Rewe-Chef Lionel Souque spricht im Interview über Inflation, die hohen Preissteigerungen und seine Erfahrungen mit dem Flughafen-Chaos im vergangenen Jahr.
Rewe-Chef Lionel Souque„Wir bekommen aktuell bis zu 20 Prozent weniger Ware geliefert“
Herr Souque, denken Sie im Moment eigentlich auch manchmal beim Blick auf den Kassenzettel: Huch, alles ganz schön teuer geworden?
Das erkenne ich ja nicht nur an Kassenzetteln. Ich sehe jede Woche, welche Preiserhöhung uns die Industrie meldet und mit welchen Preisen wir es selbst im Einkauf zu tun haben. Ich bin seit 27 Jahren im Handel und eine Situation wie die im vergangenen Jahr habe ich noch nie erlebt. Dass die Preise in allen Warengruppen so stark steigen und das in allen Ländern, in denen Rewe aktiv ist.
Bei welchen Supermarkt-Produkten war das Plus zuletzt besonders groß?
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Letztlich geht das durch alle Kategorien, aber Butter, Fette und Fleisch sind weiterhin besonders betroffen.
Wie ist der Ausblick – flacht die Kurve ab, oder werden wir weiterhin diese starken Anstiege sehen?
Das ist schwer vorherzusagen. Vom Gefühl her würde ich sagen, die Preise steigen nochmal, aber nicht mehr so stark wie im vergangenen Jahr.
Die Preise steigen, aber auch Ihre Kosten dürften zuletzt massiv in die Höhe geschossen sein. Was bedeutet das für Ihre Unternehmensbilanz?
Unser Umsatz ist stark gestiegen. Ein Großteil davon geht auf die Inflation zurück – das ist kein gesundes Wachstum. Stark gewachsen sind aber auch die Umsätze unseres Touristikgeschäfts, das nach den großen Verlusten der Corona-Jahre wieder anzieht. Da erreichen wir langsam wieder das Vorkrisenniveau. Wenn man sich nur den Umsatz anguckt, würde man sagen: unglaublich gut.
Aber das Ergebnis spiegelt dann das, worauf Sie anspielen: die extrem hohen Kosten für Energie, aber auch für Logistik, Mieten und Personal. Hinzu kommen dann noch die Preiserhöhungen, die wir nicht vollständig an die Kunden weitergeben wollen, da investieren wir laufend, wodurch wir Marge verlieren. Das Ergebnis leidet also, wenn auch nicht in allen Ländern gleich stark.
Sie streiten derzeit mit vielen Markenherstellern über besagte Preiserhöhungen. Wer fällt Ihnen da denn derzeit besonders unangenehm auf?
Da möchte ich keine konkreten Beispiele mehr nennen. Aber es handelt sich vor allem um internationale, börsennotierte Multi-Konzerne. Und ich habe wenig Verständnis, wenn diese Konzerne in so einer Krise nicht von sich aus sagen: Wir nehmen uns ein bisschen zurück, wir wollen dazu beitragen, dass die Inflation für die Endverbraucher nicht zu stark steigt. Im Moment sind viele als Trittbrettfahrer unterwegs, die versuchen, die Preise stark über ihre tatsächlichen Mehrkosten hinaus zu erhöhen. Sie brauchen nur in die Quartalsberichte dieser großen Konzerne zu schauen, um das zu belegen – dort werden jedes Quartal bessere Ergebnisse präsentiert.
Wie prüfen Sie denn, ob eine Forderung in Ihren Augen zu hoch ist?
Wenn wir zum Beispiel fünf Kaffeelieferanten haben, von denen vier ihre Preise um fünf Prozent erhöhen und einer um 15, dann fragen wir uns natürlich, woher dieser Unterschied kommt. Außerdem können wir über unsere Eigenmarken auch selbst Kostenstrukturen der Herstellung nachvollziehen. Und dann können wir die Preisforderungen in Deutschland noch mit denen unserer Gesellschaften und Partner im Ausland vergleichen. Dort fallen sie interessanterweise häufig viel niedriger aus.
Aber die Markenartikler merken jetzt auch, dass viele Kunden ihre Artikel nicht mehr kaufen, wenn der Abstand zu Preiseinstiegsprodukten zu groß wird. Davon profitieren die Eigenmarken, die zuletzt stärker gefragt sind – das zeigen auch aktuelle Studien. Deswegen bin ich optimistisch, dass in den nächsten Wochen weniger Preiserhöhungen reinkommen werden.
Verlieren Sie derzeit Marktanteile an die Discounter, weil die Menschen preisbewusster einkaufen?
Auch wir haben einen großen Discounter, Penny, der in Deutschland mehr als acht Milliarden Euro Umsatz macht. Aber ja, die Umsätze der Discounter entwickeln sich im Moment besser als die der Supermärkte. Das liegt zum einen daran, dass ein kleiner Teil der Kunden in Deutschland dort jetzt bewusst mehr einkauft. Der größere Faktor ist, dass die Supermärkte in der Pandemie deutlich Marktanteile gewonnen haben und sich das nun wieder angleicht. Der dritte Grund ist, dass die Inflation bei Discountern höher ist als im Supermarkt. Bei Supermärkten liegt sie bei etwa zehn Prozent, bei den Discountern geht das langsam in Richtung 20 Prozent. Warum? Weil der Preisanstieg durch deren Sortiment-Mix prozentual stärker ins Gewicht fällt. Deshalb machen Discounter auch gerade mehr Umsatz als Supermärkte – aber nicht automatisch mehr Gewinn.
Wie hat sich das Einkaufsverhalten der Menschen denn nach drei Jahren Pandemie und Krisen noch verändert?
Sie kaufen mehr zu Aktionspreisen ein. Wir hatten neulich bei Rewe Butter für unter zwei Euro im Angebot. In so einer Situation kaufen die Kunden jetzt viel größere Mengen, und zwar nicht, weil sie mehr Butter konsumieren, sondern weil sie sich bei Aktionen bevorraten - sie zum Beispiel einfrieren.
Die Lücken in den Regalen sind zurzeit schon auffällig. Sind sie das Ergebnis der Preisstreitigkeiten? Oder haben Sie auch wieder mit Lieferengpässen oder gar Hamsterkäufen zu kämpfen, wie zu Hochzeiten der Pandemie?
Nein, Hamsterkäufe gibt es in der Form nicht mehr. Die meisten Lücken entstehen, wenn wir die überhöhten Preisforderungen eines Herstellers nicht akzeptieren und er uns daraufhin nicht mehr beliefert. Aber wir sehen auch ganz grundsätzlich eine massive Verschlechterung der Lieferquote. Manchmal ist die Logistik ein Problem, manchmal fehlt Rohware für die Produktion. Das führt dann dazu, dass nicht die volle Menge geliefert werden kann. In der Spitze bekommen wir aktuell bis zu 20 Prozent weniger Ware geliefert, als wir bestellt haben. Aber das ist nicht überzubewerten - insgesamt ist das System stabil.
Sie experimentieren bei Rewe viel mit Konzepten wie dem Einkauf mit Handscanner oder sogar vollautonomen Märkten. Was sind Ihre Erfahrungen – und die nächsten Schritte?
Wir möchten neuen Konzepten Raum geben. Tatsächlich beobachten wir, dass Technologien wie der Self-Checkout in Ländern wie Frankreich, Belgien oder Holland schon deutlich stärker genutzt werden als in Deutschland. Ich glaube, wir müssen die Menschen hier etwas mehr an die Hand nehmen. Und je mehr Händler diese Modelle anbieten, desto eher werden sie akzeptiert.
Wir haben in Köln 2021 unseren ersten Pick&Go-Markt eröffnet, wo man ganz ohne Bezahlvorgang einkaufen kann. Und wir haben immer gesagt, dass wir dieses Test-Angebot ausbauen wollen. Tatsächlich werden wir im März an der Luxemburger Straße, Ecke Universitätsstraße in Köln den vierten Markt dieser Art eröffnen. Wir werden dort eine hybride Lösung anbieten, Kunden können also weiterhin auch normal an der Kasse zahlen. Aber der Standort ist mit knapp 600 Quadratmetern wesentlich größer als unsere bisherigen Pilotmärkte.
Haben Sie in der Krise eigentlich weiterhin auch neue Filialen eröffnet?
Der Schwerpunkt lag insgesamt stärker auf Renovierungen, aber ja, wir haben auch neu eröffnet: 2022 waren es insgesamt 50 Rewe-Märkte, davon 44 von Kaufleuten, dazu sechs Filialen. Bei Penny gab es 40 Neueröffnungen. Außerdem haben wir 249 Penny-Filialen und 175 Rewe-Märkte umgebaut oder erweitert.
Lassen Sie uns den Bogen zur Touristik schlagen, der zweiten Säule Ihres Geschäfts bei der Rewe-Group. Wie lief es dort 2022 für Sie?
Nach zwei katastrophalen Jahren, in denen wir in der Touristik in Summe 600 Millionen Euro verloren haben, kam unser Umsatz 2022 fast wieder an den Vorkrisenwert heran. Aber das Jahr war trotzdem geprägt von hohen Kosten und Herausforderungen. Viele Reisende in Deutschland haben das Chaos an den Flughäfen selbst erlebt. Durch die unglaublich langen Schlangen an den Sicherheitskontrollen haben viele ihre Flüge verpasst. Hinzu kamen Streiks von Fluggesellschaften, und wenn jemand bei uns eine Pauschalreise bucht, dann sind wir als Unternehmen dafür zuständig, dieses Problem zu lösen. Wir müssen dann im Zweifel einen neuen Flug finden und bezahlen, was mit extrem viel Aufwand verbunden ist. Das hat uns eine hohe zweistellige Millionensumme gekostet. Unter dem Strich werden wir trotz eines vernünftigen Umsatzes 2022 noch kein Geld mit der Touristik verdienen und etwa bei null rauskommen.
Sie haben kürzlich in einem Podcast erzählt, dass Sie als Betroffener des Reisechaos vergangenen Sommer selbst mit dem Personal am Flughafen Köln/Bonn aneinandergeraten sind…
Mir ist passiert, was vielen passiert ist – ich bin am Flughafen in einer Zwei-Stunden-Schlange steckengeblieben. Ein Stück hinter mir standen Kollegen, die an diesem Tag tatsächlich ihren Flug verpasst haben. Viel schlimmer war die Situation aber natürlich für Familien, die vielleicht sechs Monate für eine Reise sparen und dann ihren Flug verpassen, weil die Flughäfen schlecht organisiert sind. Nicht nur, weil Personal fehlt, sondern auch weil die Prozesse so unglaublich langsam sind. Wenn wir an der Kasse so arbeiten würden, würde das zu 30 Meter langen Schlangen führen.
Medien haben zuletzt berichtet, dass Sie den Münchener Reisekonzern FTI kaufen wollen. Ist da was dran?
Wir kommentieren keine Gerüchte…
Als Ihre Mittbewerber Tui und FTI in der Corona-Pandemie Staatshilfe bekommen haben, haben Sie betont, dass diese ihre Schulden vollständig zurückzahlen sollten. Bleiben Sie in der derzeitigen Ausgangssituation dabei?
Ich habe damals gesagt, dass ich es unfair finde, dass viele unserer Wettbewerber Unterstützung vom Staat bekommen. Vor allem, weil die Eigentümer dieser Unternehmen in der Regel keine Deutschen waren. Dabei bleibe ich.