Die Grünen im NRW-Landtag wollen den Clan-Begriff neu definieren und damit Stigmatisierung von bestimmten Familien verhindern. Ausnahmen sollen Fälle von Organisierter Kriminalität sein.
Kriminalität in NRWGrüne wollen Clan-Begriff neu definieren – CDU hält dagegen
Eine Fehde zwischen Rockern der Hells Angels und dem kurdisch-libanesischen Saado-Clan eskaliert im Mai 2022. Nahezu 100 Männer treten auf dem Hamborner Markt in Duisburg gegeneinander an. Schüsse fallen, verletzen drei mutmaßliche Hauptakteure. Im Juni liefern sich 400 Mitglieder zweier Clans erbitterte Straßenkämpfe in Essen-Altendorf.
Teller und Gläser fliegen, immer wieder lassen die Männer Stühle eines türkischen Grill-Lokals auf ihre Gegner niedersausen. Die Handy-Videos von dem Vorfall zeigen größere Gruppen, die ihre Opfer am Boden zusammentreten. Ein Akteur wird durch einen Messerstecher schwer am Hals verletzt, zwei weitere Männer müssen ebenfalls behandelt werden.
Die Kriminalbeamten sprechen von typischen Tumultdelikten im Clanmilieu. Geht es nach der Grünen-Partei im Landtag sollen solche Phänomene nicht mehr im Lagebild des Landeskriminalamts NRW zu Clan-Delikten auftauchen. Es sei denn, die Strafverfolger können nachweisen, dass die Organisierte Kriminalität (OK) hinter diesen Vorfällen steckt.
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Menschen sollen nicht unter Generalverdacht gestellt werden
Julia Höller, innenpolitische Sprecherin der Grünen, pocht gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ darauf, „eine neue Definition von Clan-Kriminalität zu schaffen, die nicht stigmatisiert“. Im Koalitionsvertrag habe man sich mit der CDU darauf geeinigt, den Schwerpunkt auf den Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu legen. Eine einheitliche polizeiliche und justizielle Definition in diesem Bereich solle sich einzig auf kriminelle Strukturen beziehen, „ohne Menschen pauschal zu verurteilen und unter Generalverdacht zu stellen“, teilte Höller mit.
„Ich gehe davon aus, dass sich das Innenministerium und das Justizministerium zeitnah über eine gemeinsame Definition austauschen.“ Auch der Grünen-Justizminister Benjamin Limbach befürwortet nach eigenen Angaben das Vorhaben, den Clanbegriff neu zu fassen.
Wie dieser dann genau aussehen soll, und welche Delikte herausfallen sollen, lässt Limbach allerdings offen. Schließlich ist die Agenda der tausend Nagelstiche des NRW-Innenministers Herbert Reul (CDU) gegen kriminelle kurdisch-libanesische Großfamilien bei den letzten Landtagswahlen auf großen Zuspruch gestoßen.
Im Clan-Diskurs droht inzwischen Zoff innerhalb der grün-schwarzen Koalition. Während Ministerpräsident Hendrik Wüst und seine grüne Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, nach außen einen harmonischen Regierungsstil pflegen, geht Innenminister Herbert Reul auf die Barrikaden. Vehement wehrt sich der CDU-Politiker gegen die Grünen- Pläne, den Kampf gegen die Clan-Kriminalität aufzuweichen.
Auf Anfrage dieser Zeitung will der CDU-Politiker an seinem Law-and-Order-Kurs festhalten: „Wenn wir ein Problem lösen wollen, müssen wir es benennen und unter anderem jährliche Lagebilder zur Clan-Kriminalität erstellen.“ Auf diese Weise leuchte man das Dunkelfeld aus und mache das Phänomen sichtbar, führt Reul aus. „Erst in der Gesamtschau erkennt man das ganze Ausmaß, die Zusammenhänge und die neuralgischen Punkte. Und nur so lassen sich maßgeschneiderte Konzepte entwickeln um diese Kriminalität zu bekämpfen.“
Zwar stellten die Ermittler im Jahr 2021 in jedem fünften OK-Verfahren Bezüge zu kurdisch-libanesischen Großfamilien fest. In NRW zeige die Clan-Kriminalität allerdings viele Gesichter, so Reul: „Aggressives Machtgehabe in der Öffentlichkeit, Tumulte, Gewalt-Eskalationen – alles mit dem Ziel, bestimmte Straßen und Plätze für sich zu reklamieren.“
Demnach bespielen Clan-Größen die ganze Bandbreite der Allgemeinkriminalität: Bedrohungen, Beleidigungen, Nötigungen, Körperverletzungen oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Diese Delikte seien genauso an der Tagesordnung wie alles, was Geld einbringe: Raub, Betrug, Diebstahl und Fälschungsdelikte, erläuterte der Innenminister weiter. „Und diese Typen legen eine Arroganz an den Tag nach dem Motto: Wir machen, was wir wollen; wir pfeifen auf den Staat‘. Deshalb sind kriminelle Clan-Angehörige für mich der Inbegriff dessen, was ein funktionierender Staat verhindern muss. Wir werden Clan-Kriminalität weiter auf allen Ebenen und in all ihren Erscheinungsformen konsequent bekämpfen.“
Verena Schaeffer kritisierte im Wahlkampf Reuls Null-Toleranz-Strategie
Selten geht ein Minister so harsch mit seinem Koalitionspartner ins Gericht. Reul fürchtet eine Rückkehr zu alten politischen Reflexen des Wegsehens, die über Jahrzehnte zum Aufstieg kurdisch-libanesischer Familien gerade im Ruhrgebiet führten. Im Landtagswahlkampf noch kanzelte die Grünen-Fraktionschefin Verena Schaeffer die Clankriminalität als „aufgebauschtes Thema“ ab. Reuls Null-Toleranz-Strategie stieß bei ihr auf wenig Gegenliebe.
Inzwischen aber hält sich Schaeffer auf Anfrage bedeckt. Vielmehr übernimmt ihre Kollegin Höller. Die Innenpolitikerin wies auf „migrantische Jugendliche“ hin, die in dritter Generation hier lebten und über keine Ausbildungsperspektive verfügten. Außerdem beklagte die Landtagsabgeordnete bei jenen Teenagern „anlasslose Kontrollen durch die Polizei, ohne dass diese etwas angestellt haben. Wir müssen vor allem den jungen Menschen eine Perspektive geben und ihnen zeigen, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind, statt sie pauschal zu stigmatisieren.“
Mit großem Unmut haben CDU-Abgeordnete eine Pressemitteilung der Grünen-Co-Parteichefin Yazgülü Zeybek zu den tödlichen Schüssen auf den 16-jährigen senegalesischen Flüchtling Mouhamed D. durch die Polizei aufgenommen. Die Landesvorsitzende hatte nach Berichten über den mutmaßlich rechtswidrigen Einsatz „rassistische Denkmuster“ bei den Einsatzkräften in den Raum gestellt.
Beim schwarzen Koalitionspartner herrscht Entsetzen. Der CDU-Abgeordnete Gregor Golland betonte: „Jeden Tag stehen unsere Polizeibeamtinnen und -Beamte für unsere Sicherheit ein. Und diese dann pauschal zu verurteilen ist weder richtig noch hilfreich.“
Der sicherheitspolitische Streit wird sich demnächst um ein weiteres Kapitel erweitern. Nämlich dann, wenn die Polizei das Tagebau-Dorf Lützerath von Klima-Aktivisten räumen soll. Eskaliert der gewaltsame Konflikt zwischen den Beamten und den Besetzern, müssen die Grünen in NRW erneut einen schwierigen Spagat leisten: Zwischen Kritik an der Polizei und einem verträglichen Umgang mit dem schwarzen Koalitionspartner.