Köln – Mit der Harmonie ist es schon lange vorbei. Bei den Gremiensitzungen der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR), die den Strukturwandel weg von der Braunkohle hin zu klimaneutralen Industrieproduktion als Dienstleister vor allem für die besonders betroffenen 20 Tagebau-Kommunen begleiten soll, kracht es regelmäßig.
Deutliche Kritik an Wirtschaftsminister Pinkwart
Doch jetzt liegen die Nerven blank. Das 11-Punkte-Papier, das von den drei Vertretern der Anrainer-Kommunen federführend verfasst wurde und am Mittwoch von den Gesellschaftern verabschiedet werden soll, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Tenor das Papiers: Wenn wir nicht sofort gegensteuern, droht der Strukturbruch in einer Region, von der mindestens 50.000 Arbeitsplätze in den energieintensiven Industrien von einer „preisstabilen Versorgungssicherheit“ abhängig sind.
Diesen Transformationsprozess bis zum Jahr 2038 zu schaffen, sei schon schwer genug. „Würde der nun noch mal deutlich vorgezogen, so blicken wir mit großer Sorge auf die Zukunft unserer Region“, heißt es in dem Papier.
Einer der Verfasser des 11-Punkte-Papiers heißt Sascha Solbach (SPD), Bürgermeister von Bedburg, einer Stadt mit 25.000 Einwohnern, die besonders stark vom Braunkohle-Tagebau und RWE abhängig ist.
Seine beiden Mitstreiter, Andreas Heller (CDU), Bürgermeister von Elsdorf und Thomas Hissel (SPD), Erster Beigeordneter der Stadt Düren, kritisieren, dass die Landesregierung nicht auf die vielen Vorschläge reagiert habe, die von den betroffenen 20 Kommunen im Rheinischen Revier zum Teil mehrfach vorgetragen worden seien.
Bürgermeister Solbach: Schluss mit den Sonntagsreden
„Wir haben zum Thema Strukturwandel schon genug Sonntagsreden gehört“, sagt Solbach dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Im Zehn-Punkte-Programm, das NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) kürzlich vorgestellt habe, „stehen lauter Dinge, die wir schon längst kennen und mit denen wir nicht einverstanden sind. Es bringt nichts, Institutionen der Landesregierung noch weiter aufzupumpen. Wenn man ehrlich ist, blickt schon lange keiner mehr durch, wer für was eigentlich zuständig ist, wer die relevanten Akteure sind, die am Ende auch darüber entscheiden, was passiert“, sagt Solbach.
Das 11-Punkte-Papier enthält zentrale Forderungen der Kommunen, von denen sie glauben, dass sie unerlässlich sind, um einem um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg wenigstens halbwegs abfedern zu können.
Dazu zählt die Einrichtungen von begrenzten und zeitlich befristeten Sonderwirtschaftszonen, „Unternehmen, die zu uns in die Region wollen oder die schon da sind und sich umbauen müssen, finanzielle und steuerliche Anreize zu geben“, sagt Solbach und macht das an einem Beispiel deutlich.
Von 123 angemeldeten Projekten nur eins genehmigt
Bedburg habe mit dem Unternehmen Hydro Aluminium im benachbarten Grevenbroich ein Konzept entwickelt, so „dass wir ihnen aus unserem Windpark in Zukunft grünen Wasserstoff liefern, damit sie weiterhin das energieintensive Aluminium-Recycling betreiben können“. Das Gemeinschaftsprojekt habe alle Prüfprozesse der ZRR durchlaufen, auch alle drei Sterne bekommen und sei als förderwürdig eingestuft worden.
Fördergelder seien bisher aber nicht geflossen. „Wenn wir Geld haben wollen, müssten wir über das Bundesforschungsministerium Fördermittel in Anspruch nehmen“, sagt Solbach. „Damit könnten wir einen Demonstrator für einen Wasserstoff-Elektrolyseur kaufen, den es längst hundertfach gibt in Deutschland. Wir müssten das Projekt auf drei Jahre befristen, den Demonstrator danach wieder abbauen oder an irgendwen verkaufen. So setzt man vor Ort keine neuen Wertschöpfungsketten in Gang.“
Unternehmen durch direkte Subventionen unterstützen
Es müsse doch darum gehen, durch direkte Subventionen bei Unternehmen eine Wirtschaftlichkeitslücke für einige Jahre zu schließen. „Die Industrie braucht günstigen Wasserstoff, damit sich die Investitionen lohnen, um die Produktion umzustellen. Die wollen emissionsfrei werden. Und genau da müssten wir sie abholen“, sagt Solbach. Nichts dergleichen geschehe.
Von 123 Projekten, die Kommunen bei der ZRR eingereicht hätten, sei bisher ein einziges bewilligt worden. „Wir brauchen zuerst einmal finanzielle Möglichkeiten, „um ad hoc reagieren und die Transformation anstoßen zu können“.
Die Angst vor dem Strukturbruch geht um
Die größte Sorge in der Region sei, dass bei einem vorgezogenen Kohleausstieg eine Lücke entstehe, die sich nicht mehr schließen lasse. Die Angst vor einem Strukturbruch sei real. Das Wertschöpfungssystem der Region sei in hohem Maße von RWE Power abhängig. „RWE vergibt jedes Jahr 750 Millionen Euro an Aufträgen an Unternehmen im Rheinischen Revier.“
In NRW stünden ganze Branchen vor dem Umbruch, deshalb müsse man im Rheinischen Revier sehr schnell einen Fördermodus entwickeln, „der am Ende überall im Land anwendbar ist. Es gibt aber keinen echten Willen, sich schnell auf diesen Weg zu machen“, so Solbach.
„Wir können uns auch keine langwierigen Planungsprozesse mehr leisten.“ Die Landesregierung müsse sehr schnell Sonderplanungszonen ausweisen, in denen neue Gewerbegebiete mit geringeren bürokratischen und juristischen Hürden entstehen können.
Bisher keine Zusagen von Fördergeldern an Kommunen
Die ZRR sei so aufgebläht, dass sie kaum noch arbeitsfähig sei. „Für unsere Projekte gibt es keine Förderzusagen, dagegen hat die Landesregierung mittlerweile 31 Projekte durch eigene Einzelentscheidungen bewilligt“, klagt Solbach. Von den 14,8 Milliarden Euro, die NRW an Strukturhilfen zur Verfügung stehen, seien zwei Drittel bereits zweckgebunden, stünden nicht mehr zur Verfügung. Im Jahr 2022 werde die ZRR auf 64 Vollzeitstellen aufgestockt. „Die Agentur soll unser Dienstleister in der Region werden. Wir fragen uns schon, welche Leistungen sie uns bisher angeboten hat?“