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Versicherungen reagieren auf Schäden„Im Minutentakt melden sich verzweifelte Kunden“

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Ein Anwohner steht zwischen den Trümmern der Unwetterschäden in Hagen.

Köln – Das Ausmaß der Schäden, die das Tiefdruckgebiet „Bernd“ in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hinterlassen wird, ist noch nicht annähernd abzusehen. Aber schon jetzt ist klar, dass das Jahr 2021 sich für die Versicherungswirtschaft zu einem der schadenträchtigsten seit 2013 entwickeln wird, heißt es vom Gesamtverband der der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Schadenschätzung in der nächsten Woche

„Im Jahr 2013 lag der versicherte Schaden bei 9,3 Milliarden Euro. Bereits im Juni haben Starkregen und Hagel einen geschätzten versicherten Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Eine aktuelle Schadenschätzung werde man voraussichtlich in der nächsten Woche vorlegen.

Die Zurich-Versicherung mit Sitz in Köln habe in die betroffenen Regionen bereits Sachverständige entsendet, die vor Ort ansprechbar seien, um Schäden zu begutachten, sagt Zurich-Sprecher Bernd Engelien. „Wir werden allen betroffenen Kunden zeitnah eine Unterstützung als Vorschuss zahlen“, so Engelien. „Damit wollen wir schnell helfen.“

Die Zahl der aktuell täglich gemeldeten Schadensmeldungen im Zusammenhang mit „Bernd“ betrage bereits rund 700, sagt der Zurich-Sprecher, und sei vergleichbar mit der vor acht Jahren, als die Drei-Flüsse-Stadt Passau überflutet wurde. „Was jetzt schon deutlich wird: Die aktuellen Schäden sind extrem und haben vom Umfang und der Dramatik schon eine andere Qualität“, sagt Engelien, der damit rechnet, dass die meisten Schäden erst in der kommenden Woche gemeldet werden.

Standorte vom Hochwasser betroffen

Bei der Kölner Versicherung DEVK wurden schon mehr als 3000 Schäden gemeldet. „Es ist aber davon auszugehen, dass viele ihren Schaden aus diversen Gründen noch nicht begutachten konnten und sich erst im Laufe der nächsten Tage bei uns melden werden“, sagt eine Sprecherin. Viele der DEVK-Standorte seien selbst vom Hochwasser betroffen. Um dennoch weiterhin Unterstützung für Kundinnen und Kunden leisten zu können, binde die Versicherung bundesweit derzeit alle Schadenmitarbeitenden in die Bearbeitung der eingehenden Meldungen ein.

Auch bei der Kölner Gothaer Versicherung ist das Ausmaß noch längst nicht absehbar. „Es kommen minütlich neue Schadensfälle rein“, sagt Sprecher Klemens Surmann. Stand Freitag Mittag wurden rund 1.600 Schäden gemeldet. Eine Schätzung zur Höhe des Schadens sei aktuell noch nicht möglich.

„2021 entwickelt sich zum Ausnahmejahr. So heftig wie jetzt haben die Unwetter schon lange nicht mehr gewütet“, sagt Rico Kretschmer, Abteilungsleiter Schadenmanagement bei der R+V Versicherung und einer der Köpfe der R+V-Unwetterzentrale. Bereits im Juni hätte es kaum einen Tag ohne Unwetter gegeben. „Wir rechnen inzwischen allein für den vergangenen Monat mit mehr als 130 Millionen Euro für Schäden durch Starkregen, Stürme und Überschwemmungen“, so Kretschmer.

Notruf-Hotline läuft heiß

Derzeit laufen bei Notruf-Hotline die Telefone heiß. „Im Minutentakt melden sich verzweifelte Kunden bei unseren Kollegen im R+V-Servicecenter.“ Bis Freitag früh hätten sich allein aus NRW mehr als 1500 Kunden gemeldet. „Nach unseren Erfahrungen dauert es etwa drei bis fünf Tage nach einem Unwetter, bis wir uns einen genaueren Überblick verschaffen können. In diesem besonderen Fall kommt dazu, dass viele Kunden derzeit gar nicht anrufen können, weil der Strom ausgefallen ist oder die Handy-Netze zusammenbrechen“, sagt der R+V-Manager. Und die Pegelstände stiegen ständig weiter. „Nach unserer ersten Einschätzung rechnen wir für dieses Unwetter mit einem hohen zweistelligen Millionenbetrag – mindestens“, schätzt Kretschmer.

Die Flutkatastrophe 2013 in Ostdeutschland richtete damals bei R+V-Kunden Schäden in Höhe von rund 100 Millionen Euro an – ebenso wie die „Jahrhundertflut“ 2002 an der Elbe. NRW sei jedoch viel dichter besiedelt. „Wenn es hier zu großflächigen Überschwemmungen kommt, trifft es ungleich mehr Menschen. Entsprechend wären die Überschwemmungsschäden um ein Vielfaches höher als in den Jahren 2002 und 2013“, sagt Kretschmer.

Auch bei der Kölner Axa-Versicherung heißt es, es sei derzeit noch zu früh für konkrete Aussagen. „Kunden, die in den stark betroffenen Gebieten ansässig sind, sind teilweise von der Außenwelt abgeschnitten, weshalb sie uns nicht und wir sie auch nicht erreichen können. Aus diesem Grund fehlen noch zahlreiche Schadenmeldungen“, sagt Axa-Sprecherin Daniela Behrens.

Schaden dokumentieren

Es lägen bereits zahlreiche Schadenmeldungen durch Überschwemmungen, Überflutungen und Rückstau vor. Versicherungsnehmern rate die Axa, den Schaden schnellstmöglich mit allen dafür notwendigen Angaben zu melden und wenn möglich, den Schaden zu dokumentieren, beispielsweise anhand von Fotos oder Videos, so Behrens.

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Unwetter mit starken Regenfällen nehmen in Deutschland seit Jahren deutlich zu. Zwischen 2002 und 2017 haben sie laut GDV deutschlandweit Schäden von 6,7 Milliarden Euro verursacht. 2019 kosteten Starkregen und Hochwasser die deutschen Versicherer rund 300 Millionen Euro. „Der Klimawandel dürfte auch in Deutschland zu einer weiteren Zunahme extremer Wettereignisse führen“, sagt Asmussen. Deshalb wollen die deutschen Versicherer Klimarisiken künftig noch genauer in der Risikoanalyse abbilden. Neben der Hochwassergefährdung wird auch das Risiko für Starkregen künftig mit berücksichtigt.