Neurogenes ZitternMit diesem Training lassen sich Verspannungen wegzittern
- Eine neue Trainingsmethode, die sich die positiven Effekte des Zitterns zunutze macht, soll helfen, Verspannungen und Traumata loszuwerden.
- Was sich wie eine exotische Lehre anhört, gewinnt zurzeit in Deutschland an Bedeutung.
Vor Beata Korioth haben schon viele gezittert. Die Bewusstseinstrainerin und Yogalehrerin bringt ihren Klienten bei, durch Zittern ihre Verspannungen und auch Traumata loszuwerden. Was sich wie eine exotische Lehre anhört, gewinnt zurzeit in Deutschland an Bedeutung. Traumatologen und Ärzte erinnern sich, dass das Zittern eine ganz besondere Funktion im Körper hat. Und dabei stützen sie sich auf einen Vorgang, den jeder von sich selbst kennt. Denn wer hätte nicht schon einmal gezittert?
Verschiedene Ursachen für Zittern
In der Kölner Praxis der Bewusstseinstrainerin liegen viele Matten in einem großen Raum. Hier legen sich die Klienten von Beata Korioth hin und warten, bis das große Zittern einsetzt. Wer am Boden liegt, muss nur die Beine etwas anziehen, die Hüfte sanft anheben und ausharren. Irgendwann werden zwei besondere Stränge der Bauchmuskulatur müde und das Zittern beginnt. Erst schwingt das Becken sanft, dann vibrieren die Beine. Und wer seinen inneren Widerstand aufgegeben hat, seine Angst, sich vor anderen keine Blöße geben zu wollen, verloren hat, den packt das Zittern am ganzen Körper.
Dieses Zittern ist etwas ganz Besonderes. Dabei handelt es sich nicht nur um ein bloßes Muskelzittern (Tremor), das ganz unterschiedliche Ursachen haben kann. Menschen zittern vor Kälte, wenn sie unruhig sind oder wenn die Muskeln ermüdet sind. Meistens sind die Ursachen von Muskelzittern harmlos, aber es gibt auch schwerwiegende Krankheiten wie Parkinson.
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Neurogenes Zittern, sagt Beata Korioth, ist davon zu unterscheiden. Denn mit dem Zittern soll den Menschen explizit geholfen werden. „Wir können das Zittern nachträglich ganz gezielt einsetzen und damit Trauma- und Angstspuren der Vergangenheit entladen“, sagt sie. Natürlich ersetze diese Methode nicht jene Begleitung, die hochtraumatisierte Menschen brauchen. Sie könne sie jedoch unterstützen. Der Körper liefert mit jeder Schreckreaktion zugleich auch eine Entspannungsreaktion. Kommt Spannung in den Körper, können wir die Hochspannung durch das neurogene Zittern wieder abgeben.
Gesellschaftliche Normierung
Vor allem eine gesellschaftliche Normierung verhindert, dass die Menschen sich über den Nutzen des Zitterns im Klaren sind, glaubt Beata Korioth. Häufig werden Jungs etwa durch Sprüche wie „Kleine Mädchen zittern, du doch nicht“ vom Zittern abgehalten. „Dabei zittern wir alle. Wenn man uns lässt“, sagt sie. Der Körper will Verspannungen abgeben, wenn man ihn lässt. „Manche erleben auch das feine Zittern nach dem Sex. Es schaudert uns, wenn etwas unter die Haut geht“, sagt sie. „Das ist bereits der Entspannungsmechanismus.“ Zugleich aber auch nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die Körper tun würden, wenn man ihnen das Zittern ganz und gar erlaubt.
„Es ist schon erstaunlich, dass wir in einem Körper stecken und zugleich so entfernt von uns selbst sind“, sagt Korioth. Die Mehrzahl der Menschen habe keine Idee mehr vom Zittern. „Wir nutzen unsere körpereigene Antwort auf die Belastungen zu wenig“, glaubt sie. Ein elementarer Fehler. Mit dem Prinzip: Zähne zusammenbeißen und den Druck leben, würden ja nur mehr Burnout-Fälle verursacht.
Auch der Orthopäde Dr. Peter Dietrich kann dem neurogenen Zittern durchaus etwas abgewinnen. In der Medizin kenne man das Stresszittern, etwa nach einem Kampf, oder das Ermüdungszittern wie nach einem anstrengenden Training. „Durch das Zittern führt der Körper Stress ab“, sagt der Sportmediziner, der in Dortmund eine medizinische Praxis hat und die Behinderten-Nationalmannschaft des DFB als Arzt betreute. „Wer zittert, den sollte man deshalb auch zittern lassen.“
Auch Lachanfälle kann es geben
Beata Korioth hat viele Klienten, die vor ihr im besten Sinne zittern. Manche schlugen mit den Beinen aus, andere mit den Armen. Auch Lachanfälle kann es geben. Es gibt einen mentalen Schalter, das einzustellen: den eigenen Willen. Dann heißt es: Zittern erlauben.
Man müsse wieder dahin kommen, dass das Zittern zu einem Heilungsprozess dazu gehört. Das Zittern würde ganz natürlich einsetzen, nach einem Sturz, nach einem intensiven Tag, nach einem plötzlichen Schrecken, wenn eine Tür hinter uns zuknallt, aber auch nach intensiven Erfahrungen, wie einer Geburt, oder wenn wir, vor lauter Angst, nicht mehr weiterwissen.
Oft werde es bei Traumatisierten durch Medikamente unterdrückt.„Wir entladen Druck und Anspannungen nicht mehr“, sagt die Therapeutin. Wir frieren sie ein, dadurch verkörpern wir sie. Das neurogene Zittern sei die klügste Einrichtung des Körpers, glaubt Beata Korioth. Besser als alles, was man sich ausdenken kann.
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