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„Atempause“ in NiehlWenn im Hafen die Sonne aufgeht

Lesezeit 6 Minuten

„Jola ist Familie“, sagen ihre Gäste.

Köln-Niehl – Morgens um 5 Uhr 20, wenn sich der Nachthimmel über dem Molenkopf aufhellt und die Markierungslampen der „Bohemia“ blasse Schimmer über das Wasser schickt, ist es im Niehler Hafen noch still. Nur jenseits der Rangiergleise schlagen hie und da LKW-Türen. Jolanta Ibrom ist seit vier Uhr auf den Beinen, und obwohl jetzt für sie ein langer Arbeitstag beginnt, nickt sie zustimmend: „Ich liebe diesen Ort“, sagt sie, „ich freue mich jeden Morgen auf den Hafen und die Menschen hier.“ Und das, sagt sie, sei „die pure Wahrheit“.

Zehn Minuten später zischen die Frikadellen in der Pfanne. Ihr Mann Adam klopft Schnitzel, bevor er selbst zur Arbeit fährt. Jolanta bereitet Bohnen-, Kraut-, und Kartoffelsalat vor, Saucen, belegte Brötchen, die Kaffeemaschine heizt. „Wir machen alles frisch“, sagt sie.

„Jola ist Familie“

Die „Atempause“ ist die Niehler Hafenkantine und ab 6 Uhr Drehscheibe für Handwerker, Hafenarbeiter, Spediteure, Kran- und Zugführer und alle, die immer auf dem Sprung sind, aber eine Atempause und Jolas Küche schätzen. An manchem Morgen geht der erste Kaffee kurz nach 6 über die Theke, manche holen das Frühstück um 7 Uhr mit auf den Weg. Und so geht es weiter. Jola sagt dann fröhlich: „Das sind meine Gerüstbauer“ oder „meine Bautaucher“, „meine Dachdecker“.

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„Jola ist Familie“, sagt Gerüstbauer Dennis und so geht es auch zu in der „Atempause“: Familiär, locker, entspannt. „Ihr habt mir gestern beide Automaten ausgeräumt!“, ruft sie Dennis hinterher. Der kichert. „Bargeld lacht“. Karl-Heinz Jörgens bestellt Kaffee und Brötchen. „Markisen, Rollläden, Jalousien seit 109 Jahren“ steht auf seinem Lieferwagen. „Jeden Morgen Fiebermessen“, erklärt er, „das Auto voller Desinfektionsmittel. Aber es muss ja sein.“ Die Corona-Zeit sei schon komisch. Jörgens wartet Sonnenschutz in Krankenhäusern, Hotels, Kindergärten. „Und keinem Kunden schüttelst du die Hand. Alles auf Distanz.“ Glücklich ist er damit nicht.

Seit über 25 Jahren führt Jolanta Brom in Niehl die „Atempause“.

Jörgens kommt seit 35 Jahren in die Kantine und erinnert sich an 1998, als Jolanta Ibrom aushilfsweise einsprang. „Wie mir da war?“ Sie lacht. „Nur Männer, dachte ich.“ Und was für welche: Hünen wie Gerüstbauer Dennis, kantige LKW-Fahrer, launige Hafenarbeiter. „Aber ich weiß mir Respekt zu verschaffen“, erklärt sie mit ihrem charmanten polnischen Akzent. „Und wenn einer blöd kommt, sagt ihm ein anderer Bescheid.“

8:45 Uhr. Die „Vegetationskontrolle“ der Hafengesellschaft Köln schmiert die Weichen, ein Güterzug der RheinCargo rangiert vor der „Atempause“. Mancher Lokführer lässt sich das Brötchen in den Fahrerstand reichen. Die Torkräne heben Container von Cosco-Shipping, Evergreen oder Maersk von den Waggons auf wartende LKW, während unten im Hafenbecken das Tankschiff „Bohemia“ rückwärts ausfährt. Stefan Mäuler parkt sein Taxi, schiebt sich nach der Nachtschicht hinter einen Tisch und beginnt mit der Buchführung. „Bei Jola hat man seine Ruhe.“

Seit 1989 in Köln

Im Mai 1989 kommt die 19-Jährige aus Kattowitz nach Köln. „Ich wollte raus aus Polen, die Welt sehen, wollte nicht Näherin bleiben.“ Sie folgt einem Freund nach Köln. Deutsch bringt sie sich selber bei, jobbt. Dauerhaften Aufenthalt erhält sie erst mit der Festanstellung in der Hafenkantine. Dafür aber: jeden Morgen um vier raus, von Bonn rüber nach Köln, kochen, geöffnet von 6 bis 15 Uhr, dann einkaufen, die drei Kinder, ihr Mann Adam.

Aber Jolanta ist ein Energiebündel. Als vor sechs Jahren ihr Chef stirbt, „ein wirklicher Freund“, entschließt sie sich, die Konzession zu beantragen, steigt in den Pachtvertrag der HGK ein, investiert, renoviert und ihre Gerüstbauer packen mit an. „Das war ja eine verrauchte Hafenspelunke, wo die LKW-Fahrer auch übernachtet haben.“ Jetzt ist die „Kantine“ ein Speiselokal mit leckerer deutsch-polnischer Küche, blitzblank und mit einzigartigem Terrassenblick über den Hafen. „Die Gerüstbauer sagten, was stellst du uns so schöne Stühle hin. Wir sind doch dreckig. Na und, hab’ ich gesagt, ihr sollt hier jedenfalls nicht auf abgeranzten Stühlen sitzen.“

Theo Rheinbach mit Frühstück

Gegen 9.30 Uhr legt die „Wdp 3“ an, Wasserschutzpolizei. Zwei Bouletten-Brötchen, zwei Flaschen Wasser für 40 Stromkilometer rheinab, rheinauf. Und „Opa Fritz“ ist da, sucht die Hafenmauer ab. „Da saß immer ein blauer Eisvogel“, sagt er mit bayerischem Akzent. „Ein Stoßtaucher“. Friedrich Schneider war Bauschlosser, Tierpfleger im Zoo und im Zirkus, Zimmermann, Fotograf. „Das Rheinische Bildarchiv hat 1300 Architekturfotos von mir“, erklärt er lapidar. „Als fröhlicher Atheist habe ich alle Bauten fotografiert, in denen Gott wohnt“. Kirchen, Moscheen, Synagogen, Tempel. „Und Fabriken, Hochöfen, Dampfmaschinen, den rostenden Kistenkran da drüben.“

Das Faktotum „Opa Fritz“

Unter dem Sonnenschirm sitzt jetzt die Bezirkspolizei. „Hier gibt es auch schon mal polnische Gurkensuppe“, erklärt einer, während die Kollegin in die Frikadelle beißt und lässt sich vom Hochwasser 1990 erzählen. Da stand der Hafen in einem See. „Wir hatten die Zufahrt mit Warnbaken gesperrt, aber einer fuhr an uns vorbei in den Hafen. Wir sehen uns an und denken, was macht der? Nach 100 Metern steht er tief im Wasser, Motor abgesoffen. Und dann? Macht der Kerl die Tür auf! Wusch.“ Das Wusch ist unvergessen.

„Ich war auch im Knast“, erzählt „Opa Fritz“. „Ich war der erste Kriegs- und Ersatzdienstverweigerer in Bayern und musste die Zeit absitzen“. Um 10.45 Uhr sind die Gerüstbauer zurück aus St. Augustin und auf dem Weg nach Eitorf. „Aber da kriegst du nichts. Deshalb machen wir jetzt schon Mittag.“ Im Sommer seien die Gerüste knallheiß, sagt der hünenhafte Dennis, im Winter eiskalt. Auf Wunsch kocht Jola für sie auch schon mal Krautrouladen, Piroggen, Borscht. Gerüstbauer müssen bei Kräften sein.

„Hier liefen Zombies durchs Lokal.“

Um 11 Uhr macht die Bereitschaftspolizei aus Brühl, Abteilung Technische Gruppe, eine Lehrgangspause. „Vor zwei Jahren haben wir hier im Hafen getaucht. Tötungsdelikt.“ Doch eine Leiche haben sie nicht gefunden. „Ein Taucher hat zehn Augen und sieht nichts“, erklärt ein Polizist. „Aber je genauer die Angaben von oben, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass wir unten was finden.“ Soko, Alarm für Cobra 11 und Werbespots seien bei ihr auch schon gedreht worden, sagt Jola. „Hier liefen Zombies durchs Lokal.“

Jolanta Ibrom ist froh, dass der Corona-Lockdown vorbei ist. „Fast neun Wochen zuhause. Ich wusste nicht, ob ich das durchhalte: Pacht, Versicherungen, Strom, Gas, Automatenmiete. Ich hatte Kopfschmerzen, Magenkrämpfe.“ Die Corona-Hilfe habe dann Gott sei Dank die Fixkosten bezahlt. „Wir haben hier schwere Zeiten erlebt.“ Die Wirtschaftskrise, die Verlagerungen in den Godorfer Hafen. „Auch meine Kunden. Aber wir sind wieder aufgestanden.“

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12 Uhr, Mittagspause für Martin Seeburg aus Wismar und Rene Barth aus Tangermünde. Sechs Wochen sind sie auf Montage, Versicherungsschäden reparieren auf den rund 30 Hotelschiffen der Viking Reederei, die am Molenkopf angedockt sind. Arbeit hätten sie trotz oder gerade wegen Corona genug. „Crash-Schäden auf dem Rhein gibt es immer“, sagt Seeburg. Kollisionen wegen technischer Ausfälle der Navigation.

Am Wochenende ist die Hafenkantine geschlossen. Auf Wunsch richtet Jolanta aber private Feiern aus, mit Blick auf Schiffe und Kräne. Es sei eben ein wirklich ausgefallener Ort.