Mobilitätspolitik in KölnRadeln für die Verkehrswende
- Viele Initiativen, auch in Köln, machen auf das Thema Radfahren aufmerksam.
- Bei der Erarbeitung eines Konzepts für die Kölner Innenstadt werden die Bürger mehr mit eingebunden.
Die Entscheidung fürs politische Engagement fiel für Christoph Schmidt auf einen letzten Freitag im Monat. Das ist auch heute noch einer der Tage, an dem er aufwacht und sich freut. „Denn dann treffe ich mich mit Freunden und wir fahren mit dem Fahrrad entspannt durch die Stadt.“ Das heißt, sie und andere an die tausend Menschen, die im Verband durch die Kölner Straßen rollen. Critical Mass (CM) nennt sich die Bewegung, die mit schierer Schwarmgröße auf den Radverkehr aufmerksam macht. Oder auf alternative Nutzungen des öffentlichen Raumes. Oder auf die zu verbessernde Infrastruktur. So pauschal kann das niemand sagen. Es ist kein Verein. Es gibt keine Organisation. Niemand ist zuständig. Start- und Zeitpunkt stehen fest, der Rest ergibt sich. Immer aber macht die Gemeinschaftsfahrt Eindruck.
Die Aktionsform ist ein US-Import und wird heute in vielen Städten Deutschlands aufgegriffen. Sie ist Vehikel für vieles, für volksfestliche genauso wie für verkehrspolitische Ambitionen, für Aktivisten wie Ausflügler. „Man lernt neue Ecken der Stadt kennen, irgendwo läuft Musik, ja, aber man trifft auch Menschen, mit denen man über das Thema Radfahren sprechen kann“, sagt der 40-Jährige. Zumindest war ihm das ein Herzensthema und er begegnete beim CM irgendwann auch Joachim Schalke, Polizist und im Ehrenamt eines wiederum hoch organisierten Vereins: Er ist seit sechs Jahren Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Köln. Der Bundesverband ist mit 155.000 Mitgliedern die größte reine Fahrradfahrer-Lobby in Deutschland. Vor zwei Jahren aktualisierte der Bundesverband sein verkehrspolitisches Programm, das mit Blick auf die gesellschaftlichen Themen wie vor allem Energiewende, Klimawandel und Gesundheit insbesondere auf die Förderung des Radverkehrs setzt. Radfahren, das wirke Bewegungsmangel und Lärmbelastung entgegen und biete angesichts knapper öffentlicher Kassen und Flächen eine sinnvolle Alternative, heißt es in dem Papier. Und selten, so scheint es, haben sich Radfahrer so viel Gehör verschaffen können wie heute. „Wir werden plötzlich von Politik und Verwaltung eingeladen“, sagt Schalke. „Man will unsere Meinung hören.“
„Radverkehrskonzept Innenstadt“
Zum Beispiel bei der Erarbeitung des „Radverkehrskonzept Innenstadt“, das die Stadt Köln in einem sogenannten offenen Verfahren entwickelte. Mit im Facharbeitskreis: Der ADFC, gemeinsam mit gleichgesinnten Mitstreitern wie dem Verkehrsclub Deutschland (VCD). „Die Pläne der Stadt waren unter anderem für mich ausschlaggebend, nicht nur bei der Critical Mass mitzufahren, sondern im ADFC wirklich aktiv zu werden“, sagt Schmidt. Er trat gleich mit einigen Freunden in den Club ein und gründete die Radverkehrsgruppe, deren Sprecher er heute ist.
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Jetzt geht es um die Umsetzung: Ein Drittel Öffentlicher Nahverkehr, ein Drittel Fuß- und Radverkehr und ein Drittel Autoverkehr, lautet das Ziel für 2025. „Ganz nach dem Vorbild von Kopenhagen“, sagt Jörg Thiemann-Linden. Der freie Stadt- und Verkehrsplaner hat den Prozess in Köln zum Teil moderiert, war in den 80er Jahren selbst in der Kölner Verwaltung unter anderem für den Radverkehr zuständig und forschte später am Deutschen Institut für Urbanistik zum Thema. Er sieht die Verkehrswende zugunsten des Rades eher als Renaissance. „Wir kehren vielmehr zu einer Normalität zurück“, sagt der 59-Jährige und meint damit die Zeit vor der Auto-Fixierung. Die, glaubt er tatsächlich, sei bald überwunden.
Impuls aus der Gesellschaft
Gesellschaft und Politik kämen schlicht zum selben Ergebnis, nämlich das Radfahren kein Selbstzweck sei. Eine weltweite Erkenntnis: Gerade zurück von „Velocity“ in Taiwan, eines prominenten Mobilitätskongresses, berichtet er von der nächsten Stufen der Radrevolution, die in Asien bereits ihren Lauf nimmt. „Allein in China werden pro Jahr 13 Millionen Elektrofahrzeuge auf zwei oder drei Rädern gebaut.“
In Deutschland erhielten Aktivisten zwar Schub von oben, sagt er: Vor zwei Jahren trat der nationale Radverkehrsplan in Kraft. Neben dem Bundesverkehrsministerium tut sich auch das Bundesumweltministerium mit dem Wettbewerb Klimaschutz im Radverkehr hervor und Thiemann-Linden prognostiziert Präventionsprogramme des Bundesgesundheitsministeriums. Nordrhein-Westfalen lässt Radschnellwege bauen. Doch der entscheidende Impuls komme aus der Gesellschaft. Autos stehen nicht mehr für Prestige, sondern für Stau. In Berlin etwa versucht nun die selbstbewusste Fahrradgemeinde sogar einen Volksentscheid für ein eigens geschriebenes Radverkehrsgesetz herbeizuführen. Und Köln? „Tut sich auch mit einer sehr engagierten Bürgerschaft mit vielen neuen Initiativen hervor“.
Auch niedrigschwellige wie unverbindliche Bewegungen wie Critical Mass seien wichtig, sagt Schmidt : „Aus der losen Gemeinschaft lassen sich immer wieder Leute für einzelne Aktionen gewinnen, mit denen man schließlich auch Druck auf Politik und Verwaltung ausüben kann.“ Und der werde bei der Umsetzung des „Radverkehrskonzeptes Innenstadt“ sicher nötig sein.