In Ehrenfeld passiert ja ständig etwas. Quasi über Nacht eröffnen, beinah inflationär, Fair-Trade-Kaffeeröstereien, vegane Burgerläden und türkische Bäckereien. Ich hatte eigentlich die persönliche Grundregel aufgestellt, Neueröffnungen erst nach mindestens vier Monaten zu erkunden. Andernfalls ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der potenzielle Lieblingsort bereits vor Drucklegung wahlweise von einem Froyo-Laden oder einer DHL-Packstation abgelöst wurde. Mein Regelbruch bedeutet für Sie im Umkehrschluss: Bei kulinarischem Interesse entweder sofort losflitzen oder in ein paar Monaten Viertel-Poker spielen. No risk, no fun, liebe Leser.
Julias Auswahl
Tartine Sesame mit Tomaten, Rucola, geräuchertem Schinken, getrockneten Tomaten, Comté und Sesam // 4,20 Euro
Tarte aux Noix // Walnusskuchen // 2,60 Euro
Caramel au beurre salé //
Karamellkuchen // 2,90 Euro
Fondant au chocolat // Schokoladenkuchen // 2,60 Euro
Frühstück Madame Tartine // Croissant, Pain au chocolat, Brot, süßer Aufstrich, Butter
// 4,90 Euro
Cappuccino // 2,60 Euro
Bei Madame Tartine
Im Falle von Madame Tartine bin ich mir allerdings sicher, dass sie Ehrenfeld noch lange erhalten bleibt. Im April eröffnete Aline Radermacher die Bistro gewordene Hommage an ihre Heimat Frankreich. Die Spezialität des Hauses ist, wie der Name schon sagt, die Tartine. Keine Sorge, wir reden hier jetzt nicht über die 08/15-Butterstulle (die man allerdings auch nicht unterschätzen sollte), sondern viel mehr über köstlich gratinierte Brotscheiben in verschiedensten Versionen: von geräuchertem Schinken mit Comté und getrockneten Tomaten über Gorgonzola Thymian bis hin zur Tartine du jour mit Frischkäse und selbstgemachter Oliventapenade. Madame Radermacher kredenzt in ihrem wunderschön eingerichteten Bistro außerdem frankophile Frühstücksvarianten, Suppen und ihre vorzüglichen, selbstgebackenen Tartes – mein heimlicher Favorit: Caramel au beurre salé, ein dezent gesalzener, unerhört samtiger Karamellkuchen. Wer danach nicht glücklicher ist, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Café Goldbraun
Am anderen Ende von Ehrenfeld hat das Café Goldbraun einen wesentlich undankbareren Standort. Das Ladenlokal in der Vogelsanger Straße wechselte leider schon relativ häufig seine Funktion. Neben ausgezeichnetem Kaffee stehen Salate, Quiches, üppig belegte Sandwiches und ein beneidenswert guter Käsekuchen auf der Karte. Perfekt für die Mittagspause oder wie in meinem Fall: Lungenvolumen und innerer Schweinehund verbünden sich auf halbem Weg zur Joggingstrecke im Grüngürtel. Frei nach dem Motto: Kuchen vor Sport.
Madame Tartine, Venloer Str. 432, 50825 Köln, Öffnungszeiten: Mi bis Mo: 10 bis 19 Uhr
Café Goldbraun, Vogelsanger Str. 34, 50823 Köln, Öffnungszeiten: Mo bis Fr: 10 bis 18 Uhr, Sa + So 12 bis 18.30 Uhr
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Kaffee auf der Severinstraße genießen
Was soll man denn nur von ihr halten? Ich habe jahrelang im Severinsviertel gewohnt und wir hatten immer ein gespaltenes Verhältnis: Die Severinstraße liegt (subjektiv betrachtet) irgendwo zwischen Abrissbirne und Südstadt-Schickeria. Nagel- und Sonnenstudios, Schnell-Reinigungen, billige Reisebüros, leerstehende Ladenlokale – Verstaubte Requisiten lassen auf ehemalige Herrenausstatter oder Boutiquen für die Dame Ü60 schließen. In kaum einem Straßenzug gibt es so viele, so hässliche Reklametafeln. Und dennoch bündeln sich genau dort, auf der urbanen Patchworkdecke des Grauens, ungewöhnlich viele meiner absoluten Lieblingsinstitutionen: gleich zwei der besten Metzger von Köln, ein wunderbarer Gemüseladen, der großartigste indische Imbiss der Stadt, das Odeon, der herrlich unscheinbare Blumenladen von Xiaoxia Dai, zirka zehn kleine Boutiquen und der beinahe antike Feinkostladen Berens.
Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass dort etwas passiert. Die abgewrackte Tristesse weicht so langsam. Vielleicht liegt es auch am Frühling. Sonnenschein, blühende Sträucher und das erste Spaghetti-Eis der Saison machen ja bekanntlich aus dem nörgeligsten Zyniker ein handzahmes Grinsekätzchen. Einer der Severin-Neuzugänge (letzte Woche haben sie ihr Einjähriges gefeiert) ist das Café Hey! Direkt am Severinskirchplatz mit Blick auf den Ökomarkt (jeden Dienstag und Freitag). Der Schwerpunkt liegt beim Kaffee, der ist wirklich großartig. Wer möchte, lässt sich vom geschulten Personal erklären, welche Auswirkungen der indische Monsun auf die Reifung der Kaffeebohnen hat. Das ist selbstverständlich kein Pflichtprogramm, was den Laden noch sympathischer macht. Genuss ohne erhobenen Zeigefinger und vor allem in einem völlig akzeptablen Preisrahmen. Dazu gibt’s selbst gemachten Kuchen (der Redaktionsfavorit: Rhabarber-Schmand), Quiche und großartige belegte Brote. Mein ungewohnter, sommerlicher Optimismus wurde vom selbst gemachten Eistee und der unfassbar erfrischenden, ebenfalls selbst gemachten Basilikumlimonade ins Unendliche katapultiert. Das Café ist wirklich winzig und definitiv auf Laufkundschaft ausgelegt. Also Kaffee auf die Hand und die Severinstraße erkunden. Es gibt viel zu entdecken.
Hey! Coffee, Severinstraße 35, 50678 Köln, Öffnungszeiten: Mo bis Fr: 7.30 bis 17 Uhr, Sa: 10 bis 17 Uhr
www.hey-coffee.de
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Frenchtoast mit Speck
Wenn ich an einem faulen Samstagmorgen frühstücken gehe, halte ich mich in der Regel nicht an einer Tasse Tee und ein bisschen Obst auf. Nein, ich lasse richtig auffahren. Wenn schon, denn schon. Im Café Sehnsucht funktioniert das ganz ausgezeichnet.
Versteckt in Ehrenfeld wird dort noch Kaffee-Kultur zelebriert. Die Bio-Kaffeerösterei Van Dyck sorgt nicht nur für extrem leckeren Cappuccino, sondern auch für ein gutes Gewissen: die Bohnen sind aus biologischem Anbau und fairem Handel.
Generell legt man hier Wert auf Nachhaltigkeit, Saisonalität und Regionalität. Von den Fruchtsäften über die Weinkarte bis hin zu den Spirituosen, es werden ausgewählte Produkte zu fairen Preisen angeboten.
Hemmungsloses Schlemmen
Die Frühstückskarte lädt zum hemmungslosen Schlemmen ein und die Auswahl ist breit: Ob süß und Französisch mit Croissant, Honig und hausgemachter Marmelade oder herzhaft mit Serrano-Schinken und Chorizo.
Einer der Renner und auch mein heimlicher Favorit ist die riesige Portion French Toast (die deutsche Version ist der Arme Ritter). Die süßen, goldgelb gebratenen Brotscheiben, die sich langsam mit Ahornsirup vollsaugen, der salzige, krosse Speck dazu – besser kann der Tag doch gar nicht anfangen. Es geht aber auch klassisch mit Bio-Rührei und Strammem Max zum Beispiel. Die selbst gemachten Aufstriche (Erdnuss-Curry, Aubergine-Schafskäse) sind mindestens so köstlich wie die Focaccia – wer da nichts findet, ist selber schuld.
Nebst dem imposanten Frühstückssortiment gibt es auch noch hausgemachten Kuchen, einen täglich wechselnden Mittagstisch und eine spannende Abendkarte (ab 17.30 Uhr).
Aber nicht nur die Verpflegung macht aus dem Café Sehnsucht einen Lieblingsort. Die Plätze auf dem lindgrünen Antiksofa neben dem alten Kamin sind heiß begehrt. Im Hintergrund läuft unaufdringlich ein bisschen Jazz oder Pop, und der Service ist unheimlich nett.
Dieses Café ist definitiv eine Ehrenfelder Institution und ich für meinen Teil hoffe, dass das noch lange so bleibt.
Café Sehnsucht Körnerstraße 67, 50823 Köln, 02 21/52 83 47, Frühstück auch für Langschläfer: Mo – Fr 8 – 15 Uhr, Sa/So 9 – 16 Uhr, Fördermitglied des „Slow Food Deutschland e.V.“www.sehnsucht-koeln.de
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Bei Silvia im Café Jakubowski
Der Wiener Platz in Mülheim ist eindeutig kein Lieblingsort. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, ihn als sozialen Brennpunkt zu bezeichnen, aber schön ist anders. Nun gut, das gilt sicherlich für die meisten Verkehrsknotenpunkte der Stadt: Wahnsinnig schlecht gelaunte Menschen fluchen verpassten Bahnen hinterher, übermütige Halbstarke nerven mit dröhnenden Kirmes-Ufftata-Klingeltönen und morgendliche Trinker begrüßen den Tag mit Oettinger und Ernte 23. Urbaner Alltag könnte man meinen, aber am Wiener Platz fühle ich mich jedes Mal besonders unwohl. Naja, ich laufe zum Rheinufer und das hektische Treiben wird weniger.
An der Ecke Mülheimer Freiheit ist das Café Jakubowski. Der große Raum ist lichtdurchflutet. Neben dem Tresen rankt eine hübsche Blümchentapete Richtung Decke. Die Einrichtung vereint Designklassiker und Schätze aus den 50er Jahren. Ich suche mir einen Platz und ordere die Kürbisravioli. In den meisten Eckcafés sitzt man seinem Nachbarn quasi auf dem Schoß und sobald eine Mutter ihren Buggy in Bewegung setzt, muss die halbe Kundschaft wahlweise aufstehen oder kräftig den Bauch einziehen. Im Café Jakubowski ist jede Menge Platz. Man muss weder gegen das rege Gemurmel anschreien, noch fühlt man sich belauscht. Die Gerichte auf der Tafel wechseln täglich. Von 10 bis 18 Uhr gibt’s Frühstück und ab 12 Uhr warmes Essen. Die Kürbisravioli sind schön fruchtig. Um Käsesauce mache ich gewöhnlich einen großen Bogen (da kommt selten Gutes bei herum), hier handelt es sich allerdings um Sauce Mornay, also eine Béchamel mit Käse. Dazu gibt’s Rukola und Kirschtomaten, lecker. Das Café Jakubowski ist wie ein Familientreffen. Jeden Sonntag gibt es Schmorbraten (dringend reservieren). Inhaberin Silvia Beuchert geht gerne auf die Wünsche ihrer Gäste ein: „Wer kocht denn schon für sich alleine Rollbraten?“ An den Wänden hängen Porträts von lächelnden Seniorinnen in bunten Kittelschürzen. „Das sind die Damen von unserem Stammtisch. Die kennen wir seit Jahren.“ An einem der Fotos hängt ein Trauerflor. „Wir sammeln ihre wunderbaren Rezepte und machen daraus ein Kochbuch“, erklärt Silvia Beuchert. Ich bin sehr gerührt und freue mich auf dieses schöne Projekt. Gelebte Nachbarschaft. Für nächsten Sonntag wünsche ich mir übrigens Kohlrouladen.
Café Jakubowski, Mülheimer Freiheit 54, 51063 Köln, 0221/9661110, Öffnungszeiten: Mo bis Sa: 10 bis 24 Uhr, sonn-/ feiertags: 10 bis 19 Uhr