Wenn sich ein Hollywoodstar und ein englischer Fantasyautor zusammentun, wird es spannend: Keanu Reeves und China Miéville haben gemeinsam einen Roman geschrieben
Hollywoodstar wird RomanautorWarum so brutal, Keanu Reeves und China Miéville?
Mr. Reeves, Sie sind als Neo aus der „Matrix“-Filmreihe längst unsterblicher Teil der Populärkultur, Sie touren mit Ihrer Rockband Dogstar um die Welt und haben eine der erfolgreichsten Comic-Reihen der vergangenen Jahre erfunden. Jetzt wollen Sie auch noch ein ernstzunehmender Schriftsteller werden. Mr. Miéville, kriegen Sie das für ihn hin?
China Miéville: Die Frage richtet sich an mich?!
Ja, immerhin könnte ein Hollywoodstar wie Keanu Reeves auch heimlich einen Ghostwriter anheuern, der aus seiner Comic-Serie über den unsterblichen „BRZRKR“ einen Roman macht. Stattdessen wollte er Sie als Co-Autor: einen preisgekrönten Kultschriftsteller mit einem ganz eigenen Kopf. Sind Sie seine Eintrittskarte in die Welt der berühmten Romanciers?
Miéville: Wenn es dazu kommt – fantastisch! Nur sagen Sie mir Bescheid, ob ich dann auch reingelassen werde. Aber so bin ich nicht an die Sache herangegangen. Für uns ging es darum, die „BRZRKR“-Welt, die Keanu erschaffen hat, zu einer großen Erzählung zu machen, die dem Thema und dem Ausgangsmaterial gerecht wird. Für mich als Schriftsteller war diese Zusammenarbeit wunderbar und zugleich seltsam: Dass jemand, der in anderen Kunstformen eine echte Größe ist, auch einen so unglaublich starken Sinn fürs Geschichtenerzählen hat.
Mr. Reeves, die Idee zur Figur eines 80.000 Jahre alten, übermenschlichen Kriegers hatten Sie irgendwann zwischen dem Kinostart von „John Wick 2", mit Ihnen in der Hauptrolle, und den Dreharbeiten für den vierten „Matrix“-Film – mit Ihnen in der Hauptrolle. Da bleibt nicht viel Zeit für andere Projekte.
Keanu Reeves: Stimmt.
Sie haben deshalb stets offen gesagt, dass das eigentliche Schreiben bei Ihrem Debütroman allein in der Hand von China Miéville lag. Haben Sie trotzdem manchmal wie ein echter Schriftsteller gearbeitet: am Schreibtisch Handlungsstränge ersonnen oder seine Textpassagen überarbeitet?
Reeves: Der intensivste Teil unserer Zusammenarbeit betraf die Fragen, ehe das Schiff vom Stapel lief: Wie wird das Boot aussehen? Was ist sein Ziel? Welche Routen hatte der Comic zurückgelegt, wohin würde China nun segeln? Das haben wir detailliert besprochen – und dann überließ ich ihm als Kapitän das Schiff. Ich bekam aber regelmäßig Reiseberichte.
Er schickte Ihnen seine Entwürfe.
Reeves: Ja, am Anfang führten wir dann ein paar längere Gespräche über die ersten Entwürfe. Mein Beitrag bestand dann darin, darauf zu reagieren.
Miéville: Aber um das herauszustellen: Die Grundlage war dabei stets der extrem kollaborative Auftakt zu dem Buch. Den Roman würde es in dieser Form heute nicht geben ohne die durchdachte und sorgfältige Arbeit von Keanu. Das erste Wort wurde erst geschrieben, nachdem wir uns abschließend mit der Architektur des Buches auseinandergesetzt hatten und zumindest implizit mit seinen wichtigsten Themen und Gedanken. Und zu jedem Entwurf bekam ich sehr tiefgründiges Feedback von ihm.
Die „New York Times“ beschreibt Ihr Buch als „reißerischen, adrenalingeladenen Thriller“, der zugleich ein stimmungsvoller, experimenteller Roman sei „über Sterblichkeit, das unstete Wesen der Zeit und die menschliche Natur“. Tatsächlich mixen Sie wild die Genres. Hatten Sie gemeinsame Referenzen?
Reeves: Für mich waren Chinas Bücher unsere gemeinsame Referenz. Ich hatte alles davon verschlungen, seine Kurzgeschichtensammlung „Three Moments of an Explosion“, seinen Roman „Die Stadt & die Stadt“. Die Geschichten und das Storytelling hatten so unterschiedliche Töne, so unterschiedliche Welten in sich, dass ich wusste, wir können aus dem Vollen schöpfen.
Miéville: Wir haben während der Arbeit am Buch einander nie gesagt: wie es der und der gemacht hat. Aber wir haben während der Gespräche fürs Schreiben definitiv herausgefunden, wo sich unsere Geschmäcker überschneiden – sei es bei Filmen oder Autoren. Einiges davon konnte ich mir aufgrund von Keanus Filmrollen schon denken, zum Beispiel, dass wir beide Fans von Philip K. Dick und William Gibsons sind.
Beide sind Vordenker des Cyberpunk-Genres, von dem Sie beeinflusst sind. Gibson prägte in seinen Romanen heute allgegenwärtige Begriffe wie Matrix und Cyberspace, und auf Dicks dystopischen Geschichten basiert zum Beispiel der düstere Science-Fiction-Filmklassiker „Blade Runner“ von 1982.
Miéville: Aber es gab auch überraschende Gemeinsamkeiten in unseren Vorlieben, wie etwa Cormac McCarthy, der Autor von „No Country For Old Men“.
Wie in den Romanen Ihrer Lieblingsautoren – „Blade Runner“ ist ein gutes Beispiel – verhandeln Sie in Ihrem Roman jenseits der Kämpfe, Kriege und außerirdischen Erscheinungen auch philosophische Fragen. Aber bevor wir dazu kommen: Ihr Protagonist ist nicht nur sehr stark, sondern auch sehr brutal. Er reißt Köpfe und Arme ab, durchschlägt seinen Gegnern den Brustkorb – und ist darüber eher gelangweilt als reumütig. Warum wollten Sie, dass das Buch so düster, zynisch und blutrünstig ist?
Reeves: Ich gebe zu, dass eine gewissen Brutalität den Hintergrund der Geschichte bestimmt. Das liegt zunächst mal an unseren gemeinsamen Vorlieben für Filme, Bücher und Comics, in denen völlig überzogene, überzeichnete Kampfszenen den Reiz ausgemacht haben. Dass wir Spaß daran haben.
Miéville: Keanu und ich sind beide geprägt von pulp fiction, also trashiger Massenkultur, zu der solche stumpfe Action- und Gewaltszenen dazugehören. Dafür werden wir uns nicht entschuldigen.
Reeves: Bei uns wird die Gewalt auch nicht pornografisch beschrieben, sondern sehr präzise, weil es hilft, die emotionalen Folgen und die Sehnsüchte unseres Protagonisten „B“ zu verstehen. Also: Ja, es gibt viel Gewalt im Buch. Es gibt darin aber auch eine große Liebesgeschichte. Es geht um Trauer, aber auch um Heilung. Was es nicht gibt, sind Kapitel der Hoffnung.
Nein.
Reeves: Ich glaube aber auch nicht, dass es Kapitel der Hoffnungslosigkeit sind.
Miéville: Aber von den Adjektiven, mit denen Sie es gerade beschrieben haben, würde ich eines zurückweisen, und das ist: „zynisch“. Ja, es ist ein düsteres Buch. Es ist ein gewalttätiges Buch. Es steckt eine Menge Härte darin. Aber ich sehe es vor allem als Buch über Sehnsucht. Und Sehnsucht ist für mich fast das genaue Gegenteil von Zynismus.
Die Menschen suchen seit jeher nach Wegen, die eigene Sterblichkeit zu überwinden. Ihr Held will die Unsterblichkeit überwinden. Ist das keine zynische Sicht?
Miéville: Im Gegenteil. Er will ja nicht sterben, er will nur seine Unsterblichkeit überwinden. Das ist ein Unterschied. Es geht darum, was uns als Menschen ausmacht: Weil wir wissen, dass unsere Zeit begrenzt ist, füllen wir sie mit Sinn und Beziehungen, die unser Leben wertvoll machen.
Man kann aus dem Buch eine Kritik an unserer von Gewalt geprägten Konsumkultur lesen. Immerhin nutzen Sie die Lebensspanne Ihres Helden auch für geschichtliche Referenzen: Der Friede von Münster kommt vor, außerdem Sigmund Freud und, passend zur politischen Ausrichtung von Mr. Miéville, auch Karl Marx. Wollten Sie nicht doch Ihre Anleihen an der Schundliteratur mit bildungsbürgerlichen Anspielungen aufhübschen?
Miéville: Ich sehe diese Gastauftritte und Anspielungen eher als „Ostereier“, wie man in der Popkultur sagt, „Easter Egg“: Die Handlung ist nicht darauf angewiesen. Aber im Grunde verhandeln wir existenzialistische Fragen. Wer sich also zufällig für Freud interessiert, freut sich vielleicht, dessen Meinung dazu zu hören.
Mr. Reeves, in Ihrer Biografie spielen aller Herren Länder eine Rolle. In Ihrer, Mr. Miéville, eher das „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Sie geben eine marxistische Zeitschrift heraus, waren schon Lokalpolitiker?… Marxismus war in den USA nie sehr angesagt. Wie ist das, wenn Sie beide über Politik reden?
Reeves: Kurz.
Reden Sie über den außergewöhnlich dramatischen US-Wahlkampf?
Reeves: Wir haben es ein bisschen angesprochen.
Miéville: Wir haben über so viele Dinge zu reden, da muss es nicht speziell Politik sein.
Haben Sie Angst, sich wegen verschiedener Meinungen zu verstreiten?
Reeves: Nein. Es wäre nur keine faire Diskussion. China ist da sehr belesen, hat politische Schriften und Sachbücher verfasst, hat in England selbst mal kandidiert. Würde ich ein politisches Gespräch mit ihm führen, müsste er im Grunde ein Selbstgespräch führen.
Miéville: Moment! Ich möchte mich hier mal gegen eine Sache wehren: Ich schreibe seit mehr als 26 Jahren, und selbstverständlich habe ich meine politischen Überzeugungen. Das habe ich nie verhehlt. Nur komischerweise denken manche Leute deshalb, dass ich ständig auf der Suche nach Leuten bin, die ich agitieren kann. Dabei interessiere ich mich für die verschiedensten Dinge – wie jeder andere auch.
Aber wenn die Welt durch politische Nachrichten aus der Heimat von Keanu Reeves erschüttert wird, wie es mit dem Attentat auf Donald Trump der Fall war oder mit dem Rückzug von Joe Biden.
Miéville: Dann zögere ich keine Sekunde, es mit Keanu oder einem anderen Freund zu diskutieren. Erst recht, wenn ich weiß, jemand interessiert sich dafür. Aber ich dränge niemanden – erst recht nicht, um ihn von meiner Sicht zu überzeugen!
Mr. Reeves, wie ist Ihre Sicht auf Donald Trump und Kamala Harris?
Reeves: Ich verfolge das natürlich, und wenn ich länger darüber nachdenke... Aber wissen Sie, ich würde mich einfach nicht als öffentlich politische Person bezeichnen.
Aber als privat politische Person.
Reeves: (lacht) Wahrscheinlich nicht einmal das.
Sorgen Sie sich, angesichts der polarisierten Stimmung in den USA die Hälfte Ihrer Fans einzubüßen, wenn Sie sich politisch äußern?
Reeves: Nein, so taktisch gehe ich damit nicht um. Aber Sie dürfen nicht vergessen: In der amerikanischen Politik ging es schon immer wild zu, es wurde auch schon vor Trump eine ganze Reihe Präsidenten attackiert, nicht wahr? Denken Sie an Reagan, Kennedy, Lincoln.
Miéville: Sicher, daraus könnten wir gemeinsam einen Thriller machen! Nur ist das nichts, was wir im Sinn hätten. Sie wissen ja, ich bin Brite und Keanu ist Kanadier. Wir interessieren uns trotzdem für die US-Politik – ich kann das jedenfalls für mich sagen. Wir kleben halt die meiste Zeit an den Nachrichten wie jeder andere. Trotzdem sind sie für uns eher ein Thema für Small Talk als für ein Politikseminar.
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