Gerade in diesen Zeiten muss Karneval gefeiert werden, meint unsere Autorin. Eine Liebeserklärung an das jecke, kölsche Lebensgefühl.
Liebeserklärung an den KarnevalKölle, Alaaf you – diesmal sogar noch ein bisschen mehr!
Da stehe ich endlich wieder. Mitten drin in dieser Menge Gleichtickender in der Lachenden Kölnarena und wiege mich im Takt der Stadt: „Mer fiere et Levve, dat hält uns zosamme, dat weed uns keiner nemme.“ Ich reiße spontan meine blau-gelben Cheerleader-Puschel in die Höhe – und mir kommt eine solche Staubwolke daraus entgegen, dass ich erstmal lachend zusammenbreche. Haaatschi. Habe ich wirklich sooo lange nicht gefeiert?
Ist es jetzt also wirklich da, das Licht am Ende des Tunnels?! Was sind wir lang darauf zumarschiert, was waren das für dunkle Zeiten! Und jetzt ist mit Pauken und Trömmelche die Zuversicht zurück, sechs Tage lang das alte Leben, das Helle, die Freude und das Schöne. „L.M.A.A. ihr Sorje – mer lääve dä Augenbleck …un dä es jenau jetz!“
Wir können uns wieder reinwerfen ins Getümmel
Da simmer dabei! Wir dürfen wieder Karneval feiern. Wir können uns wieder reinwerfen ins Getümmel aus Prinzessinnen und Krokodilen, uns berauschen an der Gemeinsamkeit, die uns so sehr gefehlt hat. Dürfen uns trotz all der Komplexität der Krisen der Welt einfach mal wieder so herrlich einig sein: „Mer jonn zom FC Kölle un mer jonn zom KEC. Mer drinke jän e Kölsch un mer fahre KVB.“ Mehr nicht. Aber eben auch nicht weniger.
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Wir nehmen die Steine aus dem Rucksack und fühlen uns in diesen Tagen einfach mal wieder leicht und unbeschwert und frei im Hier und Jetzt. Ob das okay ist im Angesicht der Katastrophen um uns herum, fragt das Gewissen. Gerade in diesen Zeiten, antwortet das Kölsche Hätz. Wie lang konnten wir damit nicht rechnen!
„You will dance again“, steht auf der kleinen Goldplakette am Armband über meiner linken Hand. Eine Freundin aus Berlin hatte mir das Bändchen mitten in der Pandemie geschickt, zum Karneval, der leider nicht stattfand. Eine bayerische Freundin, die mich sonst eher ein klein wenig belächelte, dafür, wie ernst ich unser Brauchtum nehme. Und die aber wusste, wie sehr ich litt, als in Lockdownzeiten alles abgesagt wurde.
Es war auch eine Absage an die Unbeschwertheit
Als ich das Armband damals aus der Schatulle pulte – ich weiß das noch sehr genau – kamen mir sofort die Tränen. Weil mich jemand ernst nahm in meinem Leid. Denn das, was da abgesagt wurde, war ja viel mehr als Karneval. Es war auch eine Absage an die Verlässlichkeit in unserem Leben, an das Bunte, Fröhliche, Zusammenschweißende. An die Unbeschwertheit.
Als ich das Armband auspackte, zweifelte ich daran, ob wirklich jemals alles wieder gut werden würde. Und ob unser Karneval, so wie wir ihn kannten und liebten, jemals wieder so werden würde, so unbeschwert. Ob ich wirklich irgendwann wieder tanzen und mitsingen könnte, als gäbe es kein Morgen. Ganz im Moment. Verschmilzend mit der Menge, grölend, bis die Leiste zwickt.
Denn sogar öffentliches Singen war ja verboten! Wegen der Aerosole! Kein Handschlag mehr, keine Umarmungen, die Kinder im Weiberfastnachts-Homekarnevaling kostümiert vor dem Laptop in der Zoom-Sitzung, tätä tätä. Was für ein unfassbar trauriges Bild! Weil es das Gegenteil von dem war, was unsere jecken Tage sonst so ausmacht. Die Gemeinschaft, die vielen auflebenden Erinnerungen, die gemeinsam beschunkelten Melodien.
Karneval als der Zaubertrank für Jecke
Und dann kam dieser erste 11.11., an dem zum Entsetzen der anderen Bundesländer sogar der Kneipenkarneval wieder erlaubt war, aber noch so viele zögerten. An dem ich mich nicht für meine Südstadtkneipe entschied, sondern für eine Open-Air-Veranstaltung wegen weniger Ansteckungsgefahr. Im Ernst?!
War nicht Karneval das Fest, an dem wir mal losließen? An dem wir mal alle kleineren und größeren Sorgen einfach zu Hause ließen und frei waren? War nicht Karneval der Zaubertrank, in den man uns Jecke regelmäßig tunken musste, damit wir anschließend wieder gewappnet waren für den Alltag und die Plackerei?
Das Open-Air-Event zum Start in die Session war schön. Das schon. Aber es war halt nicht dasselbe, nicht „unser Karneval“. Ich schunkelte mit einem australischen Touristen und seiner Freundin, einer Schweizerin, es liefen zwar unsere Lieder, aber es war eher eine Persiflage auf die jecken Tage, die wir sonst so kannten. Und trotzdem schon eine Steigerung.
Karneval nach dem Lockdown mit Schunkelverbot
Ich weiß noch, wie wir beim allerersten Karnevalskonzert nach den Lockdowns im Juni 2021 im Tanzbrunnen unter dem sagenhaften Motto „Sommer im Garten“ mit negativem Test ein Schunkelverbot erhielten. 11 Karnevalsbands und 500 Leute waren gekommen, unsere Stühle hatten einen halben Meter Abstand zu wahren, es gab ein Auftsteh- und Tanzverbot – und wir saßen da draußen alle mit Masken!
Kein Wunder, dass Basti Campmann von Kasalla da beim Anstimmen seiner Rudeldiere die Stimme brach, als er endlich wieder auf der Bühne stehen durfte. Als er sah, dass es uns alle ja noch gab, dass wir noch da waren – wir mussten natürlich alle sofort mitweinen, weil: Endlich durften wir zumindest wieder physisch zusammen sein, wenn auch zu so absolut ausnahmehaften Regeln.
Und jetzt? Darf endlich auch alles andere wieder möglich sein! So wie früher – und doch auch nicht. Denn nix bliev natürlich wie et wor. Der Rosenmontag startet zum 200. Jubiläum erstmalig von der Schäl Sick aus. Bei der PriPro war plötzlich die Rede von einem weiblichen Dreigestirn für Kölle (ich stünde bereit!). Und selbst die Bands sind so wackelig geworden mit ihrem Immunsystem, dass Cat Ballou nach Oli Niesens Stimmbandproblemen jüngst mit weiblicher Unterstützung auftrat, dank Ersatzfrontfrau Linda Teodosiu von Mätropolis. Wie gut war das bitte!
Mehr Frauen auf die Karnevalsbühnen, bitte!
So darf es doch weitergehen. Mehr Frauen auf die Karnevalsbühnen, bitte! Und das sag’ ich aus voller Überzeugung, obwohl ich im Karneval eigentlich eine absolute Spießerin bin. Da würde ich gern jeden Moment festhalten, da soll sich – wie gesagt, mit Ausnahme der nötigen Frauenquote – bitte bloß möglichst wenig ändern. Deswegen ja auch das große Leid in der Pandemie. Ich bin da leider komplett unflexibel. Ich baue da drauf, ich brauche da meine Abläufe.
Ich brauche die eine Kneipe, in der mich Wirt, DJ und Türsteher begrüßen, weil ich seit Jahren zum Inventar gehöre. Die eine Kerntruppe aus Freunden, auf die ich echt bestehe. Da dürfen natürlich noch welche dazukomme. Immer. Na klar. Offene Arme! Aber da sollte bitte keiner fehlen.
Wir wollen doch die Vergangenheit beschunkeln, wollen sicher sein, dass der Volkan sieht, wenn wir das eine Kölsch zu viel hatten und uns 'ne Pommes holt – wie immer. Wollen mit Nina bei „Liebe gewinnt“ von Brings Tränchen verdrücken, mit Dea „Leev Marie“ von den Paveiern grölen, zu „Wolkeplatz“ von Miljö mit Ioannis und Toto auf die Empore springen, und auf die bunte Menschenmenge schauen: „Mer hevve aff, zum Wolkeplatz, un unger uns dä Puls dä Stadt.“
Voller Vorfreude auf die Tage, die noch vor uns liegen bis Aschermittwoch
Was haben wir uns darauf gefreut! Was haben wir in der Vorbereitung darauf freitagabends das Gaffel am Dom platzen lassen, wenn Björn Heuser ums Mitsingen bat! Und was war das dann für ein Wahnsinn, dass man kaum noch an Loss mer singe-Karten kam in dieser Session! Ein Fest auch, als die Stunksitzung endlich wieder das E-Werk einheizen konnte! Auf der Mädchensitzung haben wir das Pullman gerockt und sind jetzt voller Vorfreude, auf die Tage, die noch vor uns liegen bis zum Aschermittwoch.
Ich jedenfalls halte mich an Cat Ballou, die da in ihrem neuen Sessions-Hit singen: „Lass uns nicht geh'n, wenn es am schönsten ist. Wer weiß, wer weiß, wann wir uns wiedersehn.“ Und weil wir das nicht wissen, stürze ich mich in diesem Jahr besonders rein in diese bunten Tage, lasse nichts aus und werde mir sogar einen sehnlichen Kindheitstraum erfüllen: Einmal im Leben beim echten Kölner Rosenmontagszug mitgehen.
Und wenn ich dann Kamelle und Strüssjer werfend über die Deutzer Brücke Richtung Stadt marschiere, dann lässt mich dieses Licht am Ende des Tunnels hoffentlich nochmal ganz neu erstrahlen. Und dann, da bin ich sicher, wird für den Moment alles gut sein. Nicht wie im Karneval früher. Sondern vermutlich sogar ein kleines bisschen besser. Kölle, Alaaf you! Diesmal sogar noch ein bisschen mehr!