AboAbonnieren

Ford, Bayer, CovestroWie der Brexit die NRW-Wirtschaft treffen wird

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Ford-Produktion in Köln

  1. Der Brexit wird Auswirkungen auf die Unternehmen in der Region haben.
  2. Ford, Bayer, Covestro – sie alle haben sich auf unterschiedliche Art und Weise auf den Austritt Großbritanniens aus der EU vorbereitet.
  3. Zunächst einmal ändert sich aber nicht viel. Ein Überblick.

Köln – Während die britischen Brexit-Befürworter über den Abschied aus der Europäischen Union jubeln und sicher sind, dass ihr Land in Eigenständigkeit floriert wie selten zuvor, herrscht bei den Brexit-Gegnern, der Rest-EU und auch in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft vor allem Unsicherheit: Was ändert sich alles, wenn Zölle drohen und Waren an der Grenze hängenbleiben? Wie haben sich die Unternehmen für die Zukunft positioniert? Und was heißt der Austritt Großbritanniens eigentlich für Verbraucher?

„Eigentlich ändert sich erstmal nichts“, sagt Jürgen Matthes auf die Frage, wie sich der Brexit in den kommenden Monaten auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien auswirken wird. Matthes leitet am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) das Kompetenzfeld Internationale Wirtschaftsforschung und hat sich intensiv mit dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union auseinandergesetzt.Bis zum 31. Dezember 2020 ist Großbritannien noch Teil des EU-Binnenmarktes und genießt die Vorteile der Zollunion – keine Grenzkontrollen, keine Zölle. Und dann? „Nix ist fix“, sagt Matthes über die Zeit nach der elfmonatigen Übergangsphase.

„Großbritannien ist Teil Europas, und das wird es immer bleiben“, sagt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP): „Jetzt kommt es darauf an, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen eine solide Grundlage zu schaffen, damit die wirtschaftlichen Beziehungen auch nach dem Brexit eng bleiben.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Dabei haben sich die Handelsbeziehungen schon deutlich verändert, seit 51,9 Prozent der britischen Wähler im Juni 2016 für den EU-Austritt stimmten. Gut ablesen lässt sich das an der Entwicklung der Exporte aus Deutschland nach Großbritannien: Von 1991 bis 2015 wuchsen die deutschen Exporte in das Vereinigte Königreich pro Jahr um durchschnittlich 5,3 Prozent. Dann kam es zur Kehrtwende: Während die deutschen Exporte in die EU von 2015 bis 2018 um 12,4 Prozent wuchsen, gingen die Ausfuhren in das Vereinigte Königreich um 7,8 Prozent zurück, stellte das IW kürzlich fest. Bei den Einfuhren zeigt sich ein ähnliches Bild: Die deutschen Importe aus der EU minus Großbritannien stiegen um 14,7 Prozent an, während die Einfuhren aus Großbritannien um 3,5 Prozent zurückgingen. Das IW bezeichnete die Zahlen als „Bremsspuren beim Handel zwischen Britannien und Deutschland“.

Auswirkungen auf die Unternehmen

„Der Ausstieg von Großbritannien aus der EU tut uns richtig weh, denn in Großbritannien sind wir Marktführer“, sagte Ford-Chef Gunnar Hermann bereits 2017. Viele der in Köln verbauten Motoren kommen aus England, und in deutschen Werken gefertigte Autos werden wieder auf die Insel geliefert – sollten künftig Zölle anfallen, wäre es also doppelt teuer. Ford und weitere Firmen würden wohl mit der Verlagerung von Teilen der Produktion in andere Länder reagieren, sollten Aufwand und Kosten im Vereinigten Königreich zu hoch werden.

Der größte Kölner Arbeitgeber und viele andere Unternehmen aus der Region haben Vorkehrungen getroffen, falls es aufgrund von verstärkten Grenzkontrollen zu Verzögerungen in der Lieferkette kommt. „Wir haben Vorratsbestände aufgebaut und stehen in konstantem Austausch mit Abnehmern und Lieferanten“, sagt etwa eine Sprecherin des Spezialchemiekonzerns Lanxess: „Auf unsere Arbeitskräfte erwarten wir nur geringe Auswirkungen, da die britische Regierung Optionen anbietet, um EU-Bürger anzusiedeln, die bereits im Vereinigten Königreich arbeiten und leben.“

Der Leverkusener Konzern Covestro hat sich zwar auf ein „No Deal“-Szenario vorbereitet, erwartet aber keine wesentlichen Auswirkungen auf sein Geschäft. Bayer hat zusätzliche Lagerkapazitäten geschaffen, um die Versorgung mit wichtigen Medikamenten sicherzustellen. Mit lokalen Lagern geht auch der Düsseldorfer Kosmetik- und Waschmittelhersteller Henkel, der rund zwei Prozent seines Umsatzes in Großbritannien erzielt, gegen etwaige Risiken vor.

Die Kölner Messe hat bereits 2019 festgestellt, dass es schwieriger wird, britische Aussteller für Veranstaltungen zu gewinnen. Jegliche Entwicklung, die dem freien Warenverkehr im Weg steht, sei auch für das Messegeschäft bedenklich, sagt Messechef Gerald Böse.

Die Industrie- und Handelskammer Köln (IHK) zählt die Automobilindustrie, Schienenfahrzeug- und Maschinenbau und die im Rheinland stark vertretene Chemie- und Pharmabranche zu den besonders betroffenen Wirtschaftszweigen. Unternehmen dieser Branchen hätten eine intensive Lieferbeziehung zu Großbritannien, „die nach einem Brexit nicht mehr aufrecht erhalten werden können, da sie sich dann nicht mehr rechnet“, sagt Alexander Hoeckle, IHK-Geschäftsführer International.

Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft beobachtet schon heute Indizien dafür, dass Auto- und Chemieunternehmen ihre Wertschöpfungsketten weniger stark an Großbritannien knüpfen und stattdessen Partner in anderen EU-Ländern suchen.

Der Standort NRW

Großbritannien hat als Handelspartner für NRW längst an Bedeutung verloren. „Unter dem Strich ist Großbritannien in der Rangliste der wichtigsten Handelspartner seit dem Referendum von Platz vier auf Platz acht gefallen“, heißt es aus dem NRW-Wirtschaftsministerium. Über das Generalkonsulat in Düsseldorf arbeite NRW jedoch an einer neuerlichen Intensivierung der Handelsbeziehungen, ein Schwerpunkt soll auf digitalen Themen wie dem Autonomen Fahren, Cybersicherheit und Künstlicher Intelligenz liegen.

Unterdessen siedeln sich immer mehr britische Unternehmen auch in NRW an: 129 waren es von 2016 bis 2019. Damit gibt es inzwischen rund 1500 Firmen aus dem Vereinigten Königreich in NRW. Das Bundesland ist Heimat für 22,4 Prozent aller britischen Unternehmen in Deutschland und damit Investitionsstandort Nummer eins für UK-Unternehmen.

Wie wichtig ein umfangreiches Freihandelsabkommen zwischen EU und Großbritannien ist, verdeutlicht auch die Zahl von 90 000 Arbeitsplätzen, die laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in NRW von Exporten nach Großbritannien abhängig sind. Das IW urteilte im Januar 2019: Aufgrund der intensiven Handelsverflechtungen würden NRW-Unternehmen negative, aber auch positive Auswirkungen des Brexit überdurchschnittlich stark zu spüren bekommen. Letztere könnte es vor allem dann geben, wenn Zölle und Grenzkontrollen die Geschäfte britischer Exporteure so stark erschweren, dass sich EU-Käufer nach neuen Lieferanten umschauen – eine Chance für den Standort NRW.