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Kurzausbildung in der KritikIn NRW fehlen bis 2025 rund 1200 Lokführer

Lesezeit 6 Minuten
Bahn Azubi

Ein Auszubildender am Führerstand eines Triebwagens. Die DB bildet ihr Personal in NRW grundsätzlich selbst aus. 

Köln/Düsseldorf – Traumberuf Lokführer? Der Markt ist seit Jahren leer gefegt, die Nachfrage riesig. Allein in NRW werden bis 2025 rund 1200 Nachwuchskräfte gesucht. Die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter versuchen alles, um Quereinsteiger für den Beruf zu begeistern. Und stecken viele Millionen Euro in deren Ausbildung.

Das Prinzip: Wer arbeitslos ist, einen Eignungstest besteht, bekommt einen Bildungsgutschein und kann sich damit eine Lokführerschule suchen. 33 000 Euro kostet jede Umschulung im Durchschnitt, sie dauert zwischen neun und zwölf Monate. Darin sind die Kosten für den Lebensunterhalt nicht enthalten. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die Durchfallquote liegt laut Agentur für Arbeit bei 42,5 Prozent. Insider halten selbst diese Zahlen für geschönt.

Nichts geht ohne Bildungsgutschein

Woran liegt das? Wir treffen einen angehenden Lokführer, der nach einer Odyssee durch verschiedene Fahrschulen im Spätherbst endlich eine Ausbildung begonnen hat. Axel Kämper (Name geändert) will anonym bleiben. Der gelernte Busfahrer muss aus Krankheitsgründen umschulen.

Seine Erfahrung mit Bewerbungen bei Lokführerschulen fasst er so zusammen: „Die erste Frage lautet immer: »Haben Sie Bildungsgutschein?«“ Der 56-Jährige konnte den zunächst nicht vorweisen, weil die Agentur für Arbeit die Umschulung noch nicht genehmigt hatte. Ohne Gutschein keine Ausbildung. Mit Gutschein habe sich das schlagartig geändert. „Ich hätte sofort überall anfangen können. Ein Unternehmen habe ihm sogar ohne Eignungsprüfung den Ausbildungsvertrag zugeschickt. „Die haben mich nicht mal gesehen“, so Kämper.

Rotlichtfahrten-Signalverfehlungen

Ein Einzelfall? Keineswegs, sagt Helmut Diener. Das Geschäft mit den Bildungsgutscheinen sei höchst lukrativ. Lokführerschulen schössen wie Pilze aus dem Boden. Rund 120 gibt es in Deutschland, die meisten davon in NRW. Vor sieben Jahren seien es rund 20 gewesen. Diener, selbst Lokführer und Vorsitzender der Interessengemeinschaft Mobifair, die sich für fairen Wettbewerb in der Mobilitätswirtschaft einsetzt, spricht von einer „Schmuddelausbildung“, die das Berufsbild des Lokführers systematisch zerstöre . Das alles sei „höchstgefährlich“ für die Sicherheit des Bahnbetriebs.

Bundesrechnungshof eingeschaltet

Laut Bundesagentur für Arbeit wurden 2019 bundesweit 1780 Lokführer-Ausbildungen gefördert. Die hohen Durchfallquoten kann der Mobifair-Vorstand nur bestätigen. „Von denen, die tatsächlich anfangen, kommen etliche nach ein paar Wochen nicht mehr zur Arbeit, weil sie merken, dass sie auch samstags, sonntags und an Feiertagen fahren müssen“, sagt Diener. Mobifair beziffert den Schaden durch Abbrecher und Frühaussteiger für 2019 auf 25 Millionen Euro. „Wir haben das dem Bundesrechnungshof und dem Bund der Steuerzahler gemeldet. Beide hatten kein Interesse.“

Bildungseinrichtungen, die Lokführer schulen wollen, müssen sich vom Eisenbahnbundesamt zertifizieren lassen. Doch die Aufsichtsbehörde für den Bahnbetrieb scheint keine große Hürde zu sein. „Das geschieht weitestgehend durch sogenannte Dokumentenprüfungen aus der Ferne ohne vor Ort gewesen zu sein“, kritisiert Diener. „Qualitätskontrollen finden kaum statt.“ Bis auf die DB kümmert sich kaum eines der 450 Eisenbahn-Unternehmen um die Ausbildung. Zu langwierig, zu teuer, zu riskant.

Das Eisenbahnbundesamt weist den Vorwurf der mangelhaften Kontrolle zurück. Auf Nachfrage teilt die Behörde schriftlich mit, man stelle die Qualität „etwa durch Vor-Ort-Kontrollen oder die Teilnahme an Prüfungen sicher“. Nicht nur die Lokführerschulen, auch die Prüfer, die sie zertifizieren, bräuchten eine Zulassung der Behörde.

Ausbilder kritisiert die Ausbildung

Ist die Kritik von Mobifair übertrieben? „Nein“, sagt Martin Meder, seit 23 Jahren zertifizierter Ausbilder, Prüfer und Inhaber einer Lokfahrschule mit Standorten in Krefeld und Travemünde. „Viele Bildungsträger machen schnell Kasse, ohne eine vernünftige Leistung zu bieten.“ Überdies bestehe das Klientel, das mit Gutscheinen eine Ausbildung beginne, „vor allem aus Problemfällen, die auf dem Arbeitsmarkt übrig geblieben sind“. Bewerber ohne hinreichende Deutschkenntnisse hätten es doppelt schwer. „Die kommen mit dem Beamtendeutsch nicht zurecht. Vielen fehlt technisches Hintergrundwissen.“

Signalkunde, Bremskunde, Fahrdienstvorschriften. Allein die Unterlagen zur Erlangung des EU-Triebfahrzeug-Führerscheins umfassen laut Meder 5000 Seiten. Dabei bescheinigt der Führerschein nur die allgemeine Eignung „für das Führen von Eisenbahnfahrzeugen“, das Eisenbahnbundesamt akzeptiere, „dass dieser Führerschein nach zwölfeinhalb Unterrichtstagen gemacht werden kann. Auch wenn man damit noch keine Lok fahren darf geht das so nicht weiter. Wir produzieren keine Sicherheit mehr, es geht vor allem um den Kommerz und die Aufsichtsbehörde schaut weg“, so Meder.

Ganze Kurse fallen durch

Es gebe Anbieter, die nicht einmal einen Eignungstest verlangen. „Die fragen nur nach dem Bildungsgutschein. Wenn der Bewerber dann die medizinisch-psychologische Untersuchung besteht, fließt das Geld“, so Meder. Danach müsse man ihn nur lang genug im Kurs halten. Das böse Erwachen komme bei der Abschlussprüfung, die durch vom Eisenbahnbundesamt zertifizierte Prüfer abgenommen wird. „Da fallen dann ganze Kurse durch“, sagt Meder.

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In Nordrhein-Westfalen hat das Verkehrsministerium vor knapp zwei Jahren die Notbremse gezogen. Damit der Lokführermangel nicht dazu führt, dass der Regionalverkehr im bevölkerungsreichsten Bundesland zusammenbricht, hat das Land die Bahnunternehmen und die Verkehrsverbünde im Februar 2019 zu einem Bündnis gezwungen. „Fokus Bahn“, so der Auftrag, sollte die Wildwest-Methoden bei der Personalsuche mit 5000 Euro-Kopfprämien für wechselwillige Lokführer beenden und dafür sorgen, dass bei der Nachwuchssuche das Qualitätsniveau steigt. Das Land beteilige sich an dem Bündnis, „weil es in unserem Interesse liegt, dass das System Bahn in NRW stabil läuft“, sagte Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) damals.

Zwei Jahre später ist zumindest eins gelungen. „Fokus Bahn“ bringt Bewerber und Bahnunternehmen, die nicht selber ausbilden, zusammen und spricht Empfehlungen für Lokführerschulen aus, „mit denen wir gute Erfahrungen gemacht haben“, sagt Barbara Tünnemann vom Programmbüro. Die ersten Ergebnisse seien positiv, der Markt bleibe weiter angespannt. „Wenn die Verkehrswende und der Deutschland-Takt 2030 wirklich kommen, wird sich die Nachfrage weiter erhöhen.“

Bahn bildet Personal nur selbst aus

Die Deutsche Bahn in NRW bildet ihr Fahrpersonal grundsätzlich selbst aus. „Wir arbeiten nicht mit externen Bildungsträgern zusammen, sondern setzen auf unsere interne qualitativ hochwertige Ausbildung“, heißt es in einer Stellungnahme. Die werde für Quereinsteiger seit diesem Jahr in einer Akademie für Triebfahrzeugführer organisiert. Alle künftigen Lokführer erhielten „vom ersten Tag der Qualifizierung ein Ausbildungsgehalt. Die Quote der Abbrecher und Aussteiger sei „verschwindend gering“, so ein Sprecher.

Warum werden die schwarzen Schafe unter den Lokfahrschulen von der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern nicht einfach ausgeschlossen? „Wir dürfen die Vergabe der Bildungsgutscheine nicht an einen Anbieter koppeln, sagt ein Sprecher. Es dürfe „zu keiner Zeit eine geschäftliche Beziehung zwischen der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter und dem Bildungsanbieter“ bestehen. Eine Kontrolle finde nur anlassbezogen statt, wenn es zum Beispiel zu Beschwerden von Teilnehmern komme oder der Kostensatz überschritten sei.

Mobifair fordert seit langem die Einführung einheitlicher Eignungstests, die sich am Regelwerk der DB orientieren müssten. Die Ausbildung müsse vereinheitlicht und eine zentrale Prüfungsdatenbank mit bundesweit gleichen Prüfungen erstellt werden. Darüber sei man mit Enak Ferlemann, dem für Bahnfragen zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, im Gespräch.

Das scheint dringend nötig. Inzwischen tauchen die ersten zertifizierten Schulen auf dem Markt auf, bei denen der theoretische Ausbildungsteil ausschließlich online absolviert wird und der Bewerber nicht einmal an einem Fahrsimulator sitzt.

„Man kann Lokführer nicht ausbilden, indem man sie an einer Modelleisenbahn vorbei laufen lässt“, sagt Mobifair-Vorstand Diener. Die Standards seien so weit heruntergefahren, dass die Sicherheit gefährdet sei. Diener führt als Beispiel die steigende Zahl von „Signalverfehlungen“ an. Diese Rotlichtfahren „wurden hauptsächlich durch Lokführer verursacht, die aus solchen Schulen kommen.“