Der Sommer 2023 hat bis jetzt schon mehrere neue Klimarekorde aufgestellt – darunter neue regionale Höchsttemperaturen. Diese extremen Wetterlagen werden mit dem Klimawandel immer wahrscheinlicher. Aber ist dieses Jahr womöglich extremer als gedacht? Das sagen Expertinnen und Experten.
„Keine kurzfristige Ausnahmesituation“Hitzewellen, Fluten, Eisschmelze – übertrifft dieser Sommer die Klimaprognosen?
Die vergangenen Monate waren extrem. Extrem heiß, extrem trocken, extrem verbrannt, extrem verregnet. Der Juli war nach Einschätzung der Weltwetterorganisation und des europäischen Klimawandeldienstes Copernicus der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen, der Nordatlantik mit einer Durchschnittstemperatur von zeitweise 25 Grad so warm wie noch nie seit Messbeginn.
Gleichzeitig wächst das antarktische Meereis in diesem Winter so langsam wie nie zuvor, während im Mittelmeerraum und in Nordamerika hektarweise Wälder von Bränden zerstört werden und in Chinas Hauptstadt Peking die heftigsten Niederschläge seit mindestens 140 Jahren Straßen überfluten.
Für Klimaexpertinnen und Klimaexperten kommen diese Extreme nicht überraschend. „Klimaprojektionen sagten schon lange die höhere Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen wegen des Klimawandels vorher“, sagt Daniela Domeisen, Assistenzprofessorin am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. „Es war also nur eine Frage der Zeit, bis diese Extreme stark gehäuft, intensiviert und global auftreten.“ Aber das gleich mehrere Klimarekorde in kurzer Zeit gebrochen werden – entspricht das noch den Prognosen?
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Klimawandel und Klimaschwankungen sorgen für Extreme
Um die Klimaextreme einordnen zu können, ist erst einmal wichtig zu verstehen, wie sie entstehen. Hierbei spielen zwei Faktoren eine Rolle: der menschengemachte Klimawandel und natürliche Klimaschwankungen.
Der Klimawandel sorgt dafür, dass sich die Erde weiter erwärmt. Aktuelle Prognosen sehen voraus, dass die Welt auf eine globale Mitteltemperatur von drei Grad Celsius zusteuert, wenn die Länder ihre Treibhausgasemissionen nicht drastisch reduzieren. „Diese Hintergrunderwärmung erhöht grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit von extrem hohen Temperaturen an Land und an der Ozeanoberfläche, darunter auch von Allzeitrekorden“, erklärt Andreas Fink vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie. Die Hitzewelle in Südeuropa im Juli ist etwa ohne den Klimawandel „praktisch unmöglich“ gewesen, hatte jüngst eine Studie ergeben.
Natürliche Klimaschwankungen können wiederum zeitweilig und regional Einfluss nehmen und zum Beispiel die Temperaturen erhöhen. Gemeint ist hier etwa das Wetterphänomen El Niño, das dieses Jahr das Wetter im Pazifik bestimmt. „El-Niño-Jahre sind im globalen Mittel fast immer wärmer als Nicht-El-Niño-Jahre“, sagt Domeisen. Denn El Niño sorgt für überdurchschnittlich warme Meeresoberflächentemperaturen im zentralen und östlichen Pazifik in der Nähe des Äquators. So kommt es, dass sich über Südostasien ein Hochdruckgebiet bildet, das mit hohen Temperaturen und Trockenheit einhergeht. Während über dem zentralen Pazifik ein Tiefdruckgebiet entsteht, das starke Niederschläge mit Überschwemmungen an der Westküste Südamerikas verursacht.
El Niño entfaltet vermutlich erst 2024 seine volle Wirkung
„Nimmt man die Projektionen der Klimamodelle und betrachtet das Zusammenfallen mit diesen natürlichen Schwankungen, würde ich die derzeitigen Beobachtungen als im Rahmen der Klimaprognosen liegend betrachten“, resümiert Fink. El Niño nimmt dabei wohlgemerkt bislang nur wenig Einfluss. Das Wetterphänomen gewinnt gerade erst an Fahrt: Laut des US-amerikanischen Climate Prediction Centers könnte es in der Nordhemisphäre in diesem Winter mit mäßiger bis starker Intensität seinen Höhepunkt erreichen. „Bezogen auf einen Allzeitrekord der globalen Jahresmitteltemperatur dürfte El Niño vermutlich erst 2024 seine volle Wirkung entfalten“, prognostiziert der Meteorologe.
Das kommende Jahr könnte damit zum wärmsten gemessenen Jahr überhaupt werden – mit verheerenden Folgen. Weitere Temperaturrekorde würden folgen, weitere Wälder in Flammen aufgehen, noch mehr Menschen würden unter der Hitze leiden, die Ozeane noch wärmer werden, das Eis am Nord- und Südpol weiter schmelzen. Letzteres hat schon jetzt ein dramatisches Ausmaß: „Die Meereisausdehnung ist weit unterhalb dessen, was wir normalerweise für diese Jahreszeit erwarten“, sagt Jakob Zscheischler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. „Ich glaube, das ist auch außerhalb von Modellsimulationen und zeigt, wie komplex die Prozesse um das arktische Meereis sind.“
Nicht nur bildet sich zu wenig Eis, durch die Erwärmung der Erde schmilzt es auch schneller. Das könnte den Klimawandel zusätzlich beschleunigen, weil Methan unter dem Eis freigelegt wird – ein Treibhausgas, das verhindert, dass Wärme ins Weltall entweichen kann. Das Eis am Nord- und Südpol ist zugleich ein wichtiger Kipppunkt des Klimasystems. Ist es geschmolzen, wird sich der Meeresspiegel Klimamodellierungen zufolge weiter erhöhen. Allein der grönländische Eisschild mit einer Fläche von rund 1,7 Millionen Quadratkilometern würde den globalen Meeresspiegel um mehr als sieben Meter anheben, hatte eine Studie 2017 herausgefunden.
Klimawandel: Kipppunkte schon bald erreicht
„Ich gehe nicht davon aus, dass die aktuelle Situation ein Kippen des Klimas andeutet“, sagt Douglas Maraun, Associate Professor am Wegener-Center für Klima und Globalen Wandel der Karl-Franzens-Universität Graz. „Aber natürlich gibt es Kippelemente, und manche Kipppunkte können schon bald überschritten werden.“ Dazu gehören neben dem Eis am Nord- und Südpol auch der Regenwald im Amazonasgebiet, der – wenn auch langsamer – immer weiter verschwindet, und das Korallensterben vor der australischen Küste. Je mehr sich die Meere erwärmen, desto mehr Korallen sterben, was die marinen Ökosysteme schwächt.
Die aktuellen Klimaextreme sollten deshalb als Warnung verstanden werden, den Klimawandel so schnell wie möglich zu beschränken, mahnt Domeisen, und stellt klar: „Die aktuellen global auftretenden Extreme sind keine kurzfristige Ausnahmesituation, im Gegenteil.“ Selbst wenn nach El Niño wieder seine Gegenspielerin La Niña folgt und damit eine leicht tiefere globale Mitteltemperatur, gehe der langfristige globale Temperaturtrend steil nach oben. „Dies wird so weitergehen, wenn die Emissionen nicht auf Netto-Null gebracht werden.“