Düsseldorf – Sollte Deutschland vorzeitig aus der Braunkohle aussteigen und die Tagebaue schon 2030 stilllegen, muss die Auszahlung der Strukturfördermittel „dringend beschleunigt werden“. Das fordert NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP).
„Sinnvoll wäre es, die Fördermittel für den Strukturwandel in einer eigenen Förderrichtlinie des Bundes zu regeln und für die Mittel möglichst ein Sondervermögen zu bilden, statt sie im alljährlichen Haushaltsverfahren bereitzustellen. Das würde die Planbarkeit erhöhen und die Umsetzung deutlich beschleunigen“, heißt es auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Leitentscheidung des Landes zum Kohleausstieg sehe bereits jetzt ein gestuftes Verfahren vor.
Fünf Dörfer sollen erhalten bleiben
Bis zur bisher vorgesehenen planmäßigen Überprüfung des weiteren Braunkohlebedarfs im Jahr 2026 blieben die fünf Ortschaften am Westrand des Tagebaus auf jeden Fall erhalten, so das Ministerium. „Wenn der Bund diese Zwischenprüfung jetzt auf Ende 2022 vorzieht und zum Ergebnis kommt, dass der steigende Strombedarf nach 2030 auch ohne Kohle verlässlich gedeckt werden kann und der Strukturwandel gelingen kann, bleiben alle fünf Dörfer bestehen.“
14,8 Milliarden Euro an Fördergeldern fließen an Strukturhilfen des Bundes nach Nordrhein-Westfalen, um den Kohleausstieg abzufedern, bei dem bis 2030 mindestens 15.000 Jobs in der Braunkohle im Rheinischen Revier ersetzt werden müssen. Nach dem bisherigen Fahrplan – wenn es beim Enddatum 2038 bliebe.
Erste Überprüfung erfolgt schon Ende 2022
Die neue Bundesregierung will den Ausstieg aber deutlich beschleunigen. Das sei zur Einhaltung der Klimaschutzziele nötig. „Idealerweise gelingt das schon 2030“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Ende 2022 soll zum ersten Mal überprüft werden, ob das Tempo erhöht werden kann. Dieser Schritt war im Kohleausstiegsgesetz eigentlich erst für 2026 vorgesehen.
Für die Landesregierung kommt das alles nicht überraschend. Eine entsprechende Absichtserklärung hatten die Vertreter der möglichen Ampelkoalition schon in ihr Sondierungspapier aufgenommen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst wollte sich am Donnerstag zu den Plänen der kommenden Bundesregierung nicht äußern.
Regierungssprecher Christian Wiermer verwies auf die Regierungserklärung vom 3. November. NRW sei für den Kohleausstieg „auch schon 2030“ bereit, heißt es darin. „Doch dazu müssen wir es schaffen, die Kohle als Energiequelle überflüssig zu machen.“
NRW plant Entfesselungspaket zum Klimaschutz
NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) will noch vor Weihnachten ein neues Entfesselungspaket zum Klimaschutz vorlegen – die sogenannte Energieversorgungsstrategie 2.0. Pinkwart hat den Koalitionsvertrag für die FDP in Berlin mitverhandelt.
Der Plan, neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien auch auf moderne Gaskraftwerke als Brückentechnologie zu setzen und sie später auf klimaneutrale Gase umzurüsten, stammt vor allem aus seiner Feder. Solche Gaskraftwerke sollen an den bisherigen Kraftwerksstandorten gebaut werden, um die vorhandenen Leitungsnetze zu nutzen. Die Frage einer sicheren Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen sei für das Industrieland NRW von großer Bedeutung. Die Versorgungssicherheit müsse „auf eine neue nachhaltig stabile Basis“ gestellt werden.
Ökostromanteil muss auf 80 Prozent steigen
Nach den Berechnungen des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE) lässt sich der im Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung festgeschriebene Ökostromanteil von 80 Prozent in Deutschland bis zum Jahr 2030 nur erreichen, wenn die jährliche Solarleistung in Nordrhein-Westfalen von derzeit gut 600 auf 2000 Megawatt ausgebaut wird. Windräder müssten statt bisher knapp 320 rund 900 Megawatt Strom pro Jahr produzieren. Derzeit beträgt Ökostromanteil knapp 50 Prozent.
„Der notwendige Ausbau der Windenergie lässt sich mit der bestehenden Abstandsregelung auf keinen Fall erreichen“, sagt LEE-Vorsitzender Rainer Priggen. „Ministerpräsident Wüst wäre deshalb gut beraten, diese Regelung abzuschaffen und die neuen Vorgaben für den Ökostromausbau zu seinem Regierungsziel zu machen.“ Bisher gilt in NRW für Windräder ein Mindestabstand von 1000 Meter zur Wohnbebauung. Die Branche sei in der Lage, die notwendige Zahl der Anlagen für die neuen Ökostromziele zu bauen.
„Die Braunkohleverstromung wird allein durch den fortschreitenden Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Umstellung auf Gas, die wir sehr kritisch sehen, immer unwirtschaftlicher“, sagt Catharina Rieve vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das liege vor allem an den steigenden Preisen für die CO2-Zertifikate.
Die Politik habe sich gegenüber den Mitarbeitern von RWE nicht sonderlich fair verhalten. Man habe mit dem Ausstieg 2030 allein aus wirtschaftlichen Gründen „implizit gerechnet, aber weiter suggeriert, dass ein Weiter bis 2038 durchaus noch möglich ist“. Jetzt gelte es, die verbleibende Zeit 2030 „zügig zu nutzen und für alternative Beschäftigungen zu sorgen“.
In einer neuen Studie hat das DIW berechnet, dass in den Tagebauen Garzweiler II und Hambach ab Januar 2021 nur noch 200 Millionen Tonnen Braunkohle verstromt werden dürfen, wenn Deutschland das 1,5 Grad-Ziel der Pariser Klimaschutzvereinbarungen noch erreichen will. Für Hambach sind es 35 Millionen Tonnen. Diese Mengen könnten problemlos gefördert werden, ohne die fünf Garzweiler-Dörfer inklusive Lützerath zu zerstören.
Aktivisten kämpfen weiter um Erhalt von Lützerath
Demgegenüber steht das Revierkonzept von RWE für den Stilllegungspfad bis 2038, das von bis zu 900 Millionen Tonnen Kohlemengen ausgeht, nach dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aber wohl nicht mehr zum Tragen kommt.
Das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ bewertet die Pläne der Ampelkoalition als „bedeutenden Etappensieg des Widerstands gegen den Kohleabbau“. Der Erhalt der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath sei ein „starker Erfolg“ nach jahrzehntelangen Protesten. Auf Unverständnis stößt der Plan der Ampelkoalition, „das Schicksal des bedrohten Dorfes Lützerath den Gerichten zu überlassen“, heißt es in einer Presseerklärung.
In Lützerath wehrt sich Landwirt Eckhardt Heukamp mit juristischen Mitteln gegen die Enteignung seines denkmalgeschützten Hofs durch den Energieversorgungskonzern RWE. Dieser hatte zuletzt angekündigt, zumindest vorerst auf weitere Abbruch- und Rodungsarbeiten in Lützerath zu verzichten.