Das Rhein-Center in Weiden bekommt die Krise des Einzelhandels zu spüren. Der Center-Manager sieht die Lösung in Kreativität.
Krise der ShoppingcenterWie das Kölner Rhein-Center neue Wege sucht, um zu bestehen
Es ist bloß ein Papierfetzen, der da auf dem blankgeputzten Boden liegt, klein und unscheinbar. Stephan Antwerpen bückt sich danach, so wie er es auf dem Weg über die Gänge des Einkaufszentrums noch weitere Male tun wird, und wirft ihn in einen nahen Mülleimer. Seine Schritte sind zielstrebig. Er grüßt links und rechts: die Angestellten in den Geschäften, eine Gruppe Security-Männer auf dem Weg in den Feierabend. Man kennt sich. Schließlich ist es Antwerpens Aufgabe, den Betrieb am Laufen zu halten: Er ist der Center-Manager des Rhein-Centers in Köln-Weiden.
Das Center ist an diesem Nachmittag im frühen November gut besucht, der Geruch nach frischen Waffeln liegt in der Luft. Dennoch sind die Zeiten für ein Einkaufszentrum wie dieses alles andere als einfach. Die Corona-Pandemie mit ihren langen Lockdowns hat Spuren im Einzelhandel hinterlassen; Inflation, Personalmangel und schlechte Konsumstimmung die Situation weiter verschärft. Hinzu kommt, dass der Strukturwandel im Handel sich weiter beschleunigt, viele stationäre Händler geben auf. Und in Einkaufszentren, die dutzende Geschäfte beherbergen, laufen solche Entwicklungen unweigerlich zusammen.
PWC-Studie: Viele gehen seltener ins Einkaufszentrum
Laut einer PWC-Studie von Januar 2023 besuchen 51 Prozent der Befragten heute seltener ein Shoppingcenter als vor der Pandemie. Gefragt nach den Gründen geben 28 Prozent die Covid-Pandemie an, 24 Prozent, dass sie weniger Geld ausgeben, und 17 Prozent verstärktes Onlineshopping. Die Betreiberinnen und Betreiber von Shopping-Centern, die in der Studie befragt werden, glauben, dass 34 Prozent aller Center in Deutschland nicht zukunftsfähig sind.
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Antwerpen ist da für das Rhein-Center, das Teil der ECE Group ist, optimistischer: „Es gibt eine Zukunft“, sagt er. „So ein Center steht nie still. Wir haben vergangenes Jahr 50 Jahre Rhein-Center gefeiert. In 50 Jahren passiert viel.“
Doch das Management muss heute kreativer sein, wenn es darum geht, entstehende Löcher zu stopfen. Antwerpen läuft vorbei an einem leeren Ladengeschäft im Erdgeschoss. „Sorry, we are closed“, steht auf dem Papierschild. „Dieser Store ist dauerhaft geschlossen. Vielen Dank für Ihre Treue. Ihr Hallhuber-Team“ Erst Ende Oktober hat die Filiale geschlossen. Hallhuber ist insolvent.
„Das sind die Nachbeben der Krisen, die wir jetzt spüren“, sagt der Center-Manager. Hallhuber ist kein Einzelfall: Görtz, Gerry Weber, Galeria Kaufhof Karstadt – alle diese Filialisten meldeten in der Krise Insolvenz an, teilweise gleich mehrfach.
Wertigkeit der Geschäfte soll bewahrt werden
„Wir müssen in solchen Situationen aufpassen, dass das Center nicht kippt“, hat Antwerpen zuvor im Gespräch noch erzählt. „Dass es bei Schließungen nicht optisch danach aussieht, als sei alles verloren.“ Denn die Insolvenzen führen unweigerlich zu Leerständen – und die sind heute längst nicht mehr so zügig zu füllen wie früher. „Bei neuen Mietern müssen wir mehr Überzeugungskraft leisten. Sie schließen auch nicht mehr so langfristige Verträge ab“, sagt er. „Sieben Candyläden kriege ich hier im Zweifel rein. Aber wir müssen die Balance halten, die Latte bei den Vermietungen hoch hängen. Wir wollen unsere bestehende Kundschaft schließlich nicht vergraulen.“
Nirgends zeigen sich Krise und Veränderung so nah beieinander wie im ersten Obergeschoss, dort, wo sich einst der Eingang zu Galeria befand. Die Filiale hat die Pandemie nicht überlebt, seit Oktober 2020 ist sie geschlossen.
Zwar gehört die Ladenfläche nicht zum Rhein-Center selbst, sie hat einen separaten Eigentümer. Doch über diesen Eingang waren beide Gebäude miteinander verbunden. Seit der Schließung ist die weite Schaufensterfront abgeklebt. „Shoppingglück. Alles, was das Herz begehrt“, steht in geschwungenen Buchstaben auf weißem Grund. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass ein neuer Eigentümer dort ein Lager und Co-Working-Plätze einrichten will – also weg vom Einzelhandel geht. Die Leerstände des Centers werden heute kreativer gefüllt, mit Ausstellungen, Schaufenstern, saisonalen Zwischennutzungen oder Flächen für Start-ups, die sich stationär ausprobieren möchten. „Wir haben ohnehin einen regelmäßigen Umbau-Turnus“, sagt Antwerpen. „Die Spielwiese hat sich vergrößert – auch Entertainment-Formate sind heute ein Thema.“
Experten empfehlen Mixed-Use-Konzepte
Experten betonen seit längerem, dass sich sowohl Innenstädte als auch Einkaufszentren, die bisher vor allem auf stationäre Händler setzen, strukturell verändern müssen. „Der Handel kann nicht mehr alleiniger Player dieser Großflächen sein“, sagt Boris Hedde, Geschäftsführer des Kölner Handelsforschungsinstituts IFH, mit Blick auf die Einkaufszentren. Das Format des Handelsstandorts, der sich nur über kurze Wege definiert, hält er für überholt. Es gehe heutzutage nicht mehr nur um das Verfügbarmachen von Ware, sondern immer auch um das Erlebnis. „Die zentrale Frage ist: Kann das Einkaufszentrum in neuer Ausgestaltung auch zeitgemäß den Freizeitcharakter bedienen?“
Auch Florian Hackelberg, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim, sieht Nachholbedarf. Er ist einer der Autoren der im Januar veröffentlichten PWC-Studie und sieht besonders Einkaufszentren mit hohem Mode- und Elektronikanteil gefährdet. Hier sei die Konkurrenz aus dem Onlinehandel am stärksten. „Am erfolgversprechendsten sind Mixed-Use-Konzepte.“ Wie Antwerpen und Hedde hält er Entertainment-Konzepte für Hoffnungsträger. „Es wird sich zeigen, was funktioniert – also ob es zum Beispiel Sinn ergibt, Bowling, Indoor Sport oder einen Escape Room in ein Einkaufszentrum zu holen.“
Er verweist jedoch auf eine weitere Herausforderung: die stark gestiegenen Baukosten und Bauzinsen. Das erschwert die Repositionierung und Neuentwicklung von Zentrums-Flächen, weil Projektentwickler deutlich zurückhaltender agieren.
Im Rhein-Center wird derzeit trotzdem gebaut. Kleine Ladenflächen nahe der ehemaligen Galeria-Filiale verschmelzen zu einer großen. Im Frühjahr 2024 will hier der Filialist Kult einziehen. Direkt gegenüber hat sich für die Session ein Karnevalshändler eingemietet, der maßgeschneiderte Kostüme anbietet. Außerdem führt das Center Gespräche mit der Stadt, ob in den Bürokomplex des Gebäudes nicht eine Stadtteil-Bibliothek einziehen könnte. „Ein Einkaufszentrum ist ein großer Dampfer, der nicht schnell gedreht werden kann“, sagt Antwerpen. „Aber wir haben trotzdem eine gewisse Flexibilität.“