Köln – Was die Kölner Polizei unter einer „Null-Toleranz-Strategie“ versteht, lässt sich ganz gut am Freitagabend auf der Deutzer Brücke beobachten: Ein junger BMW-Fahrer und sein Kumpel sind in Höhe des Maritim-Hotels stadteinwärts in eine Verkehrskontrolle geraten, Hauptkommissarin Tanja Etzrodt erklärt dem Fahrer, dass er so nicht weiterfahren darf – der Spoiler auf der Kofferraumklappe ist amateurhaft angebracht, zudem sind die beiden Heckleuchten mit aufgeklebter Folie abgedunkelt. Beides ist nicht erlaubt, die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs ist erloschen.
Kontrolle in Köln: Spoiler wackelt, Scheinwerfer abgedunkelt
Will der Mann seine Fahrt fortsetzen, muss er erst Folie und Spoiler entfernen. Letzterer ist offenbar nur leicht angeklebt und schnell abmontiert. Nun stehen die beiden Männer hinter dem 3er-BMW und pulen unter den wachsamen Augen mehrerer Polizisten mit ihren Fingernägeln die Folie von den Lampen. Das ist deutlich mühsamer. Weil es leichter geht, wenn die Folie warm ist, halten sie abwechselnd ein angezündetes Feuerzeug vor die Scheinwerfer: Einer wärmt, einer knibbelt. Das dauert.
„Mit dem Thema Null Toleranz musst du ja irgendwo anfangen, und hier geht das los“, sagt Jürgen Berg, Chef des Einsatztrupps (ET) Verkehr der Polizei Köln. „Wir schreiten da konsequent ein.“ Berg ist an diesem Abend, den die Tuning-Szene „Carfreitag“ nennt, Einsatzleiter der verstärkten Verkehrskontrollen im Stadtgebiet und auf den Autobahnen rund um Köln.
Der Karfreitag gilt unter den Freunden aufgerüsteter Autos traditionell als Startschuss in die Sommersaison – man trifft sich, um gemeinsam durch die Gegend zu fahren, mit aufgemotzten Fahrzeugen zu prahlen oder illegale Rennen zu veranstalten. NRW- Innenminister Herbert Reul (CDU) hat für den ganzen Tag starke Kontrollen angekündigt, andere Bundesländer ebenfalls. „Karfreitag ist ein Feiertag und kein Freifahrtschein für Straßengefährder“, sagt Reul.
Der 24-jährige Roadster-Fahrer am Tanzbrunnen jedenfalls sieht sich nicht als Gefährder. „Ich fahre gut“, entgegnet er entrüstet, als Hauptkommissarin Etzrodt ihm vorhält, dass seine Führerschein-Probezeit vermutlich nicht ohne Grund um zwei Jahre verlängert wurde. „Ich bin halt ein Mal geblitzt worden, ja und?“
Köln: „Unnützes Hin- und Herfahren“ kostet 100 Euro
Die Polizisten haben ihn angehalten, weil er ohne erkennbaren Grund in seinem blitzblank polierten BMW Z4 mehrere Runden um den Messeturm gedreht hat. In der Straßenverkehrsordung gibt es dafür einen eigenen Paragrafen: „Unnützes Hin- und Herfahren“. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn man ohne Notwendigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine Strecke mehrmals abfährt und dadurch andere belästigt werden. Es ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit 100 Euro Bußgeld geahndet werden kann. Weil der 24-Jährige seinen Führerschein und Fahrzeugschein zudem nicht in Papierform, sondern nur als Foto auf dem Handy dabei hat, droht ihm eine noch höhere Strafe. „Ich bezahle das nicht, ich gehe arbeiten und zahle Steuern, ich sehe das nicht ein“, empört sich der Mann. Er wird in den nächsten Tagen den Bußgeldbescheid per Post erhalten.
Für die Beamtinnen und Beamten des „ET Verkehr“ ist es in diesem Jahr ein verhältnismäßig ruhiger „Carfreitag“ in Köln. Begonnen hat er allerdings mit einem spektakulären Unfall am Tanzbrunnen: Eine junge Frau ist mit einem schweren Geländewagen gegen einen geparkten BMW gekracht, die Vorderreifen des SUV stehen auf dem Dach der Limousine. Verletzt wurde niemand. Mit Rasen oder Posen hat dieser Unfall gleichwohl nichts zu tun, die Fahrerin hatte laut Polizei 1,8 Promille Alkohol im Blut.
Nur wenige der üblichen Verdächtigen aus der Tuner-Szene sind heute Abend unterwegs. An den bekannten Hotspots – etwa der Rolshover Straße und der Alfred-Schütte-Allee in Poll, der Motorworld in Ossendorf oder eben am Tanzbrunnen – ist kaum Betrieb. Erst gegen Mitternacht füllt sich die Fahrbahn zwischen Tanzbrunnen und Hyatt-Hotel, um 0.30 Uhr ist sie schließlich so voll, dass es nur noch mit Schrittgeschwindigkeit vorwärts geht.
Die Fahrer, die die Polizei der Poser-, Raser- und illegalen Tunerszene zurechnet, sind fast ausschließlich Männer zwischen 18 und 25 Jahren, viele mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund und mindestens die Hälfte mit Wohnsitz im Kölner Umland. Manche teilen sich zu mehreren die Kosten für einen geleasten BMW oder Mercedes, das Auto geht dann an den Wochenenden reihum, weiß Jürgen Berg.
Köln: Zahl der Rennen und illegal getunter Autos steigt
Die Zahl der Alleinrennen und der illegalen Rennen mit Wettkampfcharakter in Köln hat im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Ein Alleinrennen kann zum Beispiel eine rasante Flucht vor der Polizei sein, bei der andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres zählte die Polizei 50 illegale Straßenrennen in der Stadt, im selben Zeitraum 2021 waren es 33. „Diejenigen, die an einem verbotenen Rennen teilnehmen, sind Straftäter“, sagt Berg. „Sie können nach einem Unfall, bei dem ein Mensch sein Leben verliert, wegen Mordes angeklagt werden.“
Im gesamten Vorjahr hat die Polizei 400 TÜV-Gutachten erstellen lassen, nachdem sie Fahrzeuge wegen offenkundig schwerer Mängel aus dem Verkehr gezogen hatte. In den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es bereits 150 Gutachten. Hauptkommissar Berg glaubt aber nicht, dass die Szene stärkeren Zulauf bekommen hat, sondern dass die Polizei schlicht stärker kontrolliert und zudem immer mehr Zeugenhinweise aus der Bevölkerung eingehen – denn auch die Bürger und Bürgerinnen seien sensibler geworden, was das Thema betrifft, sagt Berg.
Köln ist die einzige Polizeibehörde im Land, die sich seit einigen Jahren einen eigenen spezialisierten Einsatztrupp gegen Tuner, Raser und Poser leistet. Das scheint sich mittlerweile auch in der Szene herumgesprochen zu haben. Zwar stoßen die Ermittler bei ihren täglichen Kontrollen immer wieder auf verbotenerweise tiefergelegte Fahrwerke, auf Autos mit zu breiten Reifen oder manipulierten Auspuffanlagen. „Aber diese ganz billig getunten Autos, die gibt es in Köln nicht mehr“, sagt Berg. „Die würden hier auch nicht lange fahren.“
Tuner wollen sich oft Kosten für teure Sonderzulassung sparen
Gegen Tuning an sich sei nichts einzuwenden, betont der Hauptkommissar, aber die veränderten Bauteile müssen von offiziellen Prüfstellen abgenommen sein. Das kostet schon mal bis zu 100 Euro – Geld, das sich viele Männer, die bei den Kontrollen auffallen, offenbar gerne sparen. Oft wohl auch, weil sie ahnen, dass die Prüfer für die Selbstmontage billiger Nachbauten aus Asien – wie zum Beispiel einen Spoiler am Heck – ohnehin keine Zulassung erteilen würden.
Derweil haben die beiden Kumpels auf der Deutzer Brücke die Folien über den Scheinwerfern des 3er-BMW geduldig und ohne Murren entfernt. Sie dürfen weiterfahren. Um ein Verwarngeld von 50 Euro wird der Fahrer wohl trotzdem nicht herumkommen.