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Meditation im AlltagFastenkur für den Geist

Lesezeit 6 Minuten

Simone Picha im Lotossitz: Jede Woche findet in ihrem Yogastudio Zen-Meditation statt.

Die Sonne ist gerade erst aufgegangen, und Simone Picha sitzt schon seit drei Stunden auf einem schwarzen Kissen und schweigt. Draußen, im Kölner Rheinauhafen, ist außer einem Frühaufsteher mit Hund noch niemand unterwegs. Drinnen, im Übungsraum mit den zugezogenen Vorhängen, ist es so ruhig, dass man die Atemzüge der acht Menschen hören kann, die hier mit überkreuzten Beinen auf ihren Kissen sitzen. Unterbrochen wird die Stille dann und wann vom Tönen einer Klangschale, auf die Picha zu Beginn und am Ende einer Meditationseinheit mit einem kleinen Klöppel schlägt. In den Räumen der Yoga-Schule, die ihr gehört, findet gerade eine kurzes Sesshin statt, ein mehrstündiges Meditieren.

Sitzmeditation Zen

Die Methode, nach der die 50-jährige seit mehr als 20 Jahren meditiert, ist das Zen (siehe Kasten unten), eine Sitzmeditation buddhistischen Ursprungs. Mit Anfang 20 sei sie zum ersten Mal mit dieser fernöstlichen Methode und Philosophie in Berührung gekommen, sagt Picha, als wir später mit Pappbechern mit dampfendem Früchtetee auf dem Sofa im Vorraum des Yogastudios sitzen. Erst jetzt darf sie sprechen. Während des Sesshins, das an diesem Sonntagmorgen aus acht Sitzeinheiten à 20 Minuten bestand, unterbrochen nur von kurzen Pausen, wird konsequent geschwiegen. Über ihren damaligen Partner sei sie mit Zen-Literatur in Berührung gekommen, sagt Picha. Durch ihn habe sie selbst angefangen, zu lesen. So lange, bis ihr irgendwann die „Ohrfeigen“ auf die Nerven gegangen seien, die in fast allen Büchern über Meditation irgendwann auf den Leser einprasseln: Die notorischen Hinweise nämlich, dass einen das Lesen selbst der Erfahrung kein Stück näherbringe – und dass man das Ganze bitteschön selbst ausprobieren müsse.

Stressabbau als Hauptgrund

Damals, 1992, lebte Simone Picha in Stuttgart und war gerade dabei, sich in ihren ersten Berufsjahren als Modedesignerin zu behaupten. „Die Modebranche ist sehr schnelllebig“, sagt sie, die sich inzwischen als Yogalehrerin selbstständig gemacht hat. „Als Ausgleich fand ich es sehr anziehend, in die Stille zu gehen.“ Stressabbau sei aber nicht der Hauptgrund gewesen, sich mit Zen zu beschäftigen, schiebt sie hinterher. „Es war eher der Wunsch, tiefer zu gehen, persönlich zu reifen.“

Alles zum Thema Rheinauhafen

Ihr erstes Meditationsseminar besuchte Picha in einem Seminarhaus in Süddeutschland. Der Dozent war Fumon Nakagawa Roshi, ein Zen-Meister aus Japan und offizieller Deutschland-Beauftragter einer der größten Zen-Schulen seines Landes. Der Mönch mit dem kahlgeschorenen Schädel und den buschigen Augenbrauen schlug die junge Frau direkt in seinen Bann. Er habe sie umgehauen mit seiner Präsenz, erinnert sich Picha heute. „Er hat nichts verkauft, sondern war einfach da. Wie ein Samurai-Krieger.“ Einige Wochen später machte sie bei Nakagawa ihr erstes Sesshin. Bis heute nimmt sie regelmäßig Meditations-Auszeiten in seinem Zen-Kloster in Süddeutschland.

Äußere Reize abschalten lernen

Die Erklärung, was Zen überhaupt ist, hänge immer davon ab, wer fragt, sagt Simone Picha, die regelmäßig Meditation mit einer Einführung für Anfänger anbietet. „Oft beschreibe ich Zen einfach als Fastenkur für den Geist. Eine Zeit, in der einfach mal keine neuen Eindrücke von außen auf einen einströmen.“ Beim stillen Sitzen gehe es darum, nicht mehr unmittelbar auf äußere Reize zu reagieren, sondern einfach zu beobachten, was in Körper und Bewusstsein geschieht – ohne dieses zu bewerten und zu beeinflussen. Als Meditierender stelle man sich fortwährend die Frage: Welche Gedanken schwirren mir eigentlich gerade durch den Kopf? Was fühle ich? „Viele Anfänger meinen, sie dürften nicht mehr denken und haben das Gefühl, etwas falsch zu machen, wenn im ruhigen Sitzen genau das Gegenteil passiert“, sagt Picha. Dabei gehe es ums Beobachten: „In der Stille wird klar, wie sehr uns der Verstand dominiert. In diesen Zustand merkt man plötzlich: Ich denke ja die ganze Zeit – und ich denke ziemlich häufig jede Menge Schrott!“ Für Neulinge hat Picha auch eine eher nüchterne Definition parat: „Ich sage dann immer: Das Gehirn ist ein Organ, wie die Leber. Es ist dazu da, Gedanken zu produzieren.“ Genau diese Gedankenproduktion gelte es in der Meditation erst einmal wahrzunehmen.

Katsuki Sekida: „Zen-Training. Praxis, Methoden, Hintergründe“, Herder, 304 S., 12,95 Euro

Shunryu Suzuki: „Zen-Geist, Anfänger-Geist“, Herder, 160 S., 8,99 Euro

Robert Aitken: „Zen als Lebenspraxis“, Diederichs, 192 S., 14,95 Euro

Paul J. Kohtes: „Das Buch vom Nichts – Mit Zen zu einem Leben in Fülle“, GU, 120 S., 14,99 Euro

Hinnerk Polenski: „In der Mitte liegt die Kraft: Mit Zen gelassen bleiben in der Arbeitswelt“, Kamphausen, 240 S., 14,95 Euro

Den "inneren Affen" kennenlernen

Wer sich zum ersten Mal auf ein Meditationskissen setzt und versucht, möglichst still und bewegungslos auf seinen Atem zu achten, dem werde tatsächlich schnell klar, wie produktiv unser Denkorgan ist, sagt Ulrich Ott, Diplom-Psychologe und Meditationsforscher an der Universität Gießen. Ähnlich dem Herzen, das ständig literweise Blut durch den Körper zirkulieren lässt, pumpt der Verstand ständig neue Gedanken durch den Geist: Erinnerungsfetzen, Pläne für die Abendplanung, die To-Do-Liste des nächsten Arbeitstags. „Im Yoga sagt man, der Geist ist wie ein Affe, der im Baum herumspringt, dazu noch betrunken ist und vom Skorpion gestochen wurde“, sagt Ott.

Yoga-Lehrerin Picha kennt ihren „inneren Affen“ inzwischen sehr gut. Sie weiß, welche Wirkungen längere Meditationseinheiten auf ihn haben können – „ich fühle mich nach dem Sitzen oft klarer, leichter von Erinnerungen und auch heiter“ –, und sie weiß, wie sehr sich der Verstand manchmal gegen das geistige Fasten wehrt.

Geistige Fastenkur

Einmal, während einer langen Meditationswoche in einer Gruppe, habe sie plötzlich während einer Sitzeinheit heftige Zahnschmerzen bekommen, die beim Aufstehen wie von Zauberhand verschwanden. „Das war ein Trick meines Körpers, um mich zum Aufstehen zu bringen“, glaubt sie. Nicht nur wegen solcher Schilderungen klingt Zen für viele eher nach Qual denn nach Entspannung. Auch die strengen Rituale im Zen – es gibt feste Regeln etwa für Verbeugungen, Hand- und Sitzhaltung und das Gehen zwischen zwei Meditationseinheiten – wirken auf Einsteiger oft befremdlich. Die präzisen Bewegungen und strengen Abläufe dienten der Konzentration, der Fokussierung auf das, was gerade dran ist, versichert Simone Picha: „Im Grunde kann im Zen aus allem eine Achtsamkeitsübung werden.“ Und was bringt ihr diese geistige Fastenkur, die sie fast täglich eine halbe Stunde lang praktiziert? Picha überlegt lange, bevor sie antwortet. „Ich persönlich habe innere Ruhe tendenziell immer schon gehabt“, sagt sie nach einer Weile. Deswegen könne sie gar nicht sagen, ob das Meditieren sie ruhiger gemacht habe. „Aber viele, die damit anfangen, berichten ganz erfreut, dass es ihnen nach einiger Zeit besser gelingt, Tätigkeiten viel konzentrierter auszuführen.“

Hirnforschung und Meditation

Weniger Zerstreuung, mehr Fokussierung – das deckt sich mit den Erkenntnissen, die die Hirnforschung heute über die Wirkungen von Meditation hat. „Das Raustreten, die Beobachtung des eigenen Denkens, das man in der Meditation schult, hat noch andere Wirkungen auf den Alltag“, sagt Picha. Es führe zum Beispiel dazu, dass man auch mal über sich lachen kann in Situationen, in denen man normalerweise wütend reagiert. „Es fällt leichter, sich nicht mehr so hundertprozentig mit dem zu identifizieren, was man gerade denkt oder fühlt.“

Und was ist mit der Erleuchtung, mit tranceähnlichen Erfahrungen, die viele mit dem Begriff Meditation verbinden? „Der Begriff Erleuchtung ist für mich fast eher ein Hindernis“, sagt Picha.

Es gehe nicht darum, „in einen Zustand zu kommen, in dem ich Lichter sehe oder schwebe“. Im Gegenteil: „Es geht darum, ganz hundertprozentig wach und im Jetzt zu sein.“