Herr Reese, inzwischen halten 68 Prozent der Deutschen Klimaschutz für eine sehrwichtige Herausforderung. Vor vierJahren dachte nur die Hälfte der Bevölkerung so. Aber das Problembewusstsein führt nicht zwangsweise zu einem anderen Verhalten. Wieso nicht?Gerhard Reese: Diese Diskrepanz zu erklären, ist ein Kernthema der Umweltpsychologie. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht verändern. Aber dass es vielen von uns schwer fällt, hat damit zu tun, dass wir an Gewohnheiten festhalten. Wer zum Beispiel in einem Haushalt aufwuchs, in dem immer zwei Autos zur Verfügung standen, hält das zunächst für eine Selbstverständlichkeit.
Hinzu kommt, dass wir in einer Konsum-Gesellschaft großgeworden sind, in der das Gegenteil des ungerechten Verhaltens belohnt wird: Es ist kostengünstiger, nicht das Biofleisch zu kaufen oder die nicht fair gehandelte Kleidung. Außerdem gibt es Anreize, die auf unsere Emotionen abzielen. Viele Menschen fahren keine großen Autos,weil sie von A nach B wollen, sondern weil ihnen die Werbung Freude und Freiheit suggeriert. Und wenn dann auch noch der Nachbar ein großes Auto fährt, kann es ja nicht so schlimm sein.
Zur Person
Gerhard Reese ist Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Reese leitet dort den 2016 gegründeten Studiengang „Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie“.
Welche Rolle für die Motivation spielt die Angst, die manvor den Auswirkungen der Klimakatastrophe haben kann?
Menschen verfügen über wirksame Verdrängungsmechanismen. Was wir nicht unmittelbar zu spüren bekommen, können wir weit von uns schieben. Es ist da recht einfach, die Verantwortung an Politik und Wirtschaft abzugeben. Angst kann lähmen, aber sie kann auch motivieren, etwas zu verändern. Ich würde zum Beispiel Greta Thunberg ein starkes Ungerechtigkeitsempfinden attestieren. Und den Einwand, als Einzelner nicht viel verändern zu können, hat sie ja schön widerlegt. Allerdings brauchen wir noch andere Stellschrauben.
Eco-Design-Award
Am 30.11.2020 wird der Eco-Design-Award um 17 Uhr per Videobotschaft auf der Seite https://www.bundespreis-ecodesign.de/de vergeben.
Nämlich?
Die Umweltpsychologie hat jahrzehntelang Einstellungen, Werte und Wissen der Menschen erforscht. Diese Aspekte spielen zwar eine Rolle, aber sie führen selten zu einer Verhaltensänderung. Wir haben viel zu lange die Wirkung der sozialen Prozesse ignoriert. Die Identifikation mit einer Gruppe und das Gefühl kollektiver Wirksamkeit ist sehr viel ausschlaggebender als lange gedacht. Fridays for Future ist es zum Beispiel bereits gelungen, das Bewusstsein so sehr zu stärken, dass es fast normativ ist, sich pro Klima zu äußern. Wir müssen uns nur noch danach verhalten.
Was fehlt am Ende?
Wir brauchen dringend beides: Den Systemwandel und den individuellen Wandel. Einen kritischen Bürger in einem wirtschaftlichen und politischen Rahmen,derihmdas erleichtert. Der ihm vor Augen führt, dass es plausible Alternativen gibt.
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Was heißt das denn jetzt für den Einzelnen?
Es kann nicht jeder alles machen. Aber jede Person kann etwas tun. Wer täglich Fleisch isst, der kann, ohne auf neue Gesetze zu warten, einfach weniger Fleisch essen. Man kann sich für einen Ökostrom-Anbieter entscheiden, zu einer ökologisch agierenden Bank wechseln oder sich nach einer Solaranlage erkundigen. Es gibt für jeden eine Möglichkeit zu handeln – und darüber zu reden. Das stärkt das gesellschaftliche Bewusstsein.
Wie redet man darüber, ohne übergriffig zu erscheinen?
Auf keinen Fall mit der Moralkeule, sondern konstruktiv und informativ. Um neue Normen im Sinne des Klimaschutzes zu schaffen, muss man mit gutem Beispiel voran. Wir brauchen viel mehr gute Beispiele.