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Das Immobilien-ParadoxWenn Wohnraum fehlt – und die Büros massenweise leer stehen

Lesezeit 8 Minuten
Ein Zettel mit der Aufschrift „Wohnung gesucht“ hängt vor Wohnhäusern.

Ein Zettel mit der Aufschrift „Wohnung gesucht“ hängt vor Wohnhäusern.

Der Gewerbeimmobilien-Markt ist in der Krise – auch, wegen des sogenannten Schweinezyklus. Könnte der Umbau zu Wohnungen eine Lösung sein?

Der Skyper ist unter Frankfurtern so etwas wie der Hochhausliebling. Der Gebäudekomplex mit seinen klaren Kanten auf der einen und der rundlichen Form auf der anderen Seite ragt stolz in den Frankfurter Hochhaushimmel. Aus der Vogelperspektive erinnert er an einen Viertel-Donut.

Doch der Skyper im Frankfurter Bahnhofsviertel ist in diesen Tagen nicht nur ein Symbol für die wirtschaftliche Kraft der Bankenmetropole. Mit seinen 39 Stockwerken ist er in den vergangenen Jahren zugleich zu einem weithin sichtbaren Wahrzeichen für die Krise der Geschäftsimmobilien avanciert. Denn etwa ein Viertel seiner Büroflächen steht nach Angaben aus Branchenkreisen leer. Das sind um die 14.000 unvermietete Quadratmeter.

Wenn es um Immobilien in den Städten geht, denken die meisten wohl an knappen Wohnraum und überteuerte Mieten. Gleichzeitig jedoch hat sich ein zweiter Negativtrend in der Welt der Häuser ausgebreitet. Die Deutschen gehen nicht mehr regelmäßig ins Büro, zudem lassen sich Bürogebäude offenbar nicht mehr so gut verkaufen. Die Folge: ungenutzte Büros in Massen. Nicht nur in Frankfurt.

Gewerbeimmobilien sind schwer verkäuflich

Einer aktuellen Studie des Münchener Ifo-Instituts und der Maklerfirma Colliers zufolge lag die Leerstandsquote Ende vorigen Jahres bei 5,8 Millionen Quadratmetern – und zwar nur in den sogenannten Top-7-Städten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Franfurt am Main, Düsseldorf, Stuttgart). Was weit über den Werten der vergangenen zehn Jahre liegt.

Allenthalben ist von einer „Schockstarre“ die Rede: Gewerbeimmobilien sind schwer verkäuflich. „Die Zahlen über die Transaktionen im ersten Quartal sind relativ mau ausgefallen. Auch im Vergleich zum vorigen Jahr. Wir hatten mehr erwartet“, sagte Helge Scheunemann vom Immo-Experten Jones Lang LaSalle (JLL) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Die Krise erweist sich als äußerst hartnäckig - und entfaltet negative Strahlkraft weit über die Immo-Branche hinaus. Denn Großimmobilien dienen nicht nur zum Arbeiten und Wohnen, sondern auch als Kapitalanlage. Viele Milliarden US-Dollar und Euro werden von Vermögensverwaltern, Hedgefonds, Pensionskassen, Superreichen, Versicherungen und Banken für Investments in Lagerhallen, Büros, Hotels oder Einzelhandelsflächen und Mehrfamilienhäusern mobilisiert. Die großen Geldinstitute spielen dabei eine Doppelrolle. Sie betreiben nicht nur eigene mächtige Real-Estate-Abteilungen. Sie fungieren zugleich als Finanziers für Immobilienprojekte.

Die europäische Bankenaufsicht Eba schlug jüngst Alarm. Deutsche Banken hätten besonders heftig mit Krediten für Gewerbeimmobilien zu kämpfen, bei denen Zahlungsausfälle drohen. Laut Eba lag das Volumen der fauligen Darlehen Ende September 2023 noch bei 9,7 Milliarden Euro. Es kletterte bis Ende Dezember auf 13,6 Milliarden Euro.

Mieteinnahmen sind wichtiger Baustein für den Wert von Gewerbeimmobilien

Eba-Chef José Manuel Campa hat Gewerbeimmobilien zu einem der größten Risiken für die europäischen Geldhäuser erklärt. Sie müssten sich auf eine langanhaltende Krise einstellen, sagte Campa dem „Handelsblatt“.

Die wichtigsten Bausteine zur Bemessung des Werts von Gewerbeimmobilien sind der Kaufpreis und die Mieteinnahmen. Vor allem massiv erhöhte Zinsen lassen die Werte des vermeintlichen Betongolds an vielen Ecken und Enden zerbröseln. Das mindert die Zahlungsfähigkeit und die Kreditwürdigkeit der gesamten Immobilienbranche.

Die Branche ist mit Krisen vertraut

Die Immobilienbranche ist mit Krisen wohlvertraut. Sie sind in der Regel mit ökonomischen Schocks für ganze Volkswirtschaften verknüpft. „So dauerte die Abschwungphase am Immobilienmarkt Anfang der 90er-Jahre rund fünf Jahre und bei der Dot-Com-Krise zu Beginn der 2000er-Jahre dreieinhalb Jahre. Nur bei der globalen Finanzkrise war der Wendepunkt bereits nach knapp zwei Jahren erreicht“, erläutert Scheunemann.

Das Besondere hierbei war, dass die Immobilienbranche selbst die Krise auslöste, weil Banker zockten und enorme Risiken bei Finanzierungen von Wohnimmobilien eingingen. So wurden Häuser gebaut, deren Finanzierung gigantischen Kartenhäusern glich. Als diese in sich zusammenfielen, drohte das gesamte globale Finanzsystem zu kollabieren. Nur durch massive staatliche Eingriffe konnte das verhindert werden.

Der aktuelle Einbruch hat andere Ursachen. Zehn Jahre erlebte das Geschäft mit Immobilien einen beispiellosen Boom – angetrieben von Zinsen nahe dem Nullpunkt. Dann kam die Pandemie und direkt anschließend die Energiekrise, die die Inflation in die Höhe trieb. Die Europäische Zentralbank (EZB) hielt sehr lange die Füße still, musste dann aber in atemberaubender Geschwindigkeit die Zinsen in zehn Schritten heftig erhöhen. Das alles kommt in der Immobilienwelt einem Schock gleich.

In den Jahren der Hochkonjunktur von 2017 bis 2019 wurden laut der Ifo/Colliers-Studie in den Top-7-Städten jeweils gut drei Millionen Quadratmeter Bürofläche neu vermietet. Mit Covid brach die Nachfrage auf rund 2,5 Millionen Quadratmeter ein. Einer zweijährigen mittelprächtigen Erholung folgte 2023 mit dem Wirksamwerden der Zinserhöhungen ein herber Rückfall auf das Pandemie-Niveau. Eine flaue Konjunktur, geopolitische Unsicherheiten und ein grassierender Fachkräftemangel bewirkten ein Übriges.

„Die Zinserhöhungen waren brutal. Niemand hatte damit in diesem Maß gerechnet. Das waren schwere Einschläge für viele Eigentümer“, erläutert JLL-Experte Scheunemann. Pläne über Ausschüttungen von Erträgen aus den Vermietungen und Haltefristen für Immobilien gingen nicht mehr auf. „Projektentwickler wurden zudem von höheren Preisen für Material und höheren Arbeitskosten getroffen. Das war der Grund dafür, dass viele Bauprojekte auch gestoppt werden mussten.“ Eine Reihe von Projektentwicklern und Bauträgern wurde in die Insolvenz geschickt.

Der Schweinezyklus hat zugeschlagen

Zudem schlug ein Phänomen zu, was manche unter dem Stichwort Schweinezyklus kennen dürften. Scheunemann erklärt es so: „Gebaut und geplant wird in guten Zeiten. Wenn das Projekt dann fertig ist, haben sich die Märkte gedreht.“ Die Objekte kämen zu einem Zeitpunkt auf den Markt, an dem die Nachfrage schwächelt. „Deshalb konnten nicht alle Flächen wie geplant vermietet werden.“

Die Banken- und Hochhausstadt Frankfurt am Main eignet sich als eine Art Labor fürs Studium derartiger Verwerfungen: In Frankfurt und Umgebung steht derzeit mehr als eine Million Quadratmeter Bürofläche leer. Das ist fast jeder zehnte Quadratmeter. Laut JLL gab es von Januar bis März 2024 nur acht Transaktionen mit größeren Gewerbeimmobilien, so wenige in einem ersten Quartal wie seit 14 Jahren nicht mehr.

Mit den Deals wurde ein Umsatz von nur noch 120 Millionen Euro erzielt – zwei Drittel weniger als ein Jahr zuvor. Wobei es schon damals einen massiven Einbruch gegeben hatte. Dass sich dieser Trend ungebremst fortsetzt, lässt sich unter anderem am Beispiel Lufthansa belegen. Die Kranichlinie kündigte gerade an, ihre Büroflächen in Frankfurt um fast ein Drittel oder 60.000 Quadratmeter eindampfen.

Gleichwohl geben sich die Makler inzwischen bundesweit wieder etwas optimistischer. „Die Nachfrage zieht langsam wieder an“, sagt auch Scheunemann. Allerdings in einem etwas schrägen Modus. Käufer seien wieder bereit, sich zu engagieren. Das sei bei Verkäufern, die noch auf höhere Verkaufspreise hoffen, aber nicht unbedingt der Fall, sodass wenige Objekte angeboten werden. Das sei typisch für eine Übergangsphase.

Lagerhallen gewinnen an Charme

Solche Überlegungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass tektonische Verschiebungen im Geschäft mit Gewerbeimmobilien bereits längst in Gang sind. So wird die Lage des stationären Einzelhandels gerne als „strukturelle Krise“ apostrophiert. Der Bedarf nach Ladengeschäften insbesondere in zweiter oder dritter Reihe und in Einkaufszentren wird eher weiter schrumpfen, weil sich das Shoppen im Internet flächendeckend und in allen Altersgruppen durchgesetzt hat. Wirklich begehrt sind Ladenflächen eigentlich nur noch in Eins-a-Lagen.

Zugleich gewinnen graue Lagerhallen für Investoren an Charme. Hier steigt die Nachfrage. „Es ist deutlich geworden, wie wichtig Logistik für die Wirtschaft ist. Zudem wurde das Angebot ausgeweitet“, erläutert JLL-Experte Scheunemann. Ferner seien die Mieter verlässlich und garantierten stabile Einnahmen.

Seit Corona ein Megatrend: Das Arbeiten im Home Office

Richtig gravierend ist der Wandel im Büromarkt. Das erzwungenes Experiment während der Lockdowns hat sich zu einem Megatrend verfestigt: das Arbeiten daheim. Das Fazit der Ifo/Colliers-Studie: In den Top-7-Städten werde es „im wahrscheinlichsten Szenario einen langfristigen Minderbedarf an Büroflächen wegen Homeoffice von 12 Prozent“ geben. Uns zwar im Zeitraum bis 2030.

Für die Autoren der Studie ist klar: „Auch wenn die Auswirkungen über einen längeren Zeitraum gestreckt besser verkraftet werden können, steht der Büromarkt vor einem Stresstest.“ Das werde insbesondere die Besitzer älterer Gebäude treffen. Künftig werde stärker auf die Qualität der Immobilien und zum Beispiel auf deren Energiebilanz geschaut. Zugleich stünden die Unternehmen wegen der Alternative der Heimarbeit vor der Aufgabe, es ihren Mitarbeitern mehr denn je schmackhaft zu machen, wieder ins Büro kommen. „Wir brauchen mehr Home im Office.“

Was die Volumina der Geschäfte mit Büros angeht, steht für den JLL-Experten fest, dass wir so schnell nicht mehr auf das Niveau von 2018 und 2019 kommen. Scheunemanns Langfristanalyse: „Man muss die vergangenen zehn Jahre als Ausnahmen sehen. Was jetzt kommt, ist die Normalität. Man muss wieder mit Zinsen kalkulieren.“

Und mit einem deutlich kleineren Markt für Büroimmobilien. Die Hochrechnungen der Ifo/Colliers-Studie gehen davon aus, dass das Bedarf allein in den Top-7-Städten um 11,5 Millionen Quadratmeter bis 2030 schrumpfen wird.

Nun geht es um Umwandlung

Die Umwandlung von Büros dürfte einen Schub bekommen – machbar ist das Ummodeln in Wohnungen und Hotels, aber auch in Schulen. Die Stadt Frankfurt hat gerade die einst von der Commerzbank genutzten „Lateral Towers“ im Stadtteil Hausen gemietet, um auf dem 46.000 Quadratmeter großen Areal Räume für zwei Gymnasien herzurichten. Da noch viel mehr Schulen in der Mainmetropole fehlen, wird das nach Ansicht von Insidern nicht die letzte Anmietung dieser Art sein. Wobei der Skyper nicht unbedingt als Schulhaus taugen dürfte.