Köln – Es ist eine ziemlich abgefahrene Reise, dieser Deutschlandtrip von Hans-Jürgen Burkard. Der Fotojournalist, der mehr als 30 Jahre für Magazine wie „Stern“ und „Geo“ in der Welt und besonders in Russland unterwegs war, machte sich 2013 auf den Weg, sein Heimatland neu zu entdecken. Begleitet von deutscher Musik. „Für mich war das eine Heimkehr, dass ich mein eigenes Land erfahre im wahrsten Sinne des Wortes.“
Der Stern, der die Reise beauftragte, druckte einige Doppelseiten, aber die Ausbeute an Bildern war selbstredend viel größer. Und Burkard fotografierte immer weiter, bis heute. So ist das Buch „An Tagen wie diesen…“ entstanden, die Bilder dazu werden seit dem Wochenende in einer sehr sehenswerten Ausstellung in der Michael Horbach Stiftung in der Südstadt ausgestellt.
Natürlich ist das fotografische Porträt eines Landes immer auch eine Reflektion der Klischees. Was also ist Deutschland? Rhein, Neuschwanstein, Oktoberfest, Swingerclub, Gebet gen Mekka, Burschenschaft? Eine derart umfangreiche Reportage lebt von ausgeklügelter Planung, aber auch von Zufällen, von Begegnungen mit Menschen.
„Ich habe mir anfangs einen Plan gemacht zwischen Hamburger Society beim Derby, Jugendlichen auf Festivals, Rentnern auf dem Campingplatz, Punks an der Roten Flora. Jung und alt, alle Himmelsrichtungen“, sagt Burkard. „Ich habe ein kaputtes Knie, seitdem ich im zweiten Tschetschenienkrieg vom Panzer gefallen bin. Ich habe mir also ein E-Bike gekauft und bin dann mit meiner Freundin immer wieder auf Tour gegangen. Hinterm Deich. Auf Feldwegen, wo man mit dem Auto nicht hinkommt. Festivals, Campingplätze an der Ostsee, Alemannische Fastnacht, Hagenbeck und Lausitz.“
Zu jedem Bild Songtexte deutscher Musiker
Silke Müller, die im Buch den Text zur Musik geschrieben hat, machte den Vorschlag, man könne den Trend, wieder deutsch zu singen, für das Projekt aufgreifen. „Sie hat mir zwei-, dreihundert Songtexte in die Hand gedrückt“.
Die lagen dann immer auf dem Beifahrersitz - von Tote Hosen bis Haftbefehl, von Höhnern, Rammstein und Lindenberg. Manchmal war das Bild zuerst da, manchmal der Song. Zu jedem Foto gibt es einige Textzeilen sowie kleine Tagebuchähnliche Memos des Fotografen.
„Auf Festivals bin ich nie gewesen früher, ich war ja immer im Ausland unterwegs. Also hat meine Freundin mich zu Rock am Ring geschleppt oder nach Scheeßel zum Hurricane.“ Manchmal half der Zufall: Bei einem Klassentreffen erzählte einer, dass er gerade operiert worden sei. „Ich habe gesagt, er soll sein Hemd ausziehen und habe ihm brutal auf den Bauch geblitzt, weil ich den Song „Herzinfarkt“ von Caspar im Kopf hatte, und Herzinfarkt ist ja auch eine deutsche Zivilisationskrankheit.“ Burkard hat zu fast jedem Bild solche Geschichten.
Wie die von Manni aus Schwarze Pumpe, dem Vorzeigekraftwerk der DDR für die Völkerfreundschaft mit den Russen in der Lausitz. In dem Song „Sonntag in Schwarze Pumpe“ von Gundermann & Seilschaft heißt es: „Hier sind die Nullen noch unter sich und ein besseres morgen gibt es nicht.“
Manni habe sonntagmorgens mit Bier an einer Tankstelle gestanden „und ich habe ihn nach dem Weg gefragt. Ich bin weitergefahren und habe nach einem Kilometer gedacht: Scheiße, der war das Bild. Bin umgekehrt, aber Manni war weg.“ Burkard gab dem Tankwart Geld und bat um einen Anruf. „Drei Tage später in Hamburg - Manni ruft an. Bin ich nochmal nach Cottbus gefahren und hab ihn am Kraftwerk fotografiert, dort, wo er gearbeitet har. Er hat sich bedankt für die Kohle weil er sich mal wieder Zigaretten kaufen konnte. Er musste unterschreiben, das wir das Bild drucken dürfen und hatte Angst, weil er keinen Vertrag für ein Abo unterschreiben wollte. Da weiß man, wie nach der Wende die Wallensteins der Neuzeit übers Land gezogen sind und die Leute beschissen haben. Deutsche Stories in dieser Vielfältigkeit zu erfahren, war total spannend.“
Oft ist das Geschehen am Rande spannender als das eigentliche Ereignis. Im Kölner Karneval schlich er sich in den Gürzenich und fotografierte die Roten Funken beim Frühstück vor dem Rosenmontagszug. „Da war Fotoverbot und die haben mich schnell rauskomplimentiert, aber mein Bild hatte ich.“
Am Rhein stieß er auf Sambatänzer, die wegen Corona-Lockdown kurzerhand eine provisorische Tanzfläche am Strand aufgebaut hatten. „Den Rhein als deutschen Strom musste ich natürlich haben, zumal ich da geboren bin. Ich bin in der Jugend immer von Lahnstein nach Honnef gerudert und habe die Scheiße schwimmen sehen. Der Fluss hat bestialisch gestunken damals nach Chemie und Fäkalien. Den Geruch habe ich immer noch in der Nase.“
Hans-Jürgen Burkard, der in wenigen Tagen 70 wird, zeigt auf das neueste Bild in der Ausstellung. Ein Porträt von Schorsch, einem deutschen Jagdterrier in Kevelaer-Schutzanzug: „Ein Sauhund, der geht auf Wildschweine. Die wurden gezüchtet, weil die deutsche Jägerschaft nicht mehr mit englischen Hunden jagen wollte. Damals gab es keine anderen, und man hatte gerade einen Krieg verloren. Schorsch - ein moderner deutscher Hüne, ein Recke.“ Der Songtext zum Bild kommt von Haftbefehl: „Tokat, Kopf ab, Mortal Kombat/Vollkontakt, alla Ong Bak/Komm ran, Opfer du bist Honda, ich sagat/Nicht link von hinten ich hau dich frontal sakat.“ Deutsches Kulturgut. Beides. „Wir leben in einem tollen Land voller Vielfalt“, ist sich der Fotograf sicher.
„An Tagen wie diesen“ von Hans-Jürgen Burkard, Ausstellung in der Michael-Horbach-Stiftung bis 26. Juni, Wormser Str.23, Südstadt. Geöffnet Mi & Fr 15.30 - 18.30 Uhr, So 11-14 Uhr sowie nach Vereinbahrung.