneller ist als viele vorwärts, der ist nichtmal dabei bei den letzten Länderspielen. Das ist unglaublich, wie viele Topspieler die Franzosen haben.“

Rassismus-Fall: Lob für Aufarbeitung im U21-Team

Außerdem verurteilte Rudi Völler die rassistischen Beleidigungen gegen die deutschen U21-Nationalspieler Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam, befürchtet aber keine weiteren negativen Auswirkungen auf die Leistungen der Mannschaft bei der EM. „Man muss das anprangern, das ist eine Sauerei und sollte nicht mehr vorkommen“, sagte der 63-Jährige im Teamhotel der U21 in Batumi am Schwarzen Meer.

„Ich glaube, dass man hier gut reagiert hat und die Spieler wieder total in der Spur sind.“ Moukoko hatte nach dem 1:1 gegen Israel zum EM-Auftakt rassistische Beleidigungen gegen sich und Ngankam öffentlich gemacht. Der Deutsche Fußball-Bund hatte angekündigt, gegen die Urheber der Beleidigungen in den sozialen Netzwerken strafrechtlich vorgehen zu wollen.

„Die haben das hier wunderbar aufgearbeitet“, sagte Völler. „Die Anonymität in den sozialen Medien ist das allerletzte.“ Mit Blick auf die politisch aufgeladene Debatte um die One-Love-Kapitänsbinde bei der WM in Katar und den Rassismus-Eklat in Georgien sagte Völler, er hoffe, dass es bei der Heim-EM 2024 keine vergleichbaren Themen geben werde. „Dass so etwas nicht mehr passiert, kann ich leider nicht versprechen.“ (dpa/SID)