Bei einem Flugzeugabsturz starben unter anderem seine Eltern. Björn Griesemann über das Unglück, den Karneval und das Familienunternehmen.
Blaue-Funken-Präsident Björn Griesemann„Der Karneval muss sich von der Zülpicher Straße distanzieren“
Vor etwas mehr als einem Jahr erlebte Ihre Familie ein tragisches Schicksal. Ihr Vater, Ihre Mutter, Ihre jüngere Schwester und deren Lebensgefährte starben bei einem Flugzeugunglück. Wie haben Sie die Tage ab dem 4. September 2022 in Erinnerung?
Der Moment, als ich es erfuhr, wird wahrscheinlich ewig hängen bleiben. Aber es gibt auch Tage, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.
Wie haben Sie das Unglück verarbeitet?
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Es hat geholfen, tolle Menschen wie unsere Familie um uns zu haben. Mein Bruder und ich waren natürlich viel für uns da – und ganz tolle Kollegen. Wir selbst waren ja einige Wochen eigentlich nicht arbeitsfähig. Es hat sehr gutgetan, Trost zu bekommen, wenn man ihn braucht, und auf der anderen Seite in Ruhe gelassen zu werden, wenn man das Ereignis verarbeiten muss. Und: Auch die Zeit heilt Wunden.
Das Unglücksflugzeug gehörte Ihrer Familie. Der Kabinendruck war abrupt gefallen, die Passagiere verloren das Bewusstsein und die Maschine stürzte ab. Hat sich Ihre Einstellung zum Fliegen geändert?
Es hatte jeder seine persönlichen Momente, wie er ans Fliegen denkt. Aber wir fliegen wieder und wissen einfach, dass es ein unfassbar seltener Zufall war, was geschehen ist.
Die Verbindung zu ihrem Vater ist besonders. Sie führen das von ihm 1975 gegründete Familienunternehmen, die Griesemann-Gruppe. Sie sind außerdem sein Nachfolger als Präsident der Blauen Funken. Nach seinem Tod waren Sie rasch im Karneval aktiv. Zu seinen Ehren?
Nach drei, vier Monaten haben mein Bruder und unsere Familien gemeinsam Urlaub gemacht, um einen Abschluss zu finden. Und wir haben uns Gedanken gemacht – was hätten unsere Eltern gewünscht? Wir waren uns einig, dass sie gewollt hätten, dass wir wieder nach vorne schauen und wir Verantwortung für unsere Firmen und Kollegen übernehmen und auch für die Blauen Funken.
Zu Person und Unternehmen
Björn Griesemann (47) führt die Griesemann-Gruppe mit etwa 1700 Beschäftigten und Sitz in Wesseling. Nach eigenen Angaben arbeitet die Firma für die Hälfte der deutschen Prozessindustrie, also vor allem chemische Unternehmen. Griesemann ist Präsident der Karnevalsgesellschaft Blaue Funken und wohnt in Köln-Klettenberg. Sein Bruder Georg Griesemann führt die Fluggesellschaft Quick Air, die auf Krankentransporte spezialisiert ist.
Das Gespräch
Das Interview ist eine redaktionell überarbeitete und gekürzte Fassung einer Ausgabe von „ekonomy mit K“, dem Wirtschafts-Podcast des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sie können ihn auf allen gängigen Podcast-Plattformen abrufen oder unter: ksta.de/podcast
Sollte der Podcast nicht angezeigt werden, können Sie ihn hier direkt aufrufen.
Was haben Sie alles neu regeln müssen?
Beruflich fast nichts, da ich das Unternehmen seit zehn Jahren weitgehend alleine führe, so wie mein Bruder die Fluggesellschaft Quick Air führt, die auf Krankentransporte spezialisiert ist. Beim Lieblingsprojekt meines Vaters, dem Turmbauverein der Blauen Funken, fängt Michael Müller das großartig auf.
Vor einigen Tagen haben Sie den Grundstein für das Herzensprojekt gelegt, den Anbau am Sachsenturm, dem Stammsitz der Blauen Funken am Kartäuserwall. Was bedeutet Ihnen dieser Bau?
Jetzt noch mehr als vorher. Es ist ein Meilenstein für die Blauen Funken. Für uns ist es ein Zeichen, dass man in der Stadt tolle Dinge bewegen kann.
Warum gibt es den Bau?
Der Sachsenturm oder Blaue-Funken-Turm ist zu eng geworden, um sich da richtig zu treffen. Deswegen haben wir über einen Architektenwettbewerb unsere Lieblingsvorstellung realisiert bekommen: Einen Anbau an den Turm, der der Stadtmauer nachempfunden ist, von der Köln einst umringt war. Der Turm wird so wahrgenommen werden, wie er einst dastand: als Teil der Befestigungsanlage.
Die Blauen Funken haben etwa 550 Mitglieder, deutlich mehr als etwa vor 20 Jahren. Ist da eine Grenze erreicht oder wollen Sie weiterwachsen?
Wir diskutieren das jedes Jahr – aber nein. Wir haben ein Niveau erreicht, das gut ist.
Und wie sieht aus, einmal Frauen zuzulassen?
Es gibt im Karneval fantastische Damen- und Familiengesellschaften, in denen sich Frauen engagieren können. Aber bei uns ist das kein Thema. Die Männergesellschaft ist nun mal eine 152-jährige Tradition. Und ich glaube bei uns Funken denkt keiner daran, die zu brechen.
Aber die Historie der Blauen Funken ist ja mit dem Brechen von Traditionen verbunden. Sie haben sich von den Roten Funken abgespalten und dann an die Spitze des Rosenmontagszugs gemogelt, wo sie heute immer noch laufen.
Wir sind eine Karnevalsgesellschaft und nehmen uns gegenseitig auf den Arm. Die Zeit ist vorbei, als sich Mitglieder der unterschiedlichen Traditionskorps nicht gegrüßt haben. Das Verhältnis ist freundschaftlich.
Aber ein Wechsel ist tabu – einmal Blauer Funk dann Roter Funk?
Ja, das passiert äußerst selten.
Sie waren vor zehn Jahren Karnevalsprinz. Verraten Sie doch jetzt mal, wie teuer ist das Amt?
Es ist der Gegenwert eines größeren Mittelklassewagens.
Ist es an der Zeit, dass die Blauen Funken mal wieder ein Dreigestirn stellen?
Gerne.
Gibt es ein Gentlemen‘s Agreement, dass sie nicht drankommen können, solange Christoph Kuckelkorn Festkomitee-Präsident ist? Denn er ist Blauer Funk.
Nein. Es gibt jedes Jahr mehrere Bewerbungen und es werden immer die besten drei genommen.
Wie schauen Sie auf die Karnevalisten in Frechen, dort regiert zum ersten Mal eine Prinzessin, Elke I.
Wenn nach demselben Verfahren vorgegangen wird, dann ist das doch schön!
Die Blauen Funken verkaufen 20.000 Tickets in einer Session für Sitzungen und Partys. Im vergangenen Jahr lief das schleppend, wie klappt es diesmal?
Es läuft besser als in der vergangenen Session, damals war es hart. Wir haben einen hohen Verlust eingefahren. Es scheint eine Grenze erreicht – aber wir haben entschieden, das Angebot nicht zu reduzieren. Wir geben weiter Vollgas. Am schwierigsten ist es, Veranstaltungen für junge Leute voll zu bekommen.
Sie hätten aber weniger Feiern anbieten können.
Aber wir sind ja Karnevalsmacher. Wir wollen neue Formate kreieren, haben drei Veranstaltungen für junge Leute – moderne Sitzungen, keine Partys. Wir müssen daran arbeiten, dass wir auch in 15 oder 20 Jahren noch ausverkauft sind. Wir haben alles hinterfragt. Jetzt gibt es zum Beispiel „Speed Dating“ von Bands – ohne Elferrat und Saalkapelle.
Die noch Jüngern feiern gerne auf der Zülpicher Straße. Dieses Jahr startete die Session an einem Samstag, was noch mehr Menschen anlockt. Fürchten Sie, dass der 11.11. außer Rand und Band geraten könnte?
Der Sessionsauftakt findet ja am Heumarkt statt und nicht auf der Zülpicher Straße. Was auf der Zülpicher Straße stattfindet, ist kein Karneval. Da sind Menschen, die sich verkleiden und dort feiern – das wird immer in einen Topf geworfen. Wir Karnevalisten müssen uns mehr wehren. Die jungen Leute sollen feiern. Aber die Stadt muss mehr tun, um das zu lenken.
Das ist ein wenig Schwarze-Peter-Spiel zwischen Festkomitee, den Gesellschaften und der Stadt. Das Festkomitee wurde mal gegründet, um dem Karneval mehr Ordnung zu verpassen. Da könnte man auch eine Verantwortung bei den organisierten Karnevalisten sehen.
Ich sehe das anders. Der Karneval muss sich von der Zülpicher Straße distanzieren. Die Stadt muss das mehr lenken, es ist nicht Aufgabe des Festkomitees.
Der Unternehmer über die Chemiebranche: „An vielen Orten herrscht feier Fall“
Wie lässt sich die karnevalistische Verpflichtung mit ihrem Beruf vereinbaren?
In den Wochen Richtung Rosenmontag, mache ich meine 40 Stunden im Büro, aber auch nicht mehr. Auch die gewonnene Routine als Präsident hilft dabei – und ein tolles Team im Vorstand der Blauen Funken und in der Firma.
Die Griesemann-Gruppe ist ein Anlagenbauer in der Prozessindustrie mit fast 1700 Beschäftigten. Das sagt den meisten erstmal nichts.
Der Anlagenbau ist überall da, wo Rohre sind. Wenn Sie nach Bonn fahren auf der Autobahn, sehen sie rechts und links viele solche Anlagen, in denen chemische Produkte hergestellt werden.
Ihre Firma hat den Sitz in Wesseling nahe einiger petro-chemischer Produktionsstätten. Es gibt viele weitere Erdöl- und Chemiebetriebe in der Region – von Bayer über Lanxess bis zu Evonik oder Ineos. Ist präsent genug, wie wichtig die Branche für die Region ist?
Die Chemieregion Rhein-Ruhr ist die größte Europas, aber sie ist nicht sexy. Die öffentliche Wahrnehmung ist gegen die Industrie gerichtet. Dabei wird dort sehr viel für Umweltschutz getan, es gibt nirgends so viele Vorgaben wie in Deutschland. Und das ist eine Benchmark für die Welt, weil hier Standards gesetzt werden. Aber seit zwei, drei Jahren ändert sich die Situation. An vielen Orten herrscht freier Fall.
Ausgelöst durch die Energiepreise?
Das ist einer der Hauptgründe. Es kommt hinzu: Andere Länder wie die USA locken Anlagen mit hohen Subventionen. Außerdem gibt es einen Vertrauensverlust in die deutsche Regierung. Das Vertrauen in eine unterbrechungsfreie Stromversorgung in Deutschland wackelt – was früher undenkbar gewesen wäre. Aber der gleichzeitige Ausstieg aus Kohle- und Atomverstromung trägt dazu bei. Deutschland war eine absolute Bank, doch die Netzstabilität ist gefährdet. Das wird nicht gehört. Die Energiewende ist richtig, aber die Geschwindigkeit ist zu hoch.
Ihr eigenes Unternehmen profitiert aber eher von CO2-Auflagen und Emissionsvorgaben – weil dann Neuerungen an Anlagen nötig sind.
Absolut, wir sind konstant gewachsen. Und bald werden wir mehr „grüne“ Projekte planen und bauen als klassische Vorhaben. Aber Ölverarbeitung wird nötig bleiben – für Bitume, Kunststoffe oder andere Produkte.
Was müsste sich ändern, um die Industrie zu stützen? Ein subventionierter Strompreis?
Für eine Übergangszeit, ja. Um Arbeitsplätze zu sichern – angekündigte Stellenstreichungen in der Region sind sonst nur ein Anfang. Die NRW-Regierung setzt sich mittlerweile dafür ein, stößt aber in Berlin auf taube Ohren. Da muss ganz schnell etwas passieren. Es gibt schon Investitionsentscheidungen, die gegen das Rheinland getroffen wurden – etwa für Kunststoffrecycling-Anlagen.
Sie glauben auch an die Zukunft von E-Fuels, also künstlich mit Hilfe von Strom und CO2 hergestellten synthetischen Treibstoffen. Warum?
Die Elektromobilität in Deutschland setzt sich durch, da bin ich überzeugt. Dennoch unterstützen wir die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe. Lange Strecken in Asien oder Afrika wird man auf lange Sicht nicht mit Elektrofahrzeugen zurücklegen können. E-Fuels können aus Wasserstoff hergestellt werden – und wenn die Stromerzeug zur Produktion des Wasserstoffs aus erneuerbarer Energie stammt, ist er grün. Und dieser Sprit kann etwa als Flugzeug- oder Schifftreibstoff zum Einsatz kommen.
Und im Auto haben Sie ihn selbst ausprobiert – bei einem Autorennen auf dem Nürburgring mit einem Toyota Supra.
Das war eine Chance für uns – und es hat hervorragend funktioniert. Nicht nur weil mein Bruder und ich den dritten Platz gemacht haben.
Träumen Sie die Strecke?
Ja, den Nürburgring kann ich auswendig fahren.
Das Gespräch führte Martin Dowideit.