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Diskriminierend?Social-Media-Kanäle der Paralympics lösen mit Fail-Videos Diskussionen aus

Lesezeit 5 Minuten
Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller streckt sich bei einem Spiel gegen die USA im Rahmen der Paralympics in Tokio nach dem Ball.

Einen Sturz der deutschen Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller verwendeten die Verantwortlichen des Tiktok-Kanals der Paralympics als Missgeschicks-Clip.

Nicht nur der Paralympics-Account sorgt für Aufsehen, auch der Deutsche Behindertensportverband schlägt „provokante“ Wege ein.

„Alter, bist du behindert?“ – Was gerne im Alltag als Beleidigung verwendet wird, ist nun der Slogan einer neuen Kampagne, mit der der Deutsche Behindertensportverband (DBS) zum Auftakt der Paralympics an die Öffentlichkeit geht. Eigentlich steht die Floskel dafür, eine Versagerin oder ein Nichtskönner zu sein. Die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen werde dadurch – häufig unbewusst – herabgewürdigt, schreibt der Verband.

Der DBS will mit der „durchaus provokanten Herangehensweise“ aber in eine andere Richtung lenken. „Alter, bist du behindert?“ Auf die Frage antwortet der Leverkusener Weitspringer Markus Rehm in der Kampagne mit einer nüchternen Antwort. „Ja – und bei den Paralympics will ich am 4. September so weit springen wie nie zuvor!“

DBS Kampagne #StarteDeinenWegmit Markus Rehm

Gesicht der Kampagne des Deutschen Behindertensportverbands ist unter anderem der Leverkusener Weitspringer Markus Rehm.

Weitere Motive dieser Art gibt es unter anderem mit Rollstuhlfechter Maurice Schmidt, Rollstuhlbasketballer Nico Dreimüller und Para-Tischtennisspielerin Stephanie Grebe.

Der Sportverband wolle „damit den ein oder anderen Nadelstich setzen hin zu einem anderen Umgang mit dem Wort Behinderung“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. „Wir wollen und können selbstbewusst auftreten. Die Athletinnen und Athleten des Team Deutschland Paralympics sind Leuchttürme, die mit ihrer Geschichte und ihren unglaublichen Leistungen begeistern.“

Offizieller Paralympics-Account sorgt mit fragwürdigen Videos in sozialen Medien für Gesprächsstoff

Während die DBS-Kampagne in den sozialen Medien größtenteils positive Reaktionen hervorruft, sorgt ein anderer paralympischer Kanal immer mal wieder für Gesprächsstoff: Denn der offizielle Paralympics-Account wirbt nicht nur mit den sportlichen Leistungen von Athletinnen und Athleten. Einige Clips zeigen Missgeschicke und Fails auf der paralympischen Bühne, die eher zum Lachen als zum Staunen anregen.

In einem kurzen Video ist etwa die deutsche Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller zu sehen. Erst wirft sie aus dem Spiel heraus einen Korb von der Dreierlinie. Dann wird gezeigt, wie die Fahnenträgerin von 2021 über den Ball fällt und mit ihrem Rollstuhl auf dem Rücken landet. Das Reel gefällt knapp 95.000 Leuten.

Ein anderer Clip – 2,5 Millionen Likes bei Tiktok – zeigt den blinden US-Triathleten Brad Synder. In der Wechselzone sucht er sein Fahrrad, streckt dabei seine Hände nach vorne, um es zu ertasten. In der Caption (dt.: Videobeschreibung) ist zu lesen: „Para Triathlon is swim, bike and air piano“ (dt.: "Para Triathlon ist Schwimmen, Radfahren und Luft-Klavier"). Dazu läuft klassische Musik.

Es gibt viele weitere solcher Videos. Und die Frage liegt auf der Hand: Ist das Humor, zu albern oder sogar diskriminierend? Dürfen behinderte Menschen auf diese Art ins Lächerliche gezogen werden? Darf über sie gelacht werden?

Die Meinungen der Userinnen und User gehen in den sozialen Medien auseinander. Einige kritisieren die Verantwortlichen, die anderen feiern sie: „I think this tiktok account is a genius move to make people get interested in paralympics“ (dt.: „Ich denke, dieser Tiktok-Account ist ein genialer Schachzug, um das Interesse der Menschen an den Paralympics zu wecken.“), lautet ein Kommentar.

Fail-Videos: Keine Absprache mit betroffenen Athletinnen und Athleten

Ähnlich sieht das Nico Feist, Pressesprecher der Para-Leichtathletikabteilung vom TSV Bayer 04 Leverkusen. „Mit der reinen Sportberichterstattung kommen wir nicht auf derartige Reichweiten“, sagt er. Das merke er auch in der Öffentlichkeitsarbeit seines Vereins, der mit 18 deutschen Starterinnen und Startern in Paris bundesweit als einer der erfolgreichsten Para-Standorte gilt.

Der Account des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) begebe sich mit diesen Videos zwar auf einen schmalen Grat, sagt Feist. „Aber wenn Leute das sehen und zum Beispiel durch die Caption die Geschichte hinter der Athletin oder dem Athleten erfahren, haben wir wieder einen Aha-Moment gewonnen.“

Allerdings sollten solche Scherze mit den Protagonistinnen und Protagonisten abgesprochen werden, sagen etwa Jule Roß (Sprint und Weitsprung) und Kim Vaske (Sprint und Kugelstoßen). Das sei im Fall von Mareike Miller nicht geschehen. Die beiden Leverkusener Nachwuchsathletinnen haben die Erfahrung zwar noch nicht gemacht und jeder müsse individuell über den Umgang mit diesem „schwierigen Thema“ entscheiden. „Aber wenn wir unfreiwillig in so einem Video gepostet werden, ohne unsere Zustimmung, fänden wir das wahrscheinlich nicht so toll.“

Paralympisches Komitee: Missgeschicke passieren – wie in jeder anderen Sportart auch

Andererseits gehen die beiden Paralympics-Debütantinnen offen mit ihren Behinderungen um – beiden fehlt ein Arm. „Wir machen untereinander und mit Freundinnen und Freunden Witze darüber.“ Das sei dann weder böse noch lächerlich, noch als Beleidigung gemeint.

Dass Menschen mit Behinderung lustig sein können, gehöre zur Normalität dazu, sagt auch Nico Feist. „Es ist aber noch nicht in allen Köpfen angekommen.“ Dass die Inhalte in gewisser Weise authentisch seien, finden auch die Macherinnen und Macher hinter den Videos.

Das Ziel sei es, „die fantastischen sportlichen Fähigkeiten und Leistungen der Sportlerinnen und Sportler zu präsentieren, Nischen und Besonderheiten des paralympischen Sports hervorzuheben und zu zeigen, dass – wie in jeder anderen Sportart auch – von Zeit zu Zeit Missgeschicke passieren“, schreibt ein Pressesprecher des IPC auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeigers“.

Manchmal machen wir es nicht richtig, aber das Team ist immer bereit, zuzuhören und aus dem Feedback zu lernen.
Internationales Paralympisches Komittee

Um das globale und junge Publikum auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok anzusprechen, habe man sich an einigen Stellen von den traditionellen Sportinhalten abheben müssen. Dabei sei klar, dass die Posts nicht jedem gefallen. „Manchmal machen wir es nicht richtig, aber das Team ist immer bereit, zuzuhören und aus dem Feedback zu lernen.“

Den meisten Athletinnen und Athleten würde der Account aber gefallen, heißt es. Er würdige nicht nur die Leistungen, sondern rege Diskussionen und Interesse an Behindertenfragen im Internet an.

Im Alltag sehe man die Vielfalt von Behinderungen, die der Parasport zu bieten hat, häufig nicht, sagt Kim Vaske. Solange das Einverständnis der Sportlerinnen und Sportler vorliege, könne digitale Reichweite für mehr Aufklärung und Sichtbarkeit sorgen. Und die des IPCs ist beachtlich. 2020 ging der Tiktok-Kanal online, inzwischen verbucht er 4,2 Millionen Follower und Followerinnen, bei Instagram sind es eine Million.

Die „größte Plattform, um Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt zu rücken“ bieten aber immer noch die Paralympics selbst. Für die Spiele in Paris und den Tiktok-Account habe das IPC große Pläne. Das Team freue sich, sie „in den kommenden Wochen und Monaten zum Leben zu erwecken“. Wie originell es diesmal wird, wird sich zeigen.