„Tradwives“Was hinter dem Social-Media-Bild der glücklichen Hausfrau steckt

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Illustration: Eine Frau reicht ein gebackenes Brot aus einem Handybildschirm.

uf Tiktok und Instagram gibt es unzählige Accounts, die sich dem traditionellen, veralteten Rollenbild der Frau widmen.

Zunehmend inszenieren sich junge Frauen auf Social Media in veralteten Rollenbildern. Manche dieser „Tradwives“ wollen so auf den Plattformen für Werte der extremen Rechten werben.

Let‘s keep them barefoot and pregnant“, also lasst sie uns barfuß und schwanger halten, singt Gwen Levey in ihrem Countrysong „Barefoot and Pregnant“. Die US-Sängerin übt damit Kritik an der Rückbesinnung auf traditionelle Geschlechterrollen – eine Entwicklung in Teilen der Gesellschaft, die vor allem in den USA stark voranschreitet.

Doch geht das Frauenbild weit über „barfuß und schwanger“ hinaus. Levey fasst es in ihrem Song so zusammen: Frauen sollten nicht nur schwanger sein, sondern sich auch um den Haushalt und die Farm kümmern und in die Kirche gehen. Verhütungsmittel schmeißen diese Frauen aus dem Fenster – zusammen mit ihrem Uniabschluss.

Auch hierzulande ist dieser Trend zu beobachten, besonders auf Social Media. Auf Tiktok und Instagram gibt es unzählige Accounts, die sich dem traditionellen, veralteten Rollenbild der Frau widmen.

Die Arbeit, die die Frauen in die Videos stecken, wird unsichtbar gemacht.
Johanna Niendorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut

Hier sieht man meist junge Frauen, die Einblicke in ihren Alltag geben. Auf dem deutschsprachigen Account Tradwifefactory sieht man die Hände und Küchenarbeitsfläche einer Frau, die sich beim Kochen und Backen filmt. Währenddessen redet sie über Kindererziehung, die besser von der Mutter übernommen werden sollte, oder darüber, wie sie ihrem Mann den Arbeitstag erleichtert: Sie steht vor ihm auf – damit sie nicht das Badezimmer blockiert. Sie legt ihm die Kleidung raus und bereitet ihm die Brotbox vor. Der Account hat 15.000 Followerinnen.

Andere Accounts zeigen Frauen beim Putzen, Handarbeiten oder Spielen mit den Kindern. Der Tag scheint frei von Stress, Unordnung und Tristesse. Tradwives (übersetzt: traditionelle Ehefrauen) nennen sich diese Frauen, alternativ auch stay at home girlfriends. Beide zeigen ein romantisiertes Bild einer Hausfrau im Stil der 1950er-Jahre.

Tradwives: Der Schein trügt

Doch dieses Bild zeige nicht die Lebensrealität der damaligen Frauen, sagt Johanna Niendorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut an der Universität Leipzig: „Diese Videos entsprechen eher den Werbebildern der damaligen Zeit. Es ist eine Konstruktion von einer Tradition.“ Weder damals noch heute kann es sich die Mehrzahl der Paare leisten, dass lediglich einer das Geld verdient. Und frei von Stress und häuslicher Gewalt war und ist dieses Leben ebenfalls nicht, wie es die sogenannten Tradwives suggerieren.

Dennoch sprechen diese Videos eine breite Zielgruppe an. Mädchen und Frauen zwischen zwölf und 40 Jahren zeigten besonderes Interesse an diesen Videos, weiß Niendorf. Besonders für junge Frauen könne dieser Inhalt eine Orientierung für ihre Zukunftsplanung geben. „Aktuelle Jugendstudien zeigen ein umfassendes Bild von Zukunftsängsten, auch im Hinblick auf die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz“, sagt die Wissenschaftlerin. Junge Frauen zu sehen, die stressfrei und glücklich Care-Arbeit leisten, ohne Geld verdienen zu müssen, sei daher ansprechend.

Als Influencerin Geld verdienen

Die Produktion eines Tiktok-Videos ist aufwendig. Man muss ein Skript schreiben, den Hintergrund herrichten, einzelne Sequenzen mehrfach drehen, alles schneiden. Der Account wird in einer einheitlichen Ästhetik gehalten. Das ist reichlich Arbeit, die sich für manche Frauen auszahlt. Mit mehreren Tausend Followerinnen verdienen einige als Influencerinnen ihr Geld, verkaufen aber gleichzeitig einen Lebensstil, der sich darum dreht, dass Frauen kein Geld verdienen müssen. Dieser Widerspruch würde nicht thematisiert, so Niendorf: „Auf der einen Seite wollen sie die Care-Arbeit, die sie leisten, sichtbar machen und ideologisch aufwerten. Auf der anderen Seite wird die Arbeit, die sie in die Videos stecken, unsichtbar gemacht“.

Die meisten Tradwives sind weiß, christlich und schlank, alle sind heterosexuell und unterwerfen sich dem Mann. In der Menge an Videos und Accounts schaffen sie ein Bild einer vermeintlichen Normalität. Sie bieten den Zuschauerinnen eine Identifikationsmöglichkeit: Wir sind traditionelle Frauen. Wir sind für den Haushalt geschaffen und halten unserem Mann den Rücken frei.

Nicht alle Tradwives sind politisch rechts zu verorten. Doch eine solche Gruppenbildung schließt andere aus, woraus Feindbilder entstehen können. Feministinnen oder Abtreibungen werden klar als solche benannt. Ebenso findet man Queer-Feindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. „Um dieses vermeintlich schöne und ruhige Leben interessant verkaufen zu können, braucht es eine abstrakte Gefahr, die nicht möchte, dass ich dieses Leben führe. Und gegen die ich das verteidigen muss“, sagt Enrico Glaser, Mitarbeiter der Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung, über diese Feindbilder. Und genau die seien für die extreme Rechte anschlussfähig.

Verantwortlich für Erziehung

Die Thematisierung der eindeutigen Geschlechterrollen von Tradwives habe einen ähnlichen Effekt, so Glaser. „Dadurch wird propagiert, dass früher alles besser war. Als Männer noch richtige Männer und Frauen noch richtige Frauen waren“. Dazu passt: Auch in rechten Ideologien sind Frauen nicht nur für den Haushalt, sondern auch für die moralische Erziehung der Kinder und Brauchtumspflege verantwortlich, während die Männer die Familie verteidigen und ernähren.

„Extrem rechte Frauen inszenieren sich als Tradwives und platzieren ihre Ideologie unterschwellig in ihren Videos, etwa durch entsprechende Symbole, mit denen ein Kuchen dekoriert wird“, warnt Glaser.

Gefahr wird unterschätzt

In diesem Zusammenhang sei es auch ein Problem, dass Frauen eine extrem rechte Einstellung nicht zugetraut würde. So würde die Gefahr, dass junge Frauen sich durch solche Videos nach rechts radikalisieren, nicht ernst genug genommen. Dabei sind Frauen für die extreme Rechte essenziell. Sie leisten Netzwerkarbeit, organisieren Veranstaltungen und indoktrinieren den Nachwuchs – oder eben andere Menschen auf Social Media. Gut zu beobachten ist das bei Helena B..

Die junge Frau stammt aus einer völkischen Familie, zeigt sich auf Instagram in traditionellen langen Gewändern. In ihren Videos schneidert sie Kleider, bindet Blumen oder posiert mit Gewehr und Schwert im Wald. Ihr Account #kleinwildvogelein hat 15.000 Followerinnen.

Damit junge Frauen immun gegen die Rhetorik der Tradwives-Influencerinnen sind, sollten sie von Kindheit an in ihrer Unabhängigkeit unterstützt werden. „Es ist wichtig, genau hinzuhören, was Jugendliche sagen“, so Niendorf. Junge Frauen sollten in ihren Unsicherheiten begleitet und in ihren Zukunftsträumen bestärkt werden. In der Mädchenarbeit sei es wichtig zu empowern, sagt Glaser. „Mädchen müssen wissen, dass sie in einer patriarchalen und sexistischen Welt leben. Sie müssen aber gleichzeitig bestärkt werden, trotzdem ihren Weg zu gehen, in feministischer Solidarität mit anderen Frauen.“


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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