Abgeordnete der AfD-Landtagsfraktion beschäftigen offenbar mehrere Mitarbeiter mit Verbindungen in die rechtsradikale Szene.
Gewalt und Beleidigung als „Judensau“Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten wurde 2022 wegen eines antisemitischen Angriffs verurteilt
Die Nacht, über die später Medien aus aller Welt berichten werden, beginnt mit einer Feier. Etwa 25 junge Leute strömen an einem eher kühlen Augustabend 2020 zu einer Villa unterhalb des Heidelberger Schlosses, einem prunkvollen Backstein-Bau im Stil der Renaissance und Sitz der Burschenschaft Normannia. Burschenschaften aus ganz Deutschland treffen an diesem Abend zusammen: Die Ghibellinia aus Saarbrücken, Vertreter der Kölner Germania und eben die Normannia.
Gegen ein Uhr nachts betritt ein 25-Jähriger, Mitglied der Burschenschaft Afrania, die alte Villa. Kaum hat er das Verbindungshaus betreten, stellt ein Partygast ihm eine Frage. „Bist du Jude?“ Seine Großmutter sei Jüdin, antwortet der Student. In diesem Moment soll die Stimmung gekippt sein.
Mehr als zwei Jahre später, im Dezember 2022, verurteilt das Amtsgericht Heidelberg drei Burschenschaftler wegen Körperverletzung und antisemitischer Beleidigungen gegen den 25-Jährigen zu acht Monaten Haft auf Bewährung. Einer von ihnen ist Maximilian H., Mitglied der Kölner Burschenschaft Germania. Nach Informationen, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ exklusiv vorliegen, taucht Maximilian H. im internen Adressbuch des Düsseldorfer Landtages auf: als Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten.
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„Es ging während des gesamten Prozesses darum, das Ansehen der Burschenschaft zu bewahren“
Beim Prozess habe der Staatsanwalt eine „tiefbraune Subkultur“ beschrieben, sagt Agnes Polewka, die als Gerichtsreporterin für den „Mannheimer Morgen“ vor Ort war. „Der Staatsanwalt sprach in seinem Plädoyer von einer toxischen Mischung aus Weltanschauung und Suff, die während der Ermittlungen offenbart worden sei.“ Auf genau diesen Suff bezogen sich die Zeugen laut dem Urteil, teils „provozierend lächelnd“ – und auf die dadurch entstandenen Erinnerungslücken.
Einer konnte sich vor Gericht nicht mehr an den Vorfall erinnern, obwohl er zuvor bei der Polizei die Angeklagten belastet hatte. Einer weiteren Zeugin drohte die Richterin mit einem Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage. In ihrer Urteilsbegründung sagte die Vorsitzende Richterin laut Polewka: „Es ging während des gesamten Prozesses darum, das Ansehen der Burschenschaft zu bewahren.“ Diesen Eindruck habe man durchaus gewinnen können.
In dem Urteil, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, rekonstruiert die Richterin auch die Tatnacht. Schon bevor das Opfer bei der Villa ankam, warnte ihn sein Freund Jonas G. (Name geändert), Mitglied der Normannia, in einem Chat, er würde bei seiner Ankunft „gegürtelt“. Der 25-Jährige reagierte mit einem „?“, dann mit „ok“. Mitglieder der Normannia verpassen sich bei kleinen „Verfehlungen“ Gürtelschläge auf den Hintern, ein im Normalfall zwar skurriler, aber nicht strafbarer Vorgang. Anders an jenem Augustabend.
Jonas G. erklärte dem Urteil zufolge seinen Verbindungsbrüdern aus den anderen Burschenschaften das Ritual des „Gürtelns“, zeigte den Chat mit dem Opfer. Und er erwähnte: Sein Freund hat jüdische Wurzeln.
Ein Uhr. Der 25-Jährige traf ein, wurde von einem Partygast, den er nicht kannte, laut Urteil „schneidend und lautstark“ gefragt, ob er Jude sei. Er bejahte. In dem Moment zogen fünf bis sechs Personen ihre Gürtel. Das Gericht schreibt in Berufung auf eine Zeugenaussage: „Die bis dahin heitere Stimmung sei plötzlich feindselig und hasserfüllt gewesen. Das Schlagen mit den Gürteln habe diesmal nichts von einer Kabbelei gehabt. Es sei ‚deutlich rabiater‘ zugegangen.“
Die Gruppe schlug den 25-Jährigen demnach gegen die Beine, den Rücken und in die Weichteile, während dieser lautstark „hört auf!“ rief. Eingeschritten sei niemand. Neben Gürtelschlägen seien Beschimpfungen auf den Studenten eingeprasselt: „Drecksjude“, „Saujude“ und „Judensau“.
Münzen auf 25-Jährigen geworfen
Das Gericht schreibt: Zwar könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob jeder Angeklagte diese Beleidigungen rief, sie werden jedoch jedem der Angeklagten zugerechnet, da diese „sich als Teilverwirklichung des gemeinsam gefassten Gesamtplan darstellen“. Dieser Tatplan habe von Anfang an nicht nur die gefährliche Körperverletzung beinhaltet, sondern auch die „eklatante Demütigung des Geschädigten aufgrund seiner jüdischen Herkunft“. Alle Beteiligten hätten aus einer „antisemitischen Grundhaltung heraus“ gehandelt.
Die Attacke endete erst, als der 25-Jährige einem Kölner Verbindungsbruder von Maximilian H. sein Bier über den Kopf schüttete. H. soll den Studenten von seinem Freund weggestoßen haben, später habe er ihn gefragt, ob er es okay fände, seinen Fuchsmajor mit Bier zu überschütten. Der 25-Jährige wandte sich ab, ging zurück zum Tresen, ließ sich ein neues Bier geben. Dann sei er aus dem Pulk heraus mit Münzen beworfen worden – eine Anspielung auf das antisemitische Stereotyp des geldgierigen Juden.
Noch am selben Tag erstattete der Attackierte bei der Polizei Anzeige. Der Vorfall schlug Wellen weit über Heidelberg hinaus – auch eine Zeitung aus Israel berichtete. Die Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelte gegen zehn Verdächtige, das Amtsgericht verhängte fünf Strafbefehle, einer akzeptierte den Strafbefehl, vier zogen vor das Gericht. Drei Burschenschaftler – Maximilian H., seinen Kölner Verbindungsbruder und Jonas G. - sprach die Richterin schuldig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidigung legte Berufung ein.
Wenige Tage nach dem Vorfall im Spätsommer 2020 hatte der Altherrenvorstand der Burschenschaft Normannia die aus studierenden Mitgliedern bestehende „Aktivitas“ aufgelöst. Schon vor der Feier soll es zu rechtsextremistischen und antisemitischen Vorfällen in der „Aktivitas“ gekommen sein.
AfD: „Alle Fraktionsmitarbeiter sind fachlich und charakterlich für die jeweilige Position geeignet“
Im nordrhein-westfälischen Landtag arbeitet Maximilian H. nach Informationen dieser Zeitung für den Dürener Abgeordneten Klaus Esser, der (Stand: 2022) ebenfalls Mitglied der Kölner Burschenschaft Germania sein soll.
Der Pressesprecher der AfD-Landtagsfraktion schreibt auf Anfrage, die AfD äußere sich grundsätzlich nicht zu Personalangelegenheiten. „Alle Fraktionsmitarbeiter sind fachlich und charakterlich für die jeweilige Position geeignet“, so der Pressesprecher. „Auch wird geprüft, ob Fraktionsmitarbeiter Mitglied einer Organisation sind, die auf der Unvereinbarkeitsliste steht.“ Dazu überprüfe der Landtag, dass sich keine Extremisten Zugang zum Gebäude verschaffen – beispielsweise durch das Einholen eines polizeilichen Führungszeugnisses. Maximilian H. und Klaus Esser ließen eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Auch Aktivist der „Identitären Bewegung“ arbeitet im Landtag
Maximilian H. ist nicht die einzige Person im Verzeichnis der AfD-Fraktion, die Fragen aufwirft. Auch Jan T. (Name geändert), der an mehreren Aktionen der Identitären Bewegung (IB) in Köln beteiligt war, wird dort als Mitarbeiter eines Abgeordneten gelistet. Der Verfassungsschutz stuft die IB als gesichert rechtsextreme Bewegung ein, eigentlich hat die AfD sie auf eine Unvereinbarkeitsliste gesetzt. Ein inzwischen gelöschtes Video der Identitären Bewegung, das der Redaktion vorliegt, zeigt Jan T. beim Boxtraining mit einem weiteren IB-Aktivisten.
Dem Portal „Netzpolitik.org“ und dem „Spiegel“ zufolge war Jan T. auch an einer IB-Aktion am Kölner Hauptbahnhof im Jahr 2016 beteiligt. Im Sommer darauf sei T. mit zwei weiteren rechten Aktivisten auf das Dach des WDR-Funkhauses in Köln geklettert, anfangs getarnt als Bauarbeiter. Auf dem Dach angekommen, zündeten die Männer Bengalos und entrollen ein Plakat gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Neben T. hat ein weiterer Mitarbeiter Verbindungen zu einer Organisation, die auf einer Unvereinbarkeitsliste mit der AfD steht: Sebastian W. (Name geändert), ebenfalls Mitarbeiter eines Abgeordneten, war in seiner Jugend Mitglied der rechtsextremistischen Partei „Deutsche Volksunion“. Laut einem Gutachten des Verfassungsschutzes über die AfD soll W. auch einen Beitrag für das Aktionsforum „Institut für Staatspolitik“ geschrieben haben, das vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wurde. Auch zu Sebastian W. und Jan T. wollte sich die AfD auf Anfrage nicht äußern.
Im Dezember stufte der Verfassungsschutz auch den NRW-Landesverband der Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA), als rechtsextremen Verdachtsfall ein. „Es liegen verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Junge Alternative nicht nach demokratischen Spielregeln spielt, sondern das eigene rechtsextremistische Regelwerk vorzieht“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) damals. Seither darf die Nachwuchsorganisation nachrichtendienstlich beobachtet werden. Von den neun Mitgliedern im JA-Landesvorstand arbeiteten fünf als Mitarbeiter für AfD-Abgeordnete im Landtag.
Mitarbeiter müssen Führungszeugnis vorlegen
Die Frage, wer Zugang zum wohl wichtigsten Gebäude der Demokratie in Nordrhein-Westfalen bekommt, wird seit dem Eindringen von Demonstranten in den Reichstag 2020 mit großem öffentlichen Interesse verfolgt. Schließlich haben Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen eine allgemeine Zutrittsberechtigung zu den Gebäuden und Einrichtungen des Landtages.
2021 schlug der Landtagspräsident André Kuper (CDU) deshalb einen Gesetzesentwurf vor: Die Auszahlung von Gehältern und der Hausausweis sollen an ein eintragsfreies Führungszeugnis gekoppelt werden, heißt es da. So solle sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter von Abgeordneten ihre dienstliche Tätigkeit ausschließlich auf die Unterstützung der Abgeordneten beschränken. Das Gesetz trat zum 1. Juni 2022 mit Unterstützung der CDU, SPD, FDP und Grünen in Kraft.
„Berichte über die Beschäftigung von Extremisten durch Abgeordnete des Europäischen Parlaments, der Landtage oder des Bundestags machen uns Sorgen. Wir sind uns einig in dem Ziel, dass Extremisten nicht in Parlamente gehören“, sagt Kuper. „Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen bereits im vergangenen Jahr angepasst und werden weitere Maßnahmen prüfen, ohne jedoch das freie Mandat zu beschränken.“ Zur Frage des Umgangs mit etwaigen „Gefahren aus den eigenen Reihen“ stehe man außerdem im regelmäßigen Austausch mit den Sicherheitsbehörden, so ein Sprecher des Landtags.
Der Landtag ist nicht das einzige deutsche Parlament, in dem Personen mit Verbindungen in die rechtsradikale Szene arbeiten. Im März dieses Jahres veröffentlichte der Bayrische Rundfunk (BR) eine Recherche, nach der die AfD im Bundestag mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigt, die Sicherheitsbehörden dem rechtsextremen Spektrum zuordnen. Auch im bayrischen Landtag gibt es laut dem BR solche Fälle.
„Wer nachweislich nicht auf den Grundfesten unserer Verfassung steht, hat in einem Parlament als Beschäftigter nichts zu suchen“, sagt Ina Blumenthal, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Anfrage. „Das gilt für den Bundestag genauso wie für die Landtage und Abgeordnetenhäuser unserer Demokratie.“