Als Trainer des Hockey-Bundesligisten KTHC RW Köln ist es André Henning gewohnt, gewinnen zu müssen. Im Sommer 2021 darf er zur Abwechslung mal in die Außenseiterrolle schlüpfen, denn mit der kanadischen Nationalmannschaft kann er bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) eigentlich nur gewinnen.
Herr Henning, nach seinem jüngsten Besuch in Tokio hat IOC-Präsident Thomas Bach beteuert, dass Olympia 2021 wie geplant stattfinden soll. Ihrem ersten Turnier als Herren-Nationaltrainer scheint also nichts im Wege zu stehen. Kann man inmitten einer Pandemie überhaupt Vorfreude entwickeln?Über allem muss die Gesundheit der Athleten stehen. Wenn diese garantiert werden kann, sollte das Event stattfinden – zur Not ohne Zuschauer. Olympia vor leeren Rängen ist noch besser als kein Olympia. Gerade Randsportarten müssen Vorbilder hervorbringen – und dafür brauchen sie Bühnen wie die in Tokio.
Als Co-Trainer der deutschen Damen-Nationalmannschaft durften Sie das olympische Flair bereits hautnah erleben, nämlich 2016 in Rio de Janeiro. Was macht die Spiele so einzigartig?Nirgendwo sonst treffen so viele Kulturen und Sportarten aufeinander. Wenn ein Medaillengewinner die Mensa im Olympia-Dorf betritt, erhält er tosenden Applaus – egal, welchem Land oder welcher Sportart er angehört. Diese Gemeinschaft ist einzigartig. Für einen Athleten gibt es nichts Größeres, aus Trainersicht sind die Spiele in erster Linie eines: arbeitsintensiv.
2016 sollte sich die Arbeit lohnen, schließlich gewannen die Damen Bronze. Ist ein ähnlicher Coup auch mit Kanada denkbar?Kanada hat als Weltranglisten-Zehnter noch nie ein Viertelfinale erreicht, geschweige denn eine Top-Nation besiegt. Da mit Belgien, Holland, Deutschland und England gleich vier davon in unserer Gruppe warten, wäre bereits der Viertelfinal-Einzug eine Sensation.
Zur Person
André Henning (36) lernte das Hockeyspielen beim HC Velbert und wechselte als Elfjähriger zum HTC Uhlenhorst Mülheim. Dort schaffte er den Sprung in den deutschen U-18-Kader. Nach einem Kreuzbandriss widmete er sich ganz dem Trainerjob. Mit 23 schmiss er sein Jurastudium, um den Erstliga-Aufsteiger Mülheim zu übernehmen. Nach sieben Jahren verabschiedete er sich 2014 mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Nach einer Saison als Trainer und Sportlicher Leiter beim Club an der Alster folgte der Wechsel zu RW Köln; dort gewann er nationale Titel auf dem Feld (2016) und in der Halle (2017/2020) sowie die Euro Hockey League (2017) und den Hallen-Europapokal (2018). Zudem führte Henning die deutsche U 18 zum EM- (2014) und die U 21 zum WM-Titel (2013) sowie das deutsche Frauenteam als Co-Trainer zu Olympia-Bronze (2016). (tim)
Dafür müsste man zwei von fünf Gruppengegnern hinter sich lassen – und damit wohl zwangsläufig den Weltranglisten-14. Südafrika.Dieser Gegner entspricht unserer Kragenweite, aber von der Weltspitze sind wir weit entfernt. Trotzdem werden wir versuchen, mindestens eine Topnation zu ärgern.
Mit Kanada treffen Sie nicht nur auf Ihre Landsleute, sondern auch auf zahlreiche Spieler des KTHC RW Köln – ein komischer Gedanke? Natürlich wird es etwas Besonderes sein, gegen Deutschland anzutreten. Zumal ich fast alle Spieler selbst schon gecoacht habe – nicht nur die aus Köln. Aber meine Mission wird es sein, Kanada so nah wie möglich an ein hohes Level heranzuführen.
Ist es überhaupt möglich, die Jobs als National- und Vereinstrainer unter einen Hut zu bekommen?Ja, das war Voraussetzung für meine Zusage. Die Bundesliga genießt Priorität in den Ligaphasen. Die Arbeit bei Rot-Weiss hätte ich nie für einen Fulltime-Job als Nationaltrainer aufgegeben – für keine Nation der Welt.
Der kanadische Verband hat sich für Sie und damit gegen einen Vollzeittrainer entschieden – eine besondere Wertschätzung?Ich empfinde es als Vertrauensvorschuss. Entsprechend will ich auch etwas zurückgeben. Ich werde die Bundesliga-Pausen bestmöglich nutzen – in erster Linie für Trainingscamps.
Wann findet das erste Camp statt?Im Idealfall schon im Dezember – allerdings nur, wenn die Hallen-DM nicht stattfindet. Aktuell würde es auf ein Camp in Kanada oder Südamerika hinauslaufen. Ich kann den Spielern nicht zumuten, nach Europa zu reisen und sich erst mal 14 Tage in Quarantäne zu begeben. Schließlich gehen viele noch einem normalen Job nach.
Hatten Sie schon Kontakt zur Mannschaft?Ich habe bereits alle Spieler angerufen und auch schon erste Zoom-Meetings mit dem gesamten Team abgehalten.
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In Kanada ist Eishockey in aller Munde. Wie wollen Sie die Menschen dort für Ihren Sport begeistern?Indem wir besser werden. Es gibt zwei Blöcke im Team: Der eine spielt in Europa, der andere in Kanada. Da das Niveau in der Heimat nicht mit dem europäischen vergleichbar ist, gibt es zusätzlich ein zentralisiertes Trainingsprogramm in Vancouver. Dieses will ich auf ein tägliches Angebot erweitern. Außerdem müssen professionellere Strukturen her – etwa in puncto Physiotherapie. Dafür stelle ich gerade von Deutschland aus den nötigen Stab zusammen.
Sie haben als DHB-Trainer die U 18 zum EM- und die U 21 zum WM-Sieg geführt. Erleben wir Sie eines Tages auch an der Linie der deutschen Herren?Ich bin niemand, der einen klaren Karriereplan in der Tasche hat oder dem einen großen Traum nachjagt. Ich lasse Dinge gerne auf mich zukommen und mache das, worauf ich Lust habe. Vor einigen Jahren hätte ich nicht mal geglaubt, überhaupt Trainer zu werden.
Sondern?Ich stand mit 23 vor dem ersten Jura-Staatsexamen. Dann kam das Angebot aus Mülheim und ich habe das Studium geschmissen. Eigentlich wollte ich es nur unterbrechen, aber aus einem Jahr beim HTCU wurden sieben. Aus mir wäre bestimmt auch ein guter Jurist geworden. Heute bin ich froh, so einen vielfältigen und flexiblen Job zu haben.