Unsere Reporterin hat als Wagenengel den Zoch begleitet. Ihr Fazit trotz 17.000 Schritten, leichten Rückenschmerzen, Toiletten-Angst und Anfangsfrieren: Was für ein Erlebnis!
17.000 Schritte in vier StundenMein Tag als blauer Engel im Kölner Rosenmontagszug

Premieren-Einsatz für unsere Reporterin als Wagenengel – und direkt zu Beginn geht es auf die rappelvolle Severinstraße.
Copyright: Martina Goyert
Gibt es einen Laut zwischen „Ä“ und „Ö“, und falls ja, wie heißt er? Die Frage stellt sich mir an diesem Montagmorgen immer wieder. Das Wort, in dem der Laut steckt, heißt Kamelle, und hinten raus ist das kein klares „E“, sondern eben irgendwas zwischen „Ä“ und „Ö“. Und dieser Montag ist nicht irgendeiner, sondern Rosenmontag.
Kamelle-Rufe – sehnsuchtsvoll, bittend, hoffend
Wie oft ich heute das sehnsuchtsvolle, bittende, hoffende Wort Kamelle höre, weiß ich nicht. Sehr oft. Sehr, sehr oft. Denn als Wagenengel begleite ich die Blauen Funken, oder präziser: den Wagen des Reservekorps, der sogenannte Funkenschanz, auf ihrer Strecke vom Chlodwigplatz zur Mohrenstraße. Und die Ausrufe „Kamelle“ und „Alaaf“ von Jecken rechts und links des Zugweges höre ich so oft, dass ich heute Nacht sehr sicher davon träumen werde.

Nach der Jacken-Ausgabe an die Blaue-Funken-Wagenengel.
Copyright: Grofe
8.30 Uhr am Chlodwigplatz. Michael Baumanns hat ein Klemmbrett in der Hand, Kopfhörer in den Ohren – und Stress. Der Bagagewagen ist noch nicht da. In dem befinden sich die stahlblauen Jacken, die alle anziehen müssen, die als Wagenengel an diesem Tag sicherstellen sollen, dass kein Mensch unter einen der Rosenmontagswagen gerät.
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Ähzezupp zum Frühstück
Baumanns vertröstet also die besonders frühen Wagenengel, drückt ihnen einen kleinen dreieckigen Bon für „1 Schlag Ähzezupp“ in die Hand. „Frühstück“, sagt der Mann, der Personal-Koordinator der Blauen Funken für den Rosenmontag ist. Ich verzichte dankend – vier Stunden und fast 17.000 Schritte später werde ich mich darüber ärgern.

Blaue Funken, blauer Himmel – und dann noch der Dom im Hintergrund. Ein Traum.
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Die Zugstrecke ist 7,5, der Zug selbst 6,5 Kilometer lang – und ich würde lügen, wenn ich behauptete, vorab nicht über folgende, sehr basale Fragen nachgedacht zu haben: Halte ich, hält mein leicht malader Rücken das durch? Was, wenn nicht? Und noch wichtiger: Was, wenn man zwischendurch dringend mal eine Toilette braucht? Eine junge Frau, die ebenfalls zum ersten Mal als Wagenengel dabei ist, sagt hoffnungsfroh, man könnte womöglich ja flugs mal auf eine Dixi-Toilette verschwinden. Allein die Vorstellung, dort rasend schnell hin- und dann wieder zurückflitzen zu müssen, ist Stress. Lieber nicht. Also besser nichts mehr trinken.
Traktor-Fahrer Michael hat keine Angst vor Enge
Die Jacken sind da und ordentlich auf der Klemmbrett-Liste von Michael Baumanns als „Entgegengenommen“ abgehakt. Wir, meine Wagenengel-Kollegen, die -Kollegin und ich, gehen auf die Suche nach dem Funkenschanz. Nur um die Ecke, ganz am Ende, hat Baumanns gesagt, zwischen zweiter Fußgruppe und Tambourcorps Germania, und wir laufen erst einmal vorbei. Gottlob gibt es ausreichend Blaue Funken, die helfen. Um kurz nach zehn Uhr setzt sich der Zug in Bewegung, ganz langsam zuckelt er durch die Severinstorburg. Mein Respekt für Michael, unseren Traktor-Fahrer, der offenbar keine Angst vor der Enge überall hat, steigt schon jetzt ins Unermessliche. Drei Minuten, nachdem wir losgezogen sind.
Immer eine Hand am Wagen, das hatte Baumanns zur Einweisung gesagt, und den anderen Arm leicht ausstrecken, um schnell Kamelle-Jäger zurückhalten zu können. „Wenn es zu eng wird, sagt ihr dem Security-Mann Bescheid – wenn es gar nicht geht, schreit Stopp und ruft die Polizei“, so Baumanns. Und eng ist es dann auch auf der Severinstraße. Security oder Polizei muss ich nicht Bescheid sagen, aber sehr wohl manchmal Menschen sanft zurückdrängen oder unter hochgehaltenen Jute- und Plastikbeuteln durchtauchen, um weiterzukommen.
Erst Sicherheitshinweise beachtenn, dann frohe Menschen anschauen
„Kamelle“ (Sie denken sich den Zwischen-Laut dazu), „Alaaf“, „Strüßjer“, ruft es in einer Tour um mich herum, die Lautstärke schwankt zwischen ohrenbetäubend und ganz normal laut, die Tonlagen differieren, weil ganz junge, junge, mittelalte und alte Menschen rufen. Überhaupt: Natürlich muss man in erster Linie die Sicherheitshinweise beachten, die einem mit auf diese vierstündige Reise gegeben worden sind – was aber auch ein absolutes Muss ist: in die glücklichen Gesichter eben dieser rufenden Menschen am Straßenrand zu schauen. Selbst mit mittlerweile leicht schmerzendem Rücken muss man feststellen: So sehen sehr zufriedene Menschen aus.
Neumarkt, Mittelstraße, Rudolfplatz, Friesenplatz, es geht weiter auf dem Weg durch die Stadt. Mit Polizistinnen und Polizisten, mit Security-Mitarbeitern und anderen Ehrenamtlern, die in kurzen Abständen an der Strecke stehen, wechsele ich Blicke und ein Lächeln. Das sagt: Wir alle tragen heute dazu bei, dass hier alles rund läuft. Wir alle kicken Schokolade, die zu nah am Wagen gelandet ist, in Richtung der Zuschauer oder packen sie direkt in die offenen Tüten, wir alle geben Strüßjer weiter an Menschen, die die Funken auf dem Wagen nicht direkt erreichen.
Für die Farbe des Himmels wurde das Wort „stahlblau“ erfunden
Am Morgen am Chlodwigplatz war es noch so kalt, dass ein fetter Schal, Handschuhe und dicke Socken nicht zu reichen schienen. Dann kommt die Sonne richtig raus, und obwohl der März gerade erst begonnen hat, hat die schon ordentlich Bumms, und für die Farbe des Himmels muss das Wort „stahlblau“ erfunden worden sein.

Kamele, Kamelle, ein wichtiger Unterschied.
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„Was für ein Glück wir mit dem Wetter haben“, sagt Marion zu Oliver, beide sind ebenfalls Wagenengel bei den Blauen Funken. Oliver vor, Marion hinter mir. Sie kommt aus dem Vringsveedel, hat unter anderem schon Wagen bei den Fidelen Zunftbrüdern und bei den Schmuckstückchen begleitet. Er ist zum zweiten Mal dabei und kommt hörbar nicht aus dem Rheinland, sondern aus der Nähe von Bremerhaven. „Ich komme extra für ein paar Tage her, ich liebe Köln und ich liebe Karneval“, sagt er.
Heumarkt, Unter Käster, Alter Markt, „jetzt kommt die Arena“, sagt einer der Funken auf dem Wagen rechts von mir. Und wirklich: Die Lautstärke nimmt nochmal zu, das Singen wird lauter, die Rufe auch, und wir laufen mittendurch. An der Funkenschanz hängen zwei Schilder: Auf dem linken sind Bonbons in einem roten Dreieck abgebildet, darunter steht „Dat sin Kamelle“, auf dem rechten ist ein Kamel in dem Dreieck zu sehen, darunter: „Dat sin Kamele“. Marion sagt, sie hätte immer wieder Witzbolde Kamele statt Kamelle rufen hören – bei mir, ein paar Meter weiter vorne, kommt immer nur eins an: Kamelle, mit einem unklaren Endlaut irgendwo zwischen „Ä“ und „Ö“ – und ganz klar viel Lebensfreude.