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Familiennachzug bei GeflüchtetenFamilie Mohammad war dreieinhalb Jahre getrennt

Lesezeit 5 Minuten

Amal Alnukkari (l.) war mit ihren beiden Töchtern in Dubai, während ihr Mann (r.) in Köln auf die drei gewartet hat.

Köln – Amal Alnukkari erinnert sich genau an den Moment, als die E-Mail kam. Sie steht im Frühjahr vor zwei Jahren auf einem Schulhof in Dubai, um die ältere Tochter abzuholen. Da blinkt eine E-Mail auf ihrem Handydisplay: Die deutsche Botschaft schickt ihr einen Termin. Den Termin, auf den sie seit über sechs Monaten wartet.

In einer Stunde soll die Syrerin dort sein. Sie wurde sofort panisch, erinnert sich Alnukkari. Eine Frau, geblümte Bluse und schwarze Pumps, die viel redet und gerne lacht. Wie im Film sei sie nach Hause gerast, habe kopflos alle Dokumente von ihrem Tisch in die Handtasche gefegt, sei mit ihren Töchtern in ein Taxi gesprungen und habe dem Fahrer den doppelten Preis geboten, wenn er sie so schnell wie möglich durch den dichten Verkehr ans andere Ende der Stadt bringt. Als sie ins Konsulat stürzt, stehen zwölf aufgeregte Familien in den engen Gängen. Ein technischer Fehler hat sie alle herbestellt. Es gibt wieder keinen Termin an diesem Tag, nur besonders viele Tränen.

Langwieriges Verfahren erschwert den Familiennachzug seit Herbst 2018

„Ich bin weinend zusammengebrochen“, erzählt Alnukkari etwa zwei Jahre später bei einem Treffen im Flüchtlingszentrum Fliehkraft in Nippes. Die vierköpfige Familie Mohammad – im arabischen Eherecht behält die Frau ihren Mädchennamen – sitzt nebeneinander an einem langen Tisch, in einem hölzernen Saal, vorne eine mit rotem Samt überzogene Theaterbühne. Sie sprechen über die Zeit, in der Vater Omar Mohammad von seiner Familie getrennt war.

Er war damals in Köln, seine Frau und die beiden Töchter im 5000 Kilometer entfernten Dubai in den Vereinten arabischen Emiraten. Eigentlich hat er dort als Elektriker gearbeitet. Als sein Visum vom syrischen Staat nicht verlängert wird, muss er erst zurück nach Syrien und flieht dann vor dem Bürgerkrieg nach Europa. Wie die meisten syrischen Geflüchteten bekommt er im Januar 2017 in Deutschland den subsidiären Schutzstatus. Bedeutet zu dieser Zeit: Erst darf er seine Familie gar nicht nachholen, dann müssen sie ein kompliziertes und langwieriges Verfahren durchlaufen. CSU-Innenminister Horst Seehofer begrenzt den Familiennachzug ab Herbst 2018 auf 1000 Visa monatlich.

Kontigent wurde 2020 nicht mal zur Hälte ausgeschöpft

Im letzten Jahr wurde das umstrittene Kontingent nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft, wie eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zeigte. Obwohl weltweit noch über 11 000 Terminanfragen von Ehepartnern und Kindern in Botschaften vorliegen, um die benötigten Dokumente für den Familiennachzug einzureichen. Regierung und Auswärtiges Amt begründen die niedrigen Zahlen aus 2020 mit der Corona-Pandemie. Den Verweis halten Flüchtlingsorganisationen und die Linke für vorgeschoben. Das Kontingent wurde auch in den ersten, noch corona-freien Monaten, nicht ausgeschöpft, sagt Pro Asyl.

Wenn man Alnukkari und den Töchtern zuhört, versteht man, was jede Terminanfrage bedeuten: Eine getrennte Familie. Viel weinen, viel warten, viel vermissen. Soleen ist heute sechs, sie liebt ihre deutsche Kita mit den Regenbögen an den Fenstern – und McDonald’s. Ihren Vater kennt sie, bis sie nach Deutschland kommt, nur als verschwommenen Kopf auf einem Handydisplay. Als er weg muss, ist sie noch ein Baby.

Vater Omar sucht sich in Köln sofort Arbeit

Die ältere Tochter, die lieber nicht mit Namen und Bild in die Zeitung will, erinnert sich, wie sie ihn vermisst. Sie schläft nachts in einem T-Shirt von ihm, sitzt manchmal stundenlang nur in ihrem Zimmer und weint leise. Ihre Mutter plagen vor allem finanzielle Sorgen. Dubai ist ein extrem teures Pflaster, als Ausländerin verdient sie in der Bank nur halb so viel wie ihre Kollegen. Für Schule, Krankenversicherung und Miete reicht ihr Gehalt nicht aus. Ihr Mann fängt in Köln einen Lagerjob bei Ford an, um ihr Geld schicken zu können. Für einen Deutsch-Kurs bleibt keine Zeit. Er spart und teilt sich zweieinhalb Jahre ein Zimmer in einer städtischen Unterkunft; verschiebt die viel beschworenen Integrationsleistungen auf später, weil er sich sowieso Tag und Nacht nur um seine Familie sorgt. Als Frau alleine in einem arabischen Land sei es nicht einfach, ergänzt Alnukkari.

Christina Dück kennt die Sorgen getrennter Familien.

Immer wieder sitzt Omar Mohammad damals im Büro von Christina Dück vom Kölner Flüchtlingsrat. Fragt flehentlich, ob es etwas Neues gibt. „Ich konnte auch nur E-Mails schreiben“, sagt die Beraterin mit dem blonden Pferdeschwanz und den leuchtend blauen Augen.

„19.3.2019: Sachstandsanfrage an das Ausländeramt Köln.“ In Klammern dahinter: Keine Antwort, steht in ihren Unterlagen. „28.3.2019: Sachstandsanfrage an das Ausländeramt Köln.“ „02.04.2019: E-Mail vom Ausländeramt: Originaldokumente sind am 27.02.2019 eingegangen. Warten auf den Eingang des Bundeszentralregisterauszugs. Erst dann kann eine Rückmeldung an die Deutsche Botschaft erfolgen.“ Dück hat jede zermürbende Nachricht in aneinandergereihtem Behörden-Deutsch notiert. „Das Einzige, was ich an Deutschland nicht mag, ist, dass alles so lange dauert“, sagt Alnukkari. Ansonsten beteuert sie, Deutschland zu lieben. Vor allem die Gesetze, vor denen jeder Mensch gleich ist. Gleich sein sollte.

Praxis verstößt gegen die Kinderrechtskonvention

Ein Rechtsgutachten von Pro Asyl kommt zu dem Schluss, dass das Auswärtige Amt das ohnehin komplizierte und undurchsichtige Verfahren des Familiennachzugs bewusst in die Länge zieht und so die Einreise erschwert. Laut der Flüchtlingsorganisation verstößt die Praxis gegen das Recht auf ein Familienleben, Artikel 6 im Grundgesetz. Außerdem würde das Kindeswohl gemäß der UN-Kinderrechtskonvention nicht berücksichtigt und es gäbe keine Priorisierung von Härtefällen.

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Dück vom Flüchtlingsrat betreut einen Fall, bei dem die ganze Familie aus Afghanistan nach Deutschland durfte, nur der 16-jährige Sohn nicht. Er ist alleine in Kabul, liegt nach einem Bombenanschlag dort im Krankenhaus. Für Familie Mohammad hatte das Warten ein Ende. Dücks letzter Eintrag: „Einreise: 27.07.2019“. In Klammern dahinter: Trennung 3,5 Jahre.