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„Es ist unsäglich“FDP-Legende kritisiert Arsch huh und tritt trotzdem als Redner auf

Lesezeit 7 Minuten
Tausende Menschen stehen vor der Bühne von Arsch huh.

Zur Arsch huh-Kundgebung 2012 kamen mehrere zehntausend Teilnehmende an die Deutzer Werft.

Nach dem Eklat um die Arsch huh-Kundgebung am Sonntag in Köln hat sich unter anderem Ex-Innenminister Gerhart Baum zu Wort gemeldet.

Am Tag nach dem Eklat um die für den kommenden Sonntag geplante Israel-Friedenskundgebung der Künstlerinitiative „Arsch hu, Zäng ussenander“ haben Vertreter aus der Politik Verständnis für die Absage des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, geäußert und seine Kritik geteilt.

Lehrer, der auch Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln ist, hatte am Donnerstag seine Teilnahme als Redner zurückgezogen. Die Initiatoren von Arsch huh hatten seiner Ansicht nach den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober dieses Jahres mit dem darauf folgenden Verteidigungskrieg Israels gleichgesetzt. „Das werde ich nicht mittragen“, sagte er.

Köln: Gerhart Baum kritisiert Aufruf von Arsch huh

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft teilte diese Kritik. „Es ist unsäglich, die Armee Israels, eines demokratischen Staates, in dem bis vor kurzem Hunderttausende für die Demokratie demonstriert haben, mit einer hemmungslosen Terrororganisation gleichzusetzen“, sagte der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum am Freitag im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Er verstehe, dass Abraham Lehrer seine Teilnahme abgesagt habe. Es sei „sehr, sehr schade, dass unsere jüdischen Mitbürger hier nicht offiziell vertreten sind“, sagte Baum, der am Sonntag als Redner bei Arsch huh mitwirken wird, auch um auf der Bühne zu erklären, warum sich ein Terrorangriff nicht damit vergleichen lassen, dass Israel das Völkerrecht auf Selbstverteidigung ausübe. „Man wird sicherlich kritisch die Dimension der Selbstverteidigung Israels überprüfen und die Politik Netanjahus, aber nichts rechtfertigt den Überfall“, sagte Baum.

Arsch huh: Oberbürgermeisterin Henriette Reker nicht eingeladen

Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die von den Arsch-huh-Initiatoren nicht zu der Kundgebung eingeladen wurde, verwies darauf, dass in jedem Krieg auf beiden Seiten Menschen sterben und leiden, die unschuldig sind. „Sie dürfen wir beklagen und betrauern, ihnen gilt meine herzliche Anteilnahme“, sagte Reker. Gleichzeitig verurteile sie auf das Schärfste das Handeln der Terrororganisation Hamas, die dieses Leid verantworte – es sei durch nichts zu relativieren.

Die Menschen in Israel müssten gerade tagtäglich ertragen, dass Terroristen jedes israelische Leben auslöschen und ein ganzes Volk vernichten wollen. In dieser Situation dürfe es kein „Ja, aber“ geben, in dieser Situation gelte es, unverbrüchlich an der Seite Israels zu stehen. „Ich wünsche mir, dass Arsch huh an seiner Tradition festhält, ein starkes Zeichen gegen Unrecht zu setzen – ein eindeutiges Zeichen gegen den Terror der Hamas“, sagte Reker.

Allerdings setzt der Einladungstext die Gräueltaten mit der Selbstverteidigung Israels gleich. Das ist für uns Grüne nicht tragbar.
Partei und Ratsfraktion der Grünen

Angesichts der unzähligen Menschen, die seit dem 7. Oktober ihr Leben verloren haben, sei es ein wichtiges und richtiges Zeichen zu einer Friedensdemonstration mit dem Motto „Menschlichkeit und Frieden statt Terror und Krieg“ aufzurufen, hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Partei und Ratsfraktion der Grünen. „Allerdings setzt der Einladungstext die Gräueltaten der Hamas mit der Selbstverteidigung Israels gleich. Das ist für uns Grüne nicht tragbar.“

„Unsere volle Unterstützung gilt Abraham Lehrer, dessen Entscheidung, nicht an der Kundgebung teilzunehmen, absolut richtig und konsequent ist“, sagte CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau. Die Israel-Kundgebung von Arsch huh habe zwei eklatante Konstruktionsfehler. „Warum findet die Veranstaltung erst zwei Monate nach dem furchtbaren Terror-Angriff der Hamas statt? Brauchten die Mitglieder von Arsch huh so lange, um sich auf einen Aufruf zu einigen, der alles vermissen lässt, was man von einem klaren Zeichen der Solidarität mit Israel erwarten würde“, fragte Petelkau.

In dieser Situation könne und dürfe es kein „Ja, aber“ geben. „Es ist sehr schade, dass es nicht gelungen ist, gemeinsam mit allen Beteiligten einen breit getragenen und unterstützten Aufruf zu erstellen, der keinen Zweifel am Ursache-Wirkungs-Zusammenhang aufkommen lassen kann“, sagte SPD-Fraktionschef Christian Joisten.

FDP: Arsch huh brüskiert Kölner Jüdinnen und Juden

„Wir als FDP können die Entscheidung von Herrn Lehrer vollkommen nachvollziehen“, sagte FDP-Fraktionschef Ralph Sterck. Der Aufruf zur Kundgebung verkenne, dass ein Großteil der israelischen Opfer jüdischen Glaubens sind und somit klarer Judenhass die Grundlage dieser Anschläge sei. Zudem nehme Arsch huh die Hamas als Quelle für die Anzahl der Opfer auf palästinensischer Seite, ohne dies kritisch zu hinterfragen. „Es ist traurig, dass eine in der Kölner Stadtgesellschaft so angesehene Institution unsere jüdischen Mitbürgerinnen und -mitbürger dermaßen brüskiert“, so Sterck.

„Die Absage von Herrn Lehrer ist bedauerlich, aber verständlich“, sagte Linke-Fraktionsgeschäftsführer Michael Weisenstein. Seine Fraktion hoffe dennoch darauf, dass am Sonntag ein starkes Friedenszeichen aus Köln gesendet werde.

Der Text der Künstler-Initiative „krankt schon an dem Grundproblem, dass suggeriert wird, es gebe zwei Kriegsparteien“, sagte Eren Güvercin, Mitgründer der liberalen muslimischen Alhambra-Gesellschaft. „Die Opfer beider Seiten in einem Atemzug zu nennen, ohne seit dem 7. Oktober zuvor nennenswert in Erscheinung zu treten, ist irritierend.“

Erschwerend hinzu komme die Einladung von Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, als Redner: „Ist der Initiative nicht bekannt, wie lange Herr Mazyek nach dem 7. Oktober gebraucht hat, um sich zumindest halbherzig vom Terror der Hamas zu distanzieren? Ist den Verantwortlichen nicht bekannt, mit welch Geistes Kind sie zu tun haben?“ In seiner ersten öffentlichen Wortmeldung – nachdem bereits bekannt gewesen sei, dass Hunderte Israelis von der Hamas ermordet worden waren – habe Mazyek auf „X“ (ehemals Twitter) von einer „Eskalation im Nahen Osten“ geschrieben, von „zwei Parteien, die sich gegenseitig hochschaukeln“.

Infolge seiner vagen Haltung zum Terror der Hamas war Mazyek auch nicht zur Deutschen Islamkonferenz eingeladen worden. Das Organisationskomitee von Arsch huh hatte am Donnerstag mit „außerordentlichem Bedauern“ auf Lehrers Absage reagiert.

Brings: „Das ist das Letzte, was wir wollten“

Die Band Brings teilte mit, sie sei „sehr unglücklich über die Stimmung, ja den Streit“ im Vorfeld der Veranstaltung. „Wir sind keine abgeklärten Politik-Profis, wir sind kölsche Musiker, handeln manchmal aus einem Bauchgefühl heraus. Dieses Gefühl hat uns und unseren Arsch huh Kolleg:innen gesagt: Wir möchten allen Menschen in Köln die Gelegenheit bieten, zusammenzukommen und für den Frieden einzustehen“, hieß es weiter.

Das scheine in der aktuellen Situation aber „nur bedingt möglich“, teilte die Band mit. Das Anliegen der Veranstaltung drohe „missbraucht“ zu werden. „Das ist das Letzte, was wir wollten“, hieß es von den Musikern. „Dass sich Vertreter der jüdischen Gemeinde in Köln distanzieren, schmerzt uns ganz besonders.“ Man werde „langjährige, freundschaftliche Verbindungen“ zur jüdischen Gemeinde „gerade in diesen dunklen Tagen“ nicht aufgeben, so Brings.

Kabarettist Jürgen Becker, der bei der Kundgebung als Redner auftreten wird, sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Freitag: „Dass in Köln, der Stadt eines Jacques Offenbach, wieder Judenhass und Antisemitismus aufflammen, so dass sich jüdische Menschen hier nicht mehr sicher fühlen, ist unerträglich! Gerade eine Musiker-Initiative wie Arsch huh muss deshalb am Sonntag diesen Akkord der Hoffnung setzen: Give Peace a chance.“

Becker erinnerte daran, dass unter den Nazis sechs Millionen Juden ermordet wurden. „Trotz dieses in der Geschichte beispiellosen Verbrechens gibt es heute eine Deutsche Botschaft in Tel Aviv und eine Israelische Botschaft in Berlin. Also muss es möglich sein, dass auch Israelis und Palästinenser, Juden und Muslime wieder friedlich zusammenleben. Im Nahen Osten und hier in Köln“, so Becker weiter. Und: „Dafür den Arsch huh zu kriegen, ist unsere Pflicht.“

Auf die Kritik Abraham Lehrers und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ging Becker in seinem Statement nicht ein, ebenso nicht Max Eumann von der Band Miljö. Der Musiker erklärte auf Anfrage, man sehe die Demo als einen Aufruf zu Verständigung und Dialog. Eumann: „Terror, Krieg und Gewalt bringen unfassbares Leid für Menschen, egal auf welchem Teil dieser Erde sie geboren wurden.“ Man setze sich ein „für eine Welt, in der man in Frieden glauben, leben und lieben darf, an was, wo und wen man will.“ Weitere Kulturschaffende, die ihre Teilnahme zugesagt hatten, äußerten sich auf Anfrage nicht.

Navid Kermani verteidigt Aufruf von Arsch huh

Dafür der Kölner Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Navid Kermani: „Ich finde es gut, dass der Ruf nach Frieden unmissverständlich verbunden ist mit einer Verurteilung der Hamas und der klaren Unterstützung für eine strafrechtliche Verfolgung ihrer Ableger in Deutschland. Das hat es nach meiner Kenntnis noch auf keiner pro-palästinensischen Demonstration gegeben. Und soweit ich weiß, ist es umgekehrt auf pro-israelischen Kundgebungen nicht gang und gäbe gewesen, auch der Toten im Gazastreifen zu gedenken.“

Kermani weiter: „Der Forderung der Arsch huh-Demo nach einer Verlängerung der Waffenruhe eine Parteinahme für die Hamas zu unterstellen, ist absurd. Es ist doch die Hamas, die diese Waffenruhe gebrochen hat, ihre Terroranschläge fortsetzt und ganz explizit und offen auf Eskalation setzt. Eine Waffenruhe dient dazu, dass noch mehr Geiseln freikommen und die Bevölkerung in Gaza mit den elementaren Hilfsgütern versorgt werden – und darum muss es doch kurzfristig gehen. Deshalb hat sich die Weltgemeinschaft einschließlich der USA für die Verlängerung der Waffenruhe eingesetzt, leider vergeblich. Und das soll jetzt eine Hamas-Position sein?“

Insofern halte er die Kritik an dem Aufruf für einseitig und überzogen. „Und im Übrigen ist Trauer über die Opfer auf beiden Seiten keine Beidseiteritis, wie Volker Beck von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft es nennt. Dieser Begriff ist im Zusammenhang mit Tausenden unschuldigen Opfern auf beiden Seiten beschämend.“