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Interview über Ende der Energieverstromung„Übereilter Ausstieg ist Kamikaze“

Lesezeit 4 Minuten
Hambacher Forst Demo

Braunkohlegegner demonstrieren im April gegen die Abhölzung.

Befürchten Sie, dass die Arbeit der Kohle-Kommission in einen übereilten Ausstieg aus der Braunkohle mündet?

Kirchhoff: Ja, das muss man befürchten. Es ist unstrittig, dass wir eines Tages ohne Kohle auskommen müssen. Es ist aber unverantwortlich, als erstes einen Termin für den Ausstieg festzulegen, ohne vorher die erforderlichen Voraussetzungen festzulegen. Wir dürfen uns von den Kohlegegnern weder treiben noch erpressen lassen.

Woher kommt das Misstrauen, was die Kohlekommission betrifft?

Weber: Weil die Umweltschützer in der Kommission am lautesten agieren, ist der Eindruck entstanden, es ginge in erster Linie um ein schnelles Ausstiegsdatum. Denen ist es offenbar wichtiger, den Kahlschlag von Bäumen zu verhindern als den Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen. An der Braunkohle hängen im Revier direkt 30 000 Jobs und zusätzlich 250 000 Industriearbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, die ohne gesicherte Energieversorgung wegfallen würden. Ein überhasteter Ausstieg kann drastische sozialpolitische Folgen haben, die gerne außer Acht gelassen werden.

Greenpeace behauptet, durch einen schnellen Braunkohleausstieg in Deutschland ließen sich jährlich 27,9 Milliarden Euro für Schäden und Zusatzkosten vermeiden. Wäre ein „goldener Handschlag“ für die RWE-Mitarbeiter nicht sinnvoller, als die Kraftwerke weiter laufen zu lassen?

Kirchhoff: Solche Berechnungen sind – freundlich gesagt – Märchen. Die Realität sieht ganz anders aus. Die Verbraucher müssen die Zeche für die Energiewende mit explodierenden Strompreisen zahlen. Die Energiewende kostet uns pro Jahr 24 Milliarden Euro mehr. Die Bezahlbarkeit der Energie ist aber ein Ast, auf dem wir sitzen. Außerdem sind wir bei Netzausbau und Speichertechnologie noch lange nicht am Ziel. In diesem heißen Sommer wehte kaum Wind, da wären ohne Braunkohlestrom die Lichter ausgegangen.

Zu den Personen

Voogt Interview

DGB-Chefin Sabine Graf (Mitte) und Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff (l.) im Gespräch mit Gerhard Voogt.

Anja Weber

Geboren 1961 in Dortmund. Gtudium von Politikwissenschaft, Soziologie, Europäische Ethnologie und Volkswirtschaft in Marburg. Seit 1992 verschiedene Funktionen in der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Von 2014 bis 2017 Landesschlichterin im Arbeitsministerium NRW. Vorsitzende des DGB NRW seit Ende 2017.

Arndt Kirchhoff

Geboren 1955 in Essen. Studium des Wirtschaftsingenieurwesen in Darmstadt. Seit 1990 Vorsitzender der Geschäftsführung der Kirchhoff-Gruppe, einem Automobilzulieferer. Seit 2013 Präsident des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Präsident der NRW-Unternehmensverbände und Vizepräsident der Arbeitgeberverbände.

Kohlegegner sagen aber, gerade der heiße Sommer sei ein Weckruf dafür, schneller auszusteigen.

Weber: Aber es ist doch eine stark verkürzte Herleitung, bei der Suche nach den Ursachen für den Klimawandel vor allem auf die Braunkohlekraftwerke zu zeigen. Auch beim Thema Verkehr ist noch viel zu tun. Wir helfen dem Klima nicht, wenn wir unsere Industrie, die hohe Umweltauflagen erfüllt, abwickeln und die Produktion in Länder verlagern, in denen Grenzwerte keine Rolle spielen. Und solange wir keine Versorgungssicherheit haben, ist ein übereilter Ausstieg Kamikaze.

Die Landesregierung ist durch Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) in der Kommission vertreten. Vertrauen Sie ihm nicht?

Weber: Ich würde mir eine mutigere Industriepolitik wüschen. Er darf sich nicht mit dem „Entfesseln“ zufrieden geben, sondern muss den Anspruch haben, den Strukturwandel im Revier aktiv mitzugestalten

Kirchhoff: Doch, ich vertraue ihm. An seinem Bekenntnis zum Industriestandort Nordrhein-Westfalen habe ich keinen Zweifel. Aber die Landesregierung muss den Bürgern vielleicht noch deutlicher machen, was auf dem Spiel steht.

Entfremdet sich der DGB von den Umweltverbänden?

Weber: Das hoffe ich nicht. Der DGB hat ein klares umweltpolitisches Profil und will den Strukturwandel mit mehr Klimaschutz verbinden. Unser Ziel ist, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden.

Am Hambacher Forst drohen schwere Krawalle. Kann RWE nicht erstmal woanders baggern, um den Konflikt nicht zusätzlich anzuheizen?

Kirchhoff: Wenn der Weg bis zum Ausstieg auch über den Hambacher Forst geht, dann müssen wir ihn gehen. Wir leben nicht in einer Bananenrepublik. Die Kohlekommission darf die Planungssicherheit von RWE nicht gefährden. Die Umweltschützer bauen einen Popanz auf, wenn sie suggerieren, dass ein Beschluss zum Sofortausstieg durch die Kohlekommission unmittelbar bevorstehe und der Hambacher Forst dadurch gerettet werden könnte. Deswegen macht auch die Forderung nach einen Moratorium keinen Sinn.

Weber: Die Kollegen von RWE wurden in der Vergangenheit immer wieder von radikalen Aktivisten angespuckt und angegriffen. Das sprengt den Rahmen einer demokratischen Auseinandersetzung. Ich appelliere an alle Beteiligten, nicht weiter zu polarisieren. Auch die Landesregierung sollte zur Entschärfung beitragen. Der Anspruch, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu verbessern, darf sich nicht darauf begrenzen, ein Heimatministerium zu gründen. NRW-Umweltministerin Heinen-Esser ist in der Umweltszene gut vernetzt. Die Landesregierung sollte ihre Kontakte nutzen, um eine Eskalation zu verhindern.

Das Gespräch führte Gerhaard Voogt