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Interview über Brände im Amazonas„Das Holz geht auch nach Europa“

Lesezeit 5 Minuten
Brand Regenwald Brasilien

Feuerwehrleute kämpfen seit Wochen gegen die Brände im brasilianischen Regenwald.

  1. Seit Wochen brennt es in Teilen des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien.
  2. Cesar Cunha Campos, der Europa-Chef von FGV Projetos, der größten brasilianischen Denkfabrik, spricht über die Krise des Landes und Präsident Bolsonaro.
  3. Außerdem erklärt er, warum er sich bei der Wahl der Europa-Niederlassung für Köln als Standort entschieden hat.

Herr Campos, Ihre Stiftung gehört zu den größten regierungsunabhängigen Institutionen in Brasilien. Die weltweite Kritik an der derzeitigen Regierung und Ihres Präsidenten reißt nicht ab, worauf Bolsonaro äußerst dünnhäutig reagiert. Woran liegt das?

Die Menschen müssen Brasilien verstehen lernen. Viele Menschen auch aus Europa waren noch nie dort. Sie können sich auch nicht die Dimensionen des Landes mit einer fast doppelt so großen Fläche wie Europa vorstellen. Brasilien ist ein demokratisches und freies Land, mit einer im Wettbewerb gewählten Regierung. Ob einem der Präsident, die Regierung oder einzelne Minister nun gefallen oder nicht. Das muss man bitte respektieren! Und nicht darüber hinweggehen, sonst entsteht nämlich leicht der Eindruck, dass das Land immer noch eine europäische Kolonie sei.

Zur Person und Denkfabrik FGV Projetos

Cesar Cunha Campos studierte Ingenieurwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften in Rio sowie in London. Er arbeitete als Berater und realisierte zahlreiche Projekte für namhafte brasilianische Unternehmen. Seit 2003 ist er Direktor von FGV Projetos, der technischen Beratungsabteilung der „Fundação Getulio Vargas“ (FGV).

Die Stiftung ist eine der wichtigsten Denkfabriken Lateinamerikas. Sie wurde 1944 gegründet und hat als Beratungsinstitution und Ausbildungsstätte mit acht Universitäten eine hohe Reputation in Brasilien. 2016 eröffnete sie ihr erstes Auslandsbüro als Europavertretung weltweit in Köln auf dem Gelände der Messe. Ende der Woche reist eine Kölner Delegation zu den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen in Natal an der nordöstlichen Küste des größten lateinamerikanischen Landes. (cos)

Rodung und Brände im Regenwald sind allerdings eine Umweltkatastrophe mit globalen Folgen...

Zum Thema Regenwald ist zu sagen: Es sind nicht nur die Europäer, die den Regenwald erhalten möchten. Auch wir Brasilianer wollen das auch in der großen Mehrheit. Aber wie kann man davon ausgehen, dass die Menschen, die etwa im Amazonas leben, Wald nicht auch wirtschaftlich nutzen dürfen? Wir als Stiftung plädieren bereits seit Jahren für eine nachhaltige Landwirtschaft dort. Da gibt es auch bereits ein Menge guter Beispiele für.

Aber der Preis für die wirtschaftliche Nutzung des Amazonas ist enorm hoch?

Man darf nicht vergessen, Brasilien produziert sehr große Mengen von Lebensmitteln für die ganze Welt. Wir sind der weltweit größte Kaffeeproduzent. Des Weiteren liegen wir weltweit in der Spitze mit Orangensaft, Soja, Fleisch und Zucker – und ein nicht unerheblicher Teil davon geht auch nach Europa. Und man kann auch mal fragen, wohin das Holz der Rodungen für neue Agrarflächen geht – natürlich auch nach Europa. Das Agrargeschäft ist unser wichtigster Wirtschaftsfaktor. In Deutschland möchte auch keiner hören „hört doch bitte auf, Autos zu bauen“.

Cunha Campos

Cesar Cunha Campos

Jetzt gibt es Stimmen, die das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten mit Auflagen verknüpfen wollen. Wird es zustande kommen?

Für Brasilien und Südamerika hat es eine große Bedeutung. Es gibt noch immer hohe Handelshemmnisse zwischen den beiden Wirtschaftsräumen. Seit zwanzig Jahren wird über ein solches Abkommen debattiert. Die neue Regierung in Brasilien hat nun den Durchbruch in nur sechs Monaten geschafft. Jetzt muss es aber natürlich noch ratifiziert werden. Und da sind die momentanen Emotionen nicht gerade zuträglich. In Brasilien weiß man um die Sensibilität des Themas und wird eine Lösung anstreben.

Wirken die dauernden Spannungen zwischen der Europäischen Union und den USA in Handelsfragen begünstigend?

Sicher, ein Stück weit schon. Die neue Regierung in Brasilien hat sich zum Ziel gesetzt, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen. Das Abkommen ist ein elementarer Bestandteil dessen. Wir haben bereits sehr enge wirtschaftliche Verflechtungen mit den USA, aber wir brauchen einen weiteren größeren Partner. Da liegt doch die Europäische Union auf der Hand.

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Brasilien gehörte lange neben Russland und China zu den wirtschaftlich aufstrebenden Staaten. Nun steckt das Land in einer Krise. Wie kam es dazu?

Brasilien hat schlicht mehr ausgegeben als es eingenommen hat: Das ist schon mal ein wesentlicher Punkt. Brasilien sollte sich nach den Jahren der Rezession wieder gegenüber anderen Märkten stärker öffnen. Auch sollten wir als Brasilianer den Protektionismus bekämpfen und den Wettbewerb innerhalb des Landes stärken ebenso wie die Wettbewerbsfähigkeit der brasilianischen Unternehmen erhöhen. Dafür steht auch Finanz- und Wirtschaftsminister Paulo Guedes, ein erklärter Anhänger Ludwig Erhards. Übrigens geschieht dies auch, indem wir brasilianische Unternehmen stärker ins Ausland begleiten. Es gibt bereits in Köln und der Region einige davon. Es sollten aber noch sehr viel mehr werden. Auf der Ernährungsmesse Anuga in diesem Jahr wird man das wieder sehen. Zudem wird in Brasilien noch zu sehr in klassischer Industrie gedacht. Wir müssen uns stärker auf die Digitalisierung und die Industrie 4.0 konzentrieren. Da hilft auch die enge Kooperation mit Deutschland und Europa.

FGV ist die größte Denkfabrik in Brasilien. Für die Europa-Niederlassung haben Sie sich für Köln entschieden. Warum?

Es war der ehemalige Oberbürgermeister Jürgen Roters, der stark um uns geworben hat. Die Wirtschaftsförderung der Stadt hat uns ebenso unterstützt. Wir haben uns hier von Beginn an sehr willkommen gefühlt, gerade auch durch das Engagement der Kölner Messe, auf deren Gelände wir arbeiten und mit der wir eng zusammenarbeiten, etwa in dem wir geholfen haben, einen Ableger der Ernährungsmesse Anuga nach Brasilien zu bringen. Außerdem sind wir hier geografisch sehr gut positioniert und haben zahlreiche wichtige Unternehmen, auch der Digitalwirtschaft, in der Nähe. Und Köln und Rio verbindet nicht nur die langjährige Städtepartnerschaft, sondern auch die Weltoffenheit. Das hat viele Brasilianer bisher bewogen, hier nach Köln oder in die Region zu kommen.