An die Kölner Flora hat Ex-Kanzlerin Angela Merkel besondere Erinnerungen. Jetzt wurde sie dort mit dem höchsten NRW-Preis geehrt.
Altkanzlerin spendet an HilfsorganisationAngela Merkel mit NRW-Staatspreis in Köln geehrt
Angela Merkel hat an die Kölner Flora eine besondere Erinnerung. Es ist der 4. September 2015, als sie dort die Festrede zum 70-jährigen Bestehen der NRW-CDU hält. Nach der Veranstaltung führt sie ein Telefonat, das in die Geschichte eingehen wird.
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann ist am Handy, bittet Merkel um Rat. Er berichtet, der ungarische Ministerpräsident Victor Orban habe ihn vor die Entscheidung gestellt, Flüchtlinge an der ungarisch-österreichischen Grenze entweder gewaltsam zu stoppen oder durchzulassen.
Für Merkel ist klar: Gewalt an innereuropäischen Grenzen darf es nicht geben, die Grenzen bleiben offen. „Es war eine Entscheidung aus Führung und Verantwortung – ein großer Akt der Humanität“, sagt Hendrik Wüst am Dienstagnachmittag in Köln. Merkel habe Führung gezeigt und Verantwortung übernommen: „Aus christlicher Überzeugung, mit Mut, aus Menschlichkeit.“
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„Für außergewöhnliche humanitäre Leistungen und ihre herausragenden Verdienste um das Ansehen Deutschlands in der Welt“
Das ist bald acht Jahre her. Jetzt ist Merkel erneut in die Flora gekommen. Als sie um 16.14 Uhr den Saal betritt, brandet Beifall auf. Sie sitzt in der ersten Reihe, wirkt entspannt und heiter. Die frühere Bundeskanzlerin erhält den Staatspreis des Landes NRW „für ihren unermüdlichen Einsatz zum Wohl des deutschen Volkes in einer von internationalen Krisen geprägten Zeit, für ihre außergewöhnlichen humanitären Leistungen und ihre herausragenden Verdienste um das Ansehen Deutschlands in der Welt“, wie es in der Begründung für die Preisverleihung heißt.
Merkel fühlt sich mit NRW besonders verbunden. Hier wurde der Grundstein für ihre Karriere gelegt. Als sie 1991 als Bundesministerin für Frauen und Jugend ins Kabinett von Helmut Kohl berufen wurde, bezog sie in der Elfstraße im Bonner Ortsteil Bad Godesberg eine 70-Quadratmeter-Parterrewohnung. Viele hätten wohl damals gedacht, da brauche Kohl „wohl noch eine Frau und eine Ostdeutsche im Kabinett“, erinnerte Wüst. Merkel sei als „eine chancenlose Außenseiterin“ wahrgenommen worden, die nicht Fuß fassen werde. Aber es kommt anders.
Im Jahr 2000 startet Merkels Karriere in der Bundes-CDU. Beim Parteitag in Essen wurde ein Nachfolger für Parteichef Wolfgang Schäuble gesucht. Teilnehmer erinnern sich, dass sich die NRW-CDU damals fast geschlossen hinter die Generalsekretärin stellte. Am 10. April 2000 wird sie in der Grugahalle mit 95,9 Prozent der Stimmen zur neuen CDU-Chefin gewählt. „Ohne Netzwerk aus der Jungen Union, ohne so genannte Hausmacht, ohne Seilschaft auf den Gipfel. Nicht nur Bergsteiger wissen: Das allein ist eine Leistung, die großen Respekt und Anerkennung verdient“, erklärt der NRW-Ministerpräsident.
Merkel erklärte Laschet für kanzelertauglich
Merkel und NRW – eine Geschichte mit viele Facetten. Nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin wird Peter Hintze zu einem ihrer engsten Vertrauten. Der Pfarrer aus Bonn hilft ihr, sich gegen Heckenschützen aus der alten West-CDU zu schützen. Sie kommt gut klar mit den Rheinländern, auch mit dem früheren NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet. Im August 2020 kommt sie zu einem Besuch nach Düsseldorf, erklärt den Aachener überraschend für kanzlertauglich. Ein Ritterschlag - denn zuvor hatten sich die CDU-Landesverbände Berlin und Hamburg klar für Markus Söder als Kanzlerkandidaten ausgesprochen.
Wüst betont, in Merkels Kanzlerschaft sei die Weltpolitik von Krisen und Umbrüchen geprägt gewesen. „In der Finanzkrise 2008 haben Sie Vertrauen geschaffen und die angespannte Lage beruhigt. Angela Merkel versprach der sorgenvollen Bevölkerung, dass ihre Einlagen sicher sind. Wir erinnern uns an den gemeinsamen Auftritt mit Peer Steinbrück“, so Wüst. Mit Partnern in Europa und der Welt habe Merkel die schlimmsten Folgen der Finanzkrise abgefedert und die Wirtschaft stabilisiert.
Die Corona-Pandemie sei die vielleicht größte Herausforderung von Merkels Kanzlerschaft gewesen. „Wir haben die Fernsehansprache sicher noch vor Augen. Ihre Worte im Ohr: ,Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.‘ Die Menschen wussten: Wenn Angela Merkel so zu uns spricht, dann ist es wirklich ernst. Hier ging es mehr denn je um Vertrauen“, sagt Wüst. Dass Deutschland vergleichsweise gut auch durch diese Krise gekommen ist, sei in besonderer Weise das Verdienst Angela Merkels.
Wüst verteidigte Merkels Amtsführung gegen Kritik
Im April hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik ausgezeichnet. Die Auszeichnung polarisierte, Merkel wurde vorgeworfen, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu viel Vertrauen entgegengebracht zu habe. Wüst verteidigte Merkels Amtsführung gegen Kritik: „Bei der rückblickenden Beurteilung muss man sich immer die Frage stellen: Unter welchen Voraussetzungen wurde diese Entscheidung getroffen? Und hätte es wirklich einen besseren Weg gegeben? Wer Politik kennt, wer Politik macht, der weiß: Entscheidungen fallen unter Druck. Oft ist die beste Lösung keine Option – weil sie gar nicht erst erreichbar ist.“
Die Laudatio auf die Staatspreisträgerin hält Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank. „Die Menschen in Deutschland und Europa können stolz darauf sein, eine solch charakterfeste Politikerin gehabt zu haben“, sagte Lagarde.
An der Preisverleihung in der Kölner Flora nahmen rund 400 Gäste teil, darunter die früheren Ministerpräsidenten Armin Laschet, Jürgen Rüttgers und Peer Steinbrück. Hannelore Kraft hatte abgesagt.
Vor der Preisverleihung besuchten Wüst und Merkel überraschend die Stadt Bad Münstereifel, um sich ein Bild vom Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe 2021 zu machen. Bei einem Besuch im Jahr 2021 hatte Merkel versprochen, zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukehren.
Merkel dankt Kölns Oberbürgermeisterin Reker für das Engagement für Flüchtlinge
Merkel erklärte, sie fühle sich durch die Auszeichnung geehrt. Das Land NRW sei in der Europapolitik immer ein verlässlicher „Verbündeter“ gewesen. Stellvertretend dankte die Bundeskanzlerin a.D. der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker für die Kraftanstrengungen der Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sei jetzt erneut Solidarität erforderlich. Merkel kündigte an, sie werde ihr Preisgeld (25.000 Euro) dem Verein Blau-Gelbes Kreuz zur Verfügung stellen, der humanitäre Hilfe für die Ukraine leistet.
Die FDP im Düsseldorfer Landtag kritisierte die Preisverleihung. „Jahrelang wurde es versäumt, eine geregelte Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas durchzusetzen. Das ist ein Ergebnis der Politik CDU-geführter Regierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel“, sagte Marcel Hafke, Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion. Die als PR-Termin inszenierte Preisverleihung bringe „vielleicht Hendrik Wüst nach vorne, aber nicht unser Bundesland“, so der Liberale.