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Projekt in MeschenichMittwochs steht „Glück“ auf dem Stundenplan der Klasse 3a

Lesezeit 6 Minuten
Sechs Jungen und Mädchen stehen im Kreis und halten die Köpfe aneinander.

Glücksunterricht macht nicht nur glücklich, es fördert die Social Skills, sagen Glückslehrer an Grundschulen.

Glücksunterricht soll die sozialen Kompetenzen von Kindern aus einem schwierigen Umfeld wie dem Kölnberg stärken. Zu Besuch in der Grundschule Meschenich.

„Du bist nett und sportlich“, sagt Can, „du kannst gut malen“ meint Laura, „und du bist immer hilfsbereit“ lobt Fabian. Gemeint ist Zeynep, die in dieser Stunde im Mittelpunkt steht. Einmal in der Woche, immer mittwochs, sprechen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 3a an der Meschenicher Grundschule ganz viel über Gefühle, denn dann steht in der dritten Unterrichtsstunde das Fach „Glück“ auf dem Stundenplan — ein vom Jugendzentrum Meschenich initiiertes Pilotprojekt.

„Es ist erschreckend, wie viele Kinder hier aus Meschenich ihre Stärken nicht kennen. Das möchte ich durch den Glücksunterricht ändern“, sagt Jule Koops-Krüger, die seit zwei Jahren im Jugendzentrum Meschenich arbeitet und ausgebildete Glückslehrerin ist.

Glück als Unterrichtsfach wird in Deutschland und Österreich erprobt

Glück als Unterrichtsfach ist bislang in keinem Curriculum verankert, wird aber zunehmend als Projekt an Schulen in Deutschland und Österreich angeboten. Wer Lehramt studiert oder als Sozialpädagoge arbeitet, kann sich zum Glückslehrer, beziehungsweise zur Glückslehrerin ausbilden lassen. Die Weiterbildung findet monatlich an einem Wochenende statt und dauert ein Jahr.

Grundschülerinnen und -schüler sitzen im Kreis, auf dem Boden in deren Mitte liegen Zettel mit Stichworten wie „Geld & Besit“ oder „Selbstfürsorge“.

Glücksunterricht in der Klasse 3a der Meschenicher Grundschule.

Koops-Krüger ist von dem Lernansatz und dem pädagogischen Effekt gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Familien überzeugt: „Im Regelunterricht bleibt für die Fragen des Lebens oft zu wenig Zeit, die Kinder müssen liefern, werden geprüft und bewertet. Im Fach Glück gibt es nichts auswendig zu lernen, das Lernziel lautet: Wohlbefinden, Lebenskompetenz und Persönlichkeitsentwicklung.“

Im Regelunterricht bleibt für die Fragen des Lebens oft zu wenig Zeit. Im Fach Glück gibt es nichts auswendig zu lernen, das Lernziel lautet: Wohlbefinden, Lebenskompetenz und Persönlichkeitsentwicklung
Juke Koops-Krüger, Sozialarbeiterin im Jugendzentrum Meschenich und ausgebildete Glückslehrerin

Das Meschenicher Jugendzentrum, das von vielen jungen Menschen, die am Kölnberg wohnen, besucht wird, arbeitet in enger Kooperation mit der örtlichen Grundschule. Die Kinder, die hier vormittags unterrichtet werden, gehen am Nachmittag ins Jugendzentrum, wo es warmes Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeunterricht für sie gibt. Die Sozialarbeiter und Erzieherinnen erreichen mit ihren Angeboten täglich mehr als 100 Jungen und Mädchen.

Glücksunterricht wird in Meschenich rein über Spenden finanziert

„Wir kümmern uns nicht nur um die Kids, wir sind ein Ort für alle Sorgen und Probleme der Menschen auf dem Kölnberg. In deren Wahrnehmung sind wir Sozial- und Wohnungsamt, Jobcenter, Drogenhilfe, Ausländerbehörde in einem. Wir schicken niemanden weg, sind gut vernetzt und helfen immer“, sagt Amir Rakhsh–Bahar, der stellvertretende Leiter des Jugendzentrums.

Die Projekte des Jugendzentrums sind befristet und werden ausschließlich über Spenden finanziert — auch von „wir helfen“. Rakhsh–Bahar wünscht sich eine Regelfinanzierung. „Eine vertrauensvolle Bindung zu den jungen Menschen aufzubauen, dauert mindestens sechs Monate. Deshalb wünschen wir uns mehr Kontinuität und Planungssicherheit. Bislang ist es jedes Mal ein Kampf, wenn das Geld für ein Projekt ausläuft und wir nach monatelangen Pausen von vorne anfangen müssen.“ Das betrifft auch den Glücksunterricht – die Projektstelle läuft aus, die Verlängerung ist noch nicht bewilligt.

Meine Schüler und Schülerinnen sind nach einer Stunde Glücksunterricht sehr ausgeglichen und machen voller Energie in den anderen Fächern mit. Ich denke, dass dieser etwas andere Unterricht gerade für Kinder, die aus einem schwierigen sozialen Umfeld stammen, positive Impulse für deren Zukunft geben kann
Bernd Naujeck, der Klassenlehrer der 3a an der Grundschule Meschenich

Bernd Naujeck, der Klassenlehrer der 3a, findet das bedauerlich: „Ich merke, dass meine Schüler und Schülerinnen nach so einer Stunde Glücksunterricht sehr ausgeglichen sind und voller Energie in den anderen Fächern mitmachen. Ich denke, dass dieser etwas andere Unterricht gerade für Kinder, die aus einem schwierigen sozialen Umfeld stammen, positive Impulse für deren Zukunft geben kann.“

Glücksunterricht dauerhaft an allen Grundschulen etablieren

„Man sollte das Fach Glück, es könnte auch Persönlichkeitsbildung heißen, als reguläres Fach ins Curriculum aufnehmen und dauerhaft an der Schule etablieren. Das wäre gerade für die Grundschulen sehr wichtig, denn in weiterführenden Schulen kann man dieses Thema auch im Rahmen des Philosophie- oder Ethikunterrichts behandeln. In der Grundschule geht es vor allem darum, den Kindern entspannt und ohne Leistungsdruck Social Skills zu vermitteln“, sagt Jule Koops-Krüger.

Wer die Kinder am Ende des 45-minütigen Glücksunterrichts dabei beobachtet, wie sie gemeinsam den Song „Ich bin wichtig, und so wie ich bin, bin ich richtig!“ rappen, der wünscht sich, dass alle Grundschulkinder in den Genuss kommen, in Sachen Glück unterrichtet zu werden.


Daten und Fakten zum Glücksunterricht

Was Glücksgefühle bewirken: Studien belegen, dass Glück zu einem höheren Wohlbefinden, einer besseren Gesundheit und sogar zu mehr Kreativität führen kann. Menschen, die glücklich sind, haben ein stärkeres Immunsystem, sind stressresistenter, können Probleme besser lösen, sollen produktiver sein und sogar länger leben.

Kann man Glücklichsein lernen? Ja, sagt der Glücksforscher Tobias Rahm, Diplom-Psychologe an der TU Braunschweig. Er plädiert dafür, dass Schülerinnen und Schüler ihr Glücksempfinden im Unterricht trainieren und damit ihre mentale Gesundheit stärker in den Fokus rücken. Rahm hat an 16 Braunschweiger Grundschulen das Pilotprojekt „Glücksunterricht“ gestartet. Auch der Benediktinermönch und Bestsellerautor Pater Anselm Grün meint, dass Glück eine Frage der Haltung und der Perspektive sei und sich beides einüben lasse. Viele Glücksexperten und Lehrkräfte sind davon überzeugt, dass „Glück“, also Zuversicht und Selbstvertrauen, im Unterricht vermittelbar sind.

Das lernen Kinder im Glücksunterricht: Welche Gefühle gibt es? Welche Gefühle sind wertvoll und wie kann man mehr davon haben? Wie kann man sich seiner selbst bewusst sein – beispielsweise seiner Stärken und wie kann man sie fördern? Wie mit Niederlagen umgehen und daraus lernen? Wie kann man Dankbarkeit empfinden und sie kommunizieren? Was bedeutet Hilfsbereitschaft und was Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber? All diese Themen werden den Kindern spielerisch mithilfe kreativer Übungen und Geschichten vermittelt. Bei einer Dankbarkeitsübung etwa machen sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig mit Postkarten Komplimente. Noten werden in diesem Fach nicht vergeben und auch klassische Prüfungen entfallen, denn es geht nicht um Leistung, sondern darum, den Kindern „Social Skills“ zu vermitteln.

Glücksunterricht weltweit: Glücksunterricht an Schulen nimmt weltweit zu. Als Vorreiter gilt die Geelong Grammar School in Australien, die schon seit 2007 „Glück“ als Unterrichtsfach anbietet. An der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg kann man „Glück“ als Abiturfach wählen. In Neu-Dheli wird es täglich an den Schulen unterrichtet. Carina Mathes gilt in Deutschland als eine der Mitbegründerinnen. Sie entwickelte im Jahr 2010 gemeinsam mit zwei Lehrkräften der vierten Klasse das Unterrichtsmodell „Glück macht Schule“ und veröffentlichte 2011 auch ein begleitendes (Lehr-)Buch.

Was Glücksunterricht kann und was nicht: Durch Glücksunterricht das Glücksempfinden der Kinder zu trainieren, soziale Kompetenzen zu vermitteln und auf sich und andere besser Acht zu geben, ist fraglos wichtig und gut. Dennoch sind Kinder für ihr Glück(sempfinden) nicht allein verantwortlich, denn ihre Lebenseinstellung ist auch bestimmt von genetischen Faktoren und sozialen Gegebenheiten sowie davon, was ihre Eltern ihnen vorleben. Deshalb ist es wichtig, dass die Familien der Kinder mit einbezogen werden und dass Kinder, die zu Hause kaum Positivität vorgelebt bekommen, durch den Glücksunterricht eine neue Lebenseinstellung kennenlernen und verstehen, dass sie Dinge anders machen können. Ein hohes Glücksempfinden trägt zwar dazu bei, Erkrankungen vorzubeugen. Leidet ein Kind aber zum Beispiel unter einer Depression oder einem Burnout, genügt es nicht, positiv zu denken und dankbar für die kleinen Dinge im Leben zu sein. In diesem Fall ist psychologische Hilfe gefragt.

Quelle: Technische Universität Braunschweig