Gastbeitrag„Ich bitte die Opfer der Kölner Silvesternacht um Verzeihung“
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Ein Gastbeitrag von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet anlässlich der Kölner Silvesternacht vor fünf Jahren.
1210 Strafanzeigen. 661 Opfer sexueller Straftaten. 46 erhobene Anklagen. 36 Verurteilungen. Das ist die bittere Bilanz einer Nacht, die sich tief ins kollektive Gedächtnis unseres Landes eingebrannt hat.
In der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 wurde das Überqueren einer der zentralsten Plätze in der größten Stadt unseres Landes – der Vorplatz vor dem Hauptbahnhof hinüber zum Kölner Dom – zum qualvollen Spießrutenlauf für Hunderte Frauen und Männer.
Junge Männer, vornehmlich aus den Maghreb-Staaten, umzingelten Passanten, raubten sie aus, vergingen sich an Frauen und Mädchen. Diese Ereignisse, die sich in anderer, nicht derart massiver Form auch in anderen Städten von Nordrhein-Westfalen zugetragen hatten, jähren sich nun zum fünften Mal.
Wir dürfen diese Silvesternacht nicht vergessen. Der Jahreswechsel von Köln war ein dringender Appell, das Vertrauen in den wehrhaften Rechtsstaat schnell und umfänglich wieder herzustellen. Die Taten und die Schicksale der Opfer mahnen uns bis heute.
Die Schockwellen, die die Ereignisse ausgelöst haben, waren weit über die Landesgrenzen hinaus zu spüren. Köln, das sonst wie keine andere Stadt in Europa Toleranz, Leichtigkeit und Frohsinn verkörpert, war plötzlich Sinnbild für Gewalt, Angst und Chaos. Köln, in dem Hunderttausende Menschen mit Feuerwerk und ausgelassenen Feiern die bösen Geister vertreiben wollten, um glücklich ein neues Jahr zu beginnen, wurde in dieser Nacht selbst von bösen Geistern heimgesucht. Köln konnte in der Silvesternacht 2015/16 seine Bürgerinnen und Bürger nicht schützen. In dieser Nacht hat die Stadt für eine ganze Weile ein Stück ihrer Leichtigkeit verloren.
Eklatante Versäumnisse
Die eklatanten Versäumnisse des Staates in dieser Nacht können wir nicht mehr ungeschehen machen. 661 Frauen haben vor fünf Jahren in Köln einen Albtraum durchlebt, viele von ihnen leiden bis heute unter den Folgen. 661 Frauen wurden in dieser Nacht vom Staat im Stich gelassen.
Jene Ereignisse hat unsere Landesregierung aus CDU und FDP seit ihrem Antritt im Sommer 2017 an als Auftrag verstanden. Als Auftrag, die innere Sicherheit wieder zu dem zu machen, was sie immer sein sollte: absolute und nicht diskutierbare Priorität. Freiheit und Sicherheit sind Grundbedürfnisse des Menschen. Ihre Erfüllung trägt maßgeblich zur Lebensqualität bei, ihre Garantie ist grundlegende Verpflichtung des Staates und seiner Institutionen.
Deshalb ist für die Arbeit unserer Landesregierung von Beginn an klar: Null Toleranz gegenüber Kriminalität. Wir haben in mehr Personal investiert und bilden jedes Jahr 500 Polizistinnen und Polizisten zusätzlich aus. Wir haben in bessere Ausstattung investiert und unsere Beamtinnen und Beamten endlich mit zeitgemäßem Equipment versorgt.
Reformiertes Polizeigesetz und höhere Aufklärungsrate
Wir haben das Polizeigesetz reformiert und dadurch unseren Polizistinnen und Polizisten dringend notwendige Befugnisse gewährt, um konsequent handeln zu können. Dadurch haben wir bereits im Jahr 2018 die Aufklärungsrate auf den Höchstwert seit fast 60 Jahren steigern können. Durch Präsenz, Prävention und Aufklärung.
Diese konsequente Haltung hat dazu geführt, dass die Kriminalität im vergangenen Jahr auf dem niedrigsten Niveau seit 30 Jahren war. Die Gewalttaten sind rückläufig, die Straßenkriminalität wird weniger, die Zahl der Wohnungseinbrüche ist sogar um zehn Prozent gesunken.
Die Landesregierung hat einen Schwerpunkt auf das Enttarnen der Täter und das Verhindern weiterer Taten gesetzt, auf die Prävention und die Verfolgung von Straftaten. Einen anderen, besonders wichtigen Blick legen wir auf die Opfer. Nie wieder soll sich wiederholen, was sich Silvester vor fünf Jahren zugetragen hatte: Hunderte Frauen – allein gelassen mit dem Unfassbaren, nicht nur in der einen Nacht.
In Nordrhein-Westfalen werden Opfer nicht alleine gelassen!
Mit Generalstaatsanwältin a.D. Elisabeth Auchter-Mainz hat die Landesregierung eine Opferschutzbeauftragte, unterstützt von einem dreiköpfigen Opferschutzteam – dies ist ein einzigartiges Amt und inzwischen ein Vorbild für viele andere Länder. Denn neben der Strafverfolgung ist es genauso dringliche Pflicht des Rechtsstaates, Opfern von Straftaten bestmögliche Hilfestellung zu geben und sie auf ihrem Weg zu begleiten.
Schon im ersten Jahr ihrer Tätigkeit konnte die Opferschutzbeauftragte so in über 500 Fällen konkret helfen – Opfern der Amokfahrten in Münster oder Bottrop beispielsweise oder der Geiselnahme im Kölner Hauptbahnhof. So wichtig die Strafverfolgung ist, so wichtig ist auch das Signal: In Nordrhein-Westfalen werden Opfer nicht alleine gelassen!
36 Verurteilungen bei mehr als 1200 Anzeigen aus der Silvesternacht 2015/16 sind eine ernüchternde Bilanz. Nur drei Männer wurden wegen Sexualstraftaten verurteilt. „Ist das Gerechtigkeit?“ – so haben viele gefragt.
Leserbrief
„Habe eine Bürde hinzugefügt“ - Kardinal Rainer Maria Woelki bittet in der Christmette um Verzeihung (28.12.)
Kardinal Woelki bittet um Verzeihung in der Christmette. Dies ist ein notwendiger, wenn nicht schon längst überfälliger Schritt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Allerdings schleichen sich beim genaueren Hinhören seiner Worte und beim Betrachten der Bilder von seinem Auftreten Zweifel ein. Die Erstkommunionkinder lernen in der Hinführung zur Beichte den offenen und ehrlichen Umgang mit persönlicher Schuld. Nicht zuletzt geschieht dies über eine Gewissenserforschung und Reue. Dann wird der Wille zur Umkehr ausgesprochen. Leider kann ich in den Worten des Kardinals nichts dergleichen erkennen. Damit wurde nun noch restlich vorhandene Glaubwürdigkeit verspielt. Zugleich bereitet mir sein Auftreten in der Christmette - zum Ein- und Auszug in den Dom - erhebliches Kopfzerbrechen. Kein Tragen der allseits vorgeschriebenen Maske zum Schutz seiner Person oder zumindest der Mitfeiernden im Gottesdienst - gilt diese Vorgabe etwa nicht für den Kardinal? Ist es ein Versehen? Oder handelt es sich hier um eine Ignoranz den Mitchristen gegenüber, die symptomatisch für seinen Leitungsstil im Bistum steht? Auch eine Bischofsweihe gewährt keine Immunität gegen das Coronavirus.
PASTOR KLAUS KOLTERMANN SEELSORGEBEREICH DORMAGEN-NORD
Die Justiz kann kaum solche Wunden heilen. Niemand kann rückgängig machen, was geschehen ist. Aber wir können versprechen, unser Bestes zu geben, dass eine solche Nacht nie wieder passieren wird. Und wir können die Opfer um Verzeihung bitten, dass der Staat sie in jener Nacht nicht beschützt hat – egal wer damals politisch Verantwortung trug. Wir können nicht nur, es ist unsere Pflicht.