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AgnesviertelMit Suzie Kerstgens durchs Veedel

Lesezeit 6 Minuten

Vor einem Jahr ist sie hergezogen: Sängerin Suzie Kerstgens lebt im Agnesviertel.

Agnesviertel – Zwar ist Suzie Kerstgens Sängerin, aber was sie über ihren Stadtteil sagen will, hat sie nicht zum Lied vertont. Sie hat ein Bild gemalt vom Agnesviertel. Ein Feuerwerk in Grün und Rot, Gelb und Lila, mit einer Kaffeebohne und Aufklebern – eine Art knallbunter Veedelsplan. Was Farben und Motive angeht, liegt er irgendwo zwischen Expressionismus und Dadaismus. Und da schließt sich der Kreis zur Musikerin Kerstgens: Immerhin ist sie die Frontfrau der erfolgreichen Kölner Popband Klee, die benannt ist nach dem Grafiker und Maler Paul Klee.

Neugotische Kirche

Das Bild hält die Musikerin zusammengerollt in der Hand, als sie durch ihren Stadtteil spaziert, vorbei an den Altbauten rings um die Agneskirche. Das neugotische Gotteshaus, das dem Viertel in der Innenstadt den Namen gibt, hatte der Religionslehrer und spätere Bauunternehmer Peter Joseph Roeckerath von 1897 bis 1902 im Gedenken an seine verstorbene Frau Agnes errichten lassen. „Eine schöne Liebesgeschichte“, findet Kerstgens. In die Kirche hat sie es bisher aber noch nicht geschafft.

Kerstgens lebt erst seit einem knappen Jahr im Agnesviertel, hier ist sie mit ihrem Freund zusammen gezogen. Vorher hatte sie seit ihrer Studentenzeit 16 Jahre lang in einer Wohngemeinschaft in Sülz gelebt. Wie ihr das neue Veedel gefällt? „Ich erlebe es zum Beispiel als totalen Luxus, dass ich hier Kultur praktisch im Bademantel erleben kann“, sagt sie. Das Schauspielhaus in der Expo XXI am Gladbacher Wall sei so nah, dass sie im Grunde in Pantoffeln hinüber schluffen könnte. Jüngst hatte sie sich dort ein Puppenspiel von Suse Wächter angesehen. „Das war klasse“, erinnert sich Kerstgens. „Und ich weiß jetzt, dass es sich lohnt, selbst zu einer Vorstellung zu gehen, die offiziell ausverkauft ist. Es gibt immer vier, fünf Restkarten an der Abendkasse.“ Und wenn die Musikerin abends statt den Fernseher einzuschalten ins Theater geht, „dann komme ich mir unheimlich toll kulturell vor“.

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Der perfekte Abend im Agnesviertel starte für sie aber in der Trattoria und Sportbar Celentano an der Maybachstraße. „Da habe ich schon mit Freunden Fußball geguckt, als ich noch in Sülz wohnte“, erzählt Kerstgens. Jede Pasta, die Salvatore und Loredana Santamaria auftischten, lohne den Besuch. „Ich esse hier wirklich sehr gerne“, schwärmt Kerstgens. „Vor allem die Vorspeisenplatte ist klasse – immer saisonal und einfach fantastisch lecker.“

Mit wohligem Gefühl im Magen ziehe sie dann am perfekten Abend weiter ins Metropolis-Kino am Ebertplatz. Für ihre Veedels-Ansicht hatte sie extra das goldfarbene Etikett einer Weinflasche abgeknibbelt, das Papier symbolisiert im Bild eine Kino-Karte. Die Filme, die Kerstgens am liebsten im englischen Original anschaut, seien aber nur ein Pluspunkt des Metropolis. „Die bereiten da auch total leckeres Popcorn zu“, weiß sie. „Zur Not kann man aus dem Kino auch wieder rausgehen, wenn gerade nichts läuft, und das Popcorn mit nach Hause nehmen.“

Oder mit ins King Georg an der Sudermanstraße, dem Schlusspunkt von Kerstgens „perfektem Abend“. Die Bar hat sie auf ihrer Veedels-Karte festgehalten durch einen „Scots Guard“, einen jener Leibwächter der britischen Königsfamilie, die auf der Patrouille vorm Buckingham Palace die weltberühmte Bärenfellmütze tragen. Was sie am King Georg schätzt? „Die Cocktails sind super lecker“, erklärt Kerstgens. „Dann veranstalten die dort super Konzerte, da wird es immer rappelvoll. Neulich habe ich zum Beispiel den Singer-Songwriter Johannes Stankowski gehört, das war ein herrlicher Abend!“

Und auch die Lesungen, die Wolfgang Frömberg und Peter Scheiffele in der Klubbar veranstalten, besucht sie gern. „Die beiden haben mich dazu gebracht, dass ich zum ersten Mal selbst öffentlich lese“, erinnert sich Kerstgens. Es war ein Abend, an dem der US-Autor John Jeremiah Sullivan auf Englisch aus seiner Essay-Sammlung „Pulphead“ vortrug, Kerstgens las aus der deutschen Übersetzung.

Arbeiten am sechsten Klee-Album

Eine große Freude für die Sängerin, die sich selbst als Lese-Junkie bezeichnet. „Wenn ich mit einem Buch anfange, kann ich es nicht mehr weglegen, bis ich es ausgelesen habe; so wie andere die Chipstüte nicht mehr weglegen können, wenn sie den ersten Chip gegessen haben“, veranschaulicht sie. Klar, dass sie auch beim Veedelsspaziergang ein Buch in der Handtasche mit sich trägt: „Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber“, heißt der Titel. Es ist eine Biografie, die Michaela Karl über die US-Schriftstellerin Dorothy Parker (1893-1967) veröffentlicht hat. „Wenn man das liest“, findet Kerstgens, „denkt man an total vielen Stellen: Boh, ich möchte auch Dorothy Parker sein.“ Deren Gedichte haben sie auch selbst schon inspiriert. „Ich überlege, ob ich sie vertonen soll“, verrät der Popstar. „Aber ich weiß noch nicht, ob ich mir das auch zutrauen werde.“

Und ohnehin arbeitet sie gerade mit ihrem Band-Kollegen Sten Servaes am sechsten Klee-Album. Mit den neuen Songs sind sie bereits im bandeigenen Studio in der Südstadt, und viele Texte zu den Liedern sind Kerstgens in ihrem Veedel eingefallen, zum Beispiel im Skulpturenpark an der Riehler Straße. Gut, der gehört zwar eigentlich zu Riehl, aber eben auch zu den Lieblingszielen der Sängerin. Genauso wie der Rosengarten im Fort X am Neusser Wall. „Da wachsen Rosen aus aller Herren Länder“, schwärmt Kerstgens. „Man kann wunderbar auf einer Parkbank sitzen, ein Butterbrot essen und diese Ruhe-Oase mitten in der Stadt genießen.“ Sie schüttelt den blonden Lockenkopf. „Ich liebe das, wenn ich aus dem urbanen Wahnsinn des Agnesviertels in diese Natur-Insel eintauchen kann.“

Als Kind zur Belohnung nach Köln

Überhaupt achtet sie auf die kleinen Besonderheiten der Flora ihres Veedels: So hat Kerstgens auch den Turnschuhbaum entdeckt. Der steht an der Haltestelle Hansaring, an der Ecke zur Krefelder Straße hin. Er trägt zwar noch keine Blätter, „aber jede Menge Früchte“, so sieht es die Musikerin. Jede Menge Turnschuhe hängen da, die vielleicht Schüler des nahen Gymnasiums hinaufgeworfen haben mögen.

Als die Musikerin selbst noch im niederrheinischen Xanten zur Schule ging – sie ist aufgewachsen in der Gemeinde Sonsbeck – gehörten Ausflüge an den Hansaring für sie zum Köln-Gefühl. „Nach der Zeugnisausgabe sind meine Eltern mit mir zur Belohnung entweder in ein Museum in die Niederlande gefahren, das hat dann meinem Vater gefallen“, entsinnt sie sich. „Oder wir sind nach Köln gefahren, das hat mir gefallen. Dazu gehörte der Besuch im Dom, essen bei McDonald’s und einkaufen bei Saturn.“

Die Kölsche Kylie

Aus dem Musikkaufhaus hat sie auch ihre erste Langspielplatte, sowie die erste Single: das Hörspiel „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ sowie Rod Stewarts 1983er Nummer-1-Hit „Baby Jane“. Den trägt Kerstgens heute noch bei sich im Plattenkoffer, wenn sie als Kölsche Kylie im Gebäude 9 in Deutz bei der Miau-Party auflegt. Klar, dass sie bei so vielen Erinnerungen auch einen orangefarbenen Saturn durch ihr Bild vom Agnesviertel schweben lässt.

www.kleemusik.de