Die nordrhein-westfälische Landesregierung blickt auf die Corona-Pandemie zurück: Was kann man lernen? Welche Folgeschäden sind nicht bewältigt?
AfD-Anfrage im LandtagNRW-Regierung zieht Bilanz nach fünf Jahren Corona
Rund fünf Jahre nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie zieht die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein gemischtes Fazit: Einschränkende Maßnahmen seien zwar für die gesamte Gesellschaft belastend gewesen, heißt es in ihrer Antwort auf eine große Anfrage der AfD-Landtagsfraktion. Unter dem Strich habe eine sorgfältige Abwägung aller tangierten Grundrechte, Interessen und Risiken aber dazu geführt, dass „das Gesundheitssystem in Nordrhein-Westfalen insgesamt für die gesamte Dauer der Pandemie funktionsfähig geblieben ist.“
NRW-Landesregierung beantwortet Corona-Anfrage der AfD-Fraktion
Auf mehr als 180 Seiten beantwortete das Gesundheitsministerium federführend 500 Fragen der AfD zu allen Aspekten der Pandemie. Corona habe nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit gehabt, „sondern nahezu auf alle Lebensbereiche“, beschreibt die Landesregierung das Besondere an der rund drei Jahre währenden Pandemie.
„Dadurch war die Corona-Pandemie geprägt von Zielkonflikten.“ Was medizinisch notwendig gewesen sei, habe ökonomische Schäden hervorrufen können, die ihrerseits wiederum soziale, psychische, aber auch medizinische Folgen nach sich gezogen hätten.
Getrübte Kinder- und Jugendjahre haben anhaltenden Folgen für die Psyche
Kinder und Jugendliche hatten besonders unter Isolation zu leiden, weil Kitas und Schulen immer wieder von Zugangsbeschränkungen oder gar Schließungen betroffen waren: Distanzunterricht zu Hause statt gemeinsam lernen oder spielen.
Die Landesregierung sei sich bewusst, dass die damals für notwendig erachteten Maßnahmen „zu Belastungen und Einschränkungen geführt haben, die allein aus pädagogischer Sicht nicht wünschenswert waren“, räumt sie in dem vom Landtag veröffentlichten Dokument ein. Es konnten „negative Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Bereichen soziale Interaktion und sozio-emotionale Entwicklung, körperliche Aktivität sowie psychisches Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen festgestellt werden“, bilanziert die Regierung.
Gerade zu Beginn der Pandemie habe es aber noch keine verlässlichen Daten zu einem geringeren Gesundheitsrisiko für Kinder und Jugendliche gegeben. Während der Corona-Jahre seien in NRW steigende Zahlen an ambulanten Behandlungsfällen bei psychischen Auffälligkeiten sowie Depressions- und Angstsymptomen bei Minderjährigen zu verzeichnen gewesen. Zwar seien die Zahlen seit Ende 2022 tendenziell wieder rückläufig, jedoch nicht wieder auf das Niveau vor der Pandemie gefallen.
Isolation trifft Menschen in allen Bevölkerungsschichten
Zweifellos habe Corona die Einsamkeit verstärkt: „Besonders stark scheinen die Auswirkungen der Pandemie für Jugendliche und junge Erwachsene zu sein.“ Allerdings reiche das Problem viel weiter.
So habe eine Kurzbefragung zu den Auswirkungen der Corona-Krise im Sommer 2020 ergeben, dass sich bei Menschen im Alter von 46 bis 90 Jahren die Einsamkeitsrate in der Anfangsphase der Pandemie auf knapp 14 Prozent erhöht habe – ein 1,5-mal höherer Wert als in den Jahren 2014 bis 2017. „Der Zuwachs wurde in allen Altersgruppen verzeichnet, Geschlecht oder Bildungsniveau machten keinen wesentlichen Unterschied aus“, heißt es in der Regierungsantwort.
Um den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung zu verbessern, habe NRW als erstes Bundesland, neben Schleswig-Holstein, eine gesetzliche Möglichkeit genutzt, in ländlichen und strukturschwachen Gebieten zusätzliche Arztsitze einzurichten – in NRW mehr als 34 zur Niederlassung von Psychotherapeuten. „In Nordrhein-Westfalen weisen fast alle Planungsbereiche für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten einen Versorgungsgrad über 110 Prozent auf und sind damit für weitere Niederlassungen gesperrt.“
Landesregierung zieht Lehren aus dem einsamen Sterben
Aus der bitteren Isolierung alter und auch sterbender Menschen in Krankenhäusern, Pflege- und Behinderteneinrichtungen will die Landesregierung Lehren ziehen. Das generelle Besuchsverbot in der ersten Phase der Pandemie sei „sehr einschneidend“ gewesen, räumt sie ein.
Mit den Erkenntnissen von heute wäre eine solche generelle Schließung nicht angeordnet worden, stellt sie fest. „Es sollte zu jeder Zeit die Möglichkeit geben, den persönlichen Kontakt zu Angehörigen und Bezugspersonen aufrechtzuerhalten.“ Das gelte in besonderer Weise für die Begleitung Sterbender.
AfD verlangt Rechenschaft über „Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“
Die AfD sprach in ihrer Anfrage von einem „höchst fragwürdigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“ – etwa bei den damaligen „2G“- und „3G“-Regeln, die den Zutritt zu bestimmten Orten an die Merkmale geimpft, genesen, getestet geknüpft hatte - in Verbindung mit Schnelltests oder sogar einem verpflichtenden Labortest. Daher müsse der Staat sein Handeln offenlegen.
Sämtliche beschränkende Zugangsregelungen hätten das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit tangiert und gegebenenfalls auch andere Grundrechte wie die Religions- oder Berufsfreiheit, bestätigte die Regierung. Alle Rechtsgüter seien aber umfassend und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßig abgewogen worden: Leben und Gesundheit, Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens und vieles Andere.
NRW-Landesregierung rechtfertigt ihren Kurs
Einen „harten Lockdown“ oder „Ausgangssperren“ für Bürger habe es in NRW ebenso wenig gegeben wie Grenzschließungen. Das zuständige Oberverwaltungsgericht Münster habe in der überwiegenden Mehrheit der Verfahren die getroffenen Maßnahmen bestätigt. Das sei auch bei den „2G“- und „3G“-Maßnahmen der Fall gewesen, die im Vergleich zur kompletten Schließung von Angeboten ein deutlich milderes und ohne großen Aufwand mögliches Mittel gewesen seien.
Ob eine andere Strategie effektiver gewesen wäre, sei nachträglich nicht belastbar zu beantworten, weil niemand wisse, wie sich das Infektionsgeschehen unter anderen Voraussetzungen entwickelt hätte.
Für manche Fluch, für viele Segen: Streit über Impfungen
Die Landesregierung hat nach eigenen Angaben rund 1,1 Milliarden Euro für Impfungen gegen das Coronavirus ausgegeben, wovon annähernd die Hälfte durch den Bund erstattet worden sei. In NRW seien seit Beginn der Impfkampagne im Jahr 2021 insgesamt 2.138 Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens im Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung gestellt worden. Bis Anfang September 2024 seien 119 Anerkennungen ausgesprochen worden.
Bis zum selben Stichtag seien der Landesregierung gemäß Infektionsschutzgesetz 13 Todesfälle gemeldet worden, in deren Impfhistorie mindestens eine Dosis „Vaxzevria“ (ehemals „Astrazeneca“) genannt sei. In 60 solcher Fälle sei gemeldet worden, dass die Personen stationär behandelt werden mussten. In 36 Meldungen sei angegeben, dass die Symptome lebensbedrohend gewesen seien. Die Landesregierung könne aber nicht bewerten, ob es einen kausalen Zusammenhang mit dem Impfstoff gebe.
Auch Wirtschaft und Arbeitsmarkt leiden unter Corona
Darüber hinaus habe der Ausbruch der COVID-19-Pandemie „die gesamte Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen stark beeinträchtigt“, heißt es in der Antwort. „In der Folge kam es unter anderem zu Nachfragerückgängen vieler Produkte, Störungen von Lieferketten durch geschlossene Betriebsstätten und Grenzen, Mobilitätsbeschränkungen und Einschränkungen in vielen Dienstleistungsbereichen.“
Bereits ab März 2020 habe die Pandemie negative Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt nach sich gezogen. Der erste bestätigte Corona-Fall in NRW war im Februar 2020 bei einem Mann aus dem Kreis Heinsberg diagnostiziert worden.
Mit ausgezahlten Zuschüssen von mehr als 4,5 Millionen Euro an rund 430.000 Empfänger sei daraufhin „das größte und schnellste Hilfsprogramm in der Landesgeschichte“ angelaufen. Allerdings ist das Rückmeldeverfahren für die Soforthilfe 2020 noch nicht abgeschlossen. Bislang seien schon Rückzahlungsforderungen in Höhe von rund 2,2 Milliarden Euro festgestellt worden.
Corona zwingt Deutschland zum Digitalisierungsschub
Gab es infolge der Pandemie auch irgendwas Positives? Ja, einen Digitalisierungsschub und den massenhaften Nachweis, dass auch von zu Hause aus produktiv gearbeitet werden kann. „Homeoffice dürfte für viele Erwerbstätige nach der Coronazeit zum Normalfall geworden sein“, stellt die Landesregierung fest. Repräsentative Daten belegten, dass das genutzte Homeoffice-Potenzial inzwischen bei etwa 38 Prozent der Erwerbsbevölkerung in Deutschland liege – mehr als doppelt so viel wie vor der Pandemie.
Bei den Stellenangeboten liege die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, inzwischen bei 17,6 % der untersuchten Online-Anzeigen. „Vor Beginn der Corona-Pandemie spielte Homeoffice in Deutschland so gut wie keine Rolle“, bilanzierte die Landesregierung. „2019 wurde nur in 3,7 Prozent aller Online-Stellenangebote die Möglichkeit zum Homeoffice eröffnet.“ (dpa)