AboAbonnieren

InterviewIn der Mediclin- Rehaklinik in Eckenhagen werden Post-Covid-Patienten behandelt

Lesezeit 7 Minuten
Matthias Schmalenbach, Chefarzt der Pneumologie  an der Mediclin-Rehaklinik in Reichshof-Eckenhagen, und Jürgen Bonnert, Chefarzt der Neurologie und kommissarischer Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie, stehen vor einem Klinikschild.

Als Ärzte in unterschiedlichen Fachbereichen behandeln Matthias Schmalenbach (r.) und Jürgen Bonnert an der Rehaklinik in Reichshof-Eckenhagen Post-Covid-Patienten.

Die beiden Ärzte Matthias Schmalenbach und Jürgen Bonnert sprechen über Post-Covid, die Behandlung der Erkrankten und die schwierige Diagnostik.

Fünf Jahre ist es her, dass in Oberberg der erste Corona-Fall dokumentiert wurde und wenig später die Pandemie im gesamten Kreis wütete. Es folgten ein Lockdown, viele Hygienemaßnahmen sowie eine hitzige Diskussion über die Corona-Schutzimpfung. Heute ist Corona kaum noch Thema in der Öffentlichkeit. Nicht so jedoch bei denjenigen, die bis heute an den Folgen der Infektion leiden.

Linda Thielen hat mit Matthias Schmalenbach, Chefarzt der Pneumologie an der Mediclin-Rehaklinik in Reichshof-Eckenhagen, und Jürgen Bonnert, Chefarzt der Neurologie und kommissarischer Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie, über Post-Covid, die Behandlung der Erkrankten und die schwierige Diagnostik gesprochen.

Sie behandeln in Ihren Fachbereichen auch Post-Covid-Patienten. Wie hat sich Ihre Arbeit seit dem Beginn der Corona-Pandemie verändert?

Jürgen Bonnert: Die Corona-Situation hat sich im Vergleich zu vor fünf Jahren geändert. Damals haben wir uns noch für die notfallmäßige Versorgung von Akutpatienten bereitgehalten, heute sind wir an einem ganz anderen Punkt. Wir haben in der Klinik wenige Corona-Infektionen, sondern behandeln Post-Covid-Patienten. Dabei sind wir in unseren Fachbereichen Neurologie, Pneumologie und Psychosomatik sehr stark eingebunden.

Matthias Schmalenbach: Wir haben am Anfang der Pandemie ein Mediclin-weites Expertenboard aufgelegt. Das heißt, wir schalten uns digital mit Expertinnen und Experten der Mediclin Post-Covid-Schwerpunktkliniken zusammen und tauschen uns über besonders schwere Fälle und unsere Erfahrungen aus. Dabei sammeln wir nicht nur für uns Informationen über Symptome, die bei Post-Covid-Patienten häufig auftreten, sondern wollen gleichzeitig und auf lange Sicht Ratgeber sein. Das leben wir bis heute weiter. Unsere Idee ist, dass wir gemeinschaftlich Hilfestellungen geben können. Dazu haben wir Fragebögen für Betroffene in allen unseren Post-Covid-Einrichtungen entwickelt, die im Rahmen einer Reha-Studie durch das Forschungsinstitut Mediclin Reha Research anonym ausgewertet werden. Am Ende dieses breit angelegten Forschungsprojektes soll eine Plattform entstehen, die Betroffenen hilft, ihre Symptome zu deuten und Handlungsempfehlungen gibt.

Welche Symptome treten bei Post-Covid-Patienten auf?

Bonnert: Das ist ein Symptomkomplex. Wir haben herausgefunden, dass es bestimmte Symptome gibt, die relevant auftreten – aus unterschiedlichen Fachdisziplinen. Das ist zum einen die Fatigue-Symptomatik, also Müdigkeit. Dann die postexertionelle Malaise, kurz PEM – dazu zählen Kopfschmerzen, grippeartige Beschwerden oder Schwindel. Aber auch kardiopulmonale Symptome, zum Beispiel in Form von Husten, Blutdruck- und Herzfrequenzstörungen. Außerdem haben viele Patienten Schmerzen und weitere auch kognitive Störungen. Sie können sich beispielsweise nicht mehr gut konzentrieren. Wegen dieser vielen unterschiedlichen Symptomen ist es so wichtig, dass wir interdisziplinär zusammenarbeiten. Denn wir haben bisher leider keinen Labortest, über den Post-Covid diagnostiziert werden kann.

Wie schwer ist es denn dann, die richtige Diagnose zu stellen?

Schmalenbach: Wenn man Beschwerden aus verschiedenen Fachbereichen hat, haben Patienten oftmals nicht die Chance, von allen Fachärzten gesehen und eingeschätzt zu werden. Der Anlauf ist üblicherweise zunächst über den Hausarzt. Von dort aus wird man dann meist zu entsprechenden Fachärzten geschickt. Es ist wichtig, unser Wissen auch an die Hausärzte und Patienten weiterzugeben, damit diese im besten Falle schon selbst einschätzen können, ob es sich um Post-Covid handeln könnte.

Fühlen sich Betroffene wegen der schwierigen Diagnostik mit ihren Beschwerden manchmal nicht ernstgenommen?

Schmalenbach: Am Anfang hatten wir oft Patienten, die genau das berichtet haben. Mit dem Aufnahmegespräch bei uns in der Rehaklinik hat die Besserung angefangen. Viele waren erleichtert, dass ihnen jemand zuhört. Post-Covid wird mittlerweile mehr als Erkrankung akzeptiert, aber noch nicht vollends.

Bonnert: Das liegt sicher an der schwierigen Diagnostik, aber auch an den nicht sichtbaren Symptomen. Diese haben es einfach schwerer, anerkannt zu werden.

Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen Post- und Long-Covid?

Bonnert: Der Unterschied liegt auf der Zeitschiene. Die Akuterkrankung definieren wir für die ersten vier Wochen. Das ist die Infektionszeit selbst. Von Woche vier bis zwölf sprechen wir von Long-Covid und bezeichnen damit die verlängerte Symptomatik einer Infektion. Nach zwölf Wochen gehen wir davon aus, dass das Infektionsgeschehen abgeschlossen ist und sprechen von Post-Covid. Dann ist es nicht mehr das Virus oder die Infektion, sondern es ist ein Prozess in Gang gekommen.

Schmalenbach: Andere sagen wiederum, dass Long-Covid dafür der bessere Begriff wäre. Da gibt es eine Unschärfe, das muss man sagen.

Wir sprechen heute über Post-Covid. Wie viele Ihrer Patienten an der Rehaklinik in Eckenhagen sind denn an Post-Covid erkrankt?

Bonnert: Das sind im Schnitt zwischen 25 und 30 von insgesamt 226 Patienten, für die es bei uns ein Bett in der stationären Reha gibt. Ich würde sagen, im Jahr sind es insgesamt 300 Patienten.

Wie alt sind die Betroffenen?

Bonnert: Im Schnitt sind die Patienten um die 40 Jahre alt, bei uns in der Klinik zurzeit um die 50 Jahre alt.

Es gibt begrenzte Rehaplätze, auch für Post-Covid-Patienten. Wie ist die Nachfrage bei Ihnen?

Bonnert: Die Nachfrage ist hoch. Viele kommen mit langem Vorlauf zu uns. Sie sind oftmals schon mindestens ein halbes Jahr krankgeschrieben und erwerbsunfähig.

Schmalenbach: Viele Betroffene hoffen, dass die Zeit alles wiedergutmacht und gehen erst nach einigen Wochen zum Arzt. Bis sie dann in die stationäre Reha kommen, vergehen in der Regel einige Monate. Das ist nicht ungewöhnlich.

Bonnert: Der notwendige Antrag bei der Rentenversicherung für die stationäre Reha kann bis zu einem Jahr dauern. Aber die Patienten sind vorher nicht unbehandelt, sondern befinden sich schon in ambulanter Behandlung, bevor sie zu uns kommen.

Wie können Sie den Post-Covid-Patienten helfen?

Bonnert: Wir behandeln in erster Linie symptombezogen. Aber wir haben auch einen gemeinsamen Rehabilitationsansatz für diese Patienten: das Selbstmonitoring. Dabei führen sie ein Tagebuch und halten ihre tägliche körperliche, kognitive und emotionale Belastung fest, um zu lernen, diese selbst besser einschätzen zu können.

Schmalenbach: Dank unserer drei Fachabteilungen Psychosomatik, Neurologie und Pneumologie haben wir in Eckenhagen ein sehr breites Therapieangebot. Unsere Patienten müssen vor allem lernen, mit ihren Kräften zu haushalten. Viele Post-Covid-Patienten haben die frustrierende Erfahrung gemacht, dass sie nach einer zu schnellen Belastung zurückgeworfen werden und das im ungünstigsten Fall auch mit einem beruflichen Scheitern einhergeht. Wir haben in der Reha gemeinsam einige Wochen Zeit, die Belastung auf einen konstanten Weg zu bringen. Hier braucht es Geduld.

Bonnert: Wenn Patienten über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen stabil in einem mittleren Leistungsbereich trainieren, können wir Leistungen steigern. Das ist unsere gute Erfahrung. Patienten bleiben bei uns in der Pneumologie drei bis vier Wochen, in der Neurologie vier bis fünf Wochen und in der Psychosomatik fünf bis sechs Wochen. Aktuell erholen sich Dreiviertel der Post-Covid-Patienten nach 15 Monaten wieder weitgehend, aber ein Viertel ist auch nach 15 Monaten noch krank. Für sie können wir keine richtige Prognose geben.

Wie schauen Sie auf die Forschung? Wird die Diagnostik von Post-Covid eines Tages einfacher sein?

Bonnert: Wir erhoffen uns natürlich, möchte ich ganz bescheiden sagen, dass wir irgendwann einen Biomarker finden. Das wäre natürlich toll, wenn wir eine Blutuntersuchung machen und somit einen sicheren Nachweis hätten. Aber da ist momentan nichts in Aussicht.

Schmalenbach: Wir wollen durch unseren Weg, den wir in Eckenhagen beschreiten, diagnostische Sicherheit gewinnen, auf die wir uns berufen können. Also: Wenn bestimmte Symptome vorliegen, dann dürfen wir es Post-Covid nennen. Das ist ja schon eine Hürde. Und wir versuchen, verschiedene Post-Covid-Gruppen zu unterteilen – je nach führenden Symptomen. Daraus lässt sich schließen, von welchen Rehamaßnahmen sie am besten profitieren würden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass man in der Forschung Fortschritte machen wird.

Wie hat sich Ihr Verhalten, auch im privaten Umfeld, verändert, wenn es um das Tragen einer medizinischen Maske geht, und um Rücksicht auf andere, wenn man selbst krank ist? Immerhin haben Sie schwere Covid-Verläufe bei Ihrer Arbeit täglich vor Augen.

Bonnert: Ich hatte erwartet, dass das Tragen einer Maske in der Öffentlichkeit erhalten bleibt. Das ist so nicht gekommen. Aber ich glaube, wir sind heute schon etwas wachsamer, wenn wir einen Infekt haben – und das muss nicht Corona sein. Ich überlege mir mittlerweile viel genauer, wem ich begegne, wenn ich krank bin. Auch bei uns in der Klinik sollen sich Mitarbeiter, die Symptome haben, niedrigschwellig krankmelden oder eine Maske tragen.

Schmalenbach: Wenn ich Erkältungssymptome habe, ist es eigentlich meine Aufgabe, meine Mitmenschen durch das Tragen einer Maske zu schützen.