Die Polizei hat womöglich den Mord an Petra Nohl am Karnevalssonntag 1988 geklärt. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht die Tochter des Opfers.
Cold Case Petra NohlMutmaßlicher Mörder lebte 35 Jahre unauffällig in Köln
Natalie Koch (Name geändert) sitzt Dienstagvormittag zu Hause, sie arbeitet im Homeoffice, als die Mordkommission anruft. Er habe eine gute Nachricht, eröffnet Hauptkommissar Markus Weber das Gespräch. Man habe soeben einen Mann aus Köln-Bilderstöckchen verhaftet, der unter dem Verdacht stehe, 1988 Kochs Mutter ermordet zu haben. Bis zu diesem Morgen galt der Fall Petra Nohl als ungelöst, er war ein so genannter Cold Case.
„Ich konnte das erst gar nicht glauben“, sagt die 36-Jährige ein paar Stunden später im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sie sei noch immer „völlig durch den Wind“. Es sei eine Riesenerleichterung, dass der Täter - sofern er denn auch überführt wird - sein Geheimnis nicht mit ins Grab nehme. „Meine größte Angst ist aber, dass er am Ende nicht verurteilt wird. Dass er ungeschoren davon kommt.“
Petra Nohl wollte von der Disko „Chari Vari“ weiterziehen ins „Big Ben“
Vorerst jedoch sitzt der 56-Jährige in Untersuchungshaft. Er gilt als dringend tatverdächtig, am 14. Februar 1988 – also auf den Tag seiner Festnahme genau vor 35 Jahren – Petra Nohl ermordet zu haben. Sie war damals 24 Jahre alt, der mutmaßliche Täter 21 und Nohls Tochter Natalie 20 Monate.
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An Karnevalssonntag lag Petra Nohls Leiche hinter einem Imbisswagen auf der Albertusstraße. Am frühen Morgen hatte die alleinerziehende Mutter bis etwa 4 Uhr in der Diskothek „Chari Vari“ unter der damaligen „Schweizer Ladenstadt“ gefeiert, den heutigen Opernpassagen. Seit der Trennung von ihrem Mann lebte Nohl bei ihren Eltern.
Von einer Freundin lieh Petra Nohl sich noch 100 D-Mark, dann wollte sie aus dem „Chari Vari“ alleine weiterziehen ins „Big Ben“ am Hohenzollernring. Aber etwa auf der Hälfte der Strecke begegnete sie ihrem Mörder. Hinter einem Bierstand griff der Täter die 24-Jährige an, schlug und erwürgte sie schließlich. Er raubte ihre Handtasche, die Brieftasche, Bargeld und den Hausschlüssel. Auf ihrer Jacke hinterließ der Täter zwar seine DNA, aber die Polizei fand keinen Personentreffer in der Datenbank.
Fotos von damals zeigen bizarre Szenen: Stunden nach dem Verbrechen ziehen die Teilnehmer der Schull- und Veedelszöch in ihren Kostümen direkt am Tatort vorbei, während Polizisten in weißen Overalls hinter einem Gitter und Flatterband Spuren sichern. Zuschauer waren in dem Bereich nicht zugelassen. „Wir hatten die Stelle gesperrt. Das war eine Frage der Pietät. Die Leiche von Petra Nohl war erst kurz vor Beginn des Zugs weggebracht worden“, erinnert sich Volker Lange heute, der damals als Polizist zuständig war für diesen Abschnitt der Strecke.
Zeuge sah „Aktenzeichen XY“ und gab den entscheidenden Hinweis
In der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ wurde der Fall im Dezember 2022 als Cold Case präsentiert. Noch während die Sendung lief, meldete sich ein Anrufer im Studio, der angab, er habe Petra Nohl wenige Stunden vor der Tat noch im „Chari Vari“ gesehen und später noch einmal am Taxistand auf dem Opernplatz. Er habe da zusammen mit einem Freund auf ein Taxi gewartet. Weil keines kam, sei er zum Neumarkt gegangen, während Nohl und sein Freund zu Fuß Richtung Friesenplatz gelaufen seien.
Tags darauf habe er seinen Freund wiedergetroffen – der sei äußerlich verändert gewesen, hatte plötzlich eine andere Frisur. Und habe sich vehement geweigert, sich als Zeuge bei der Polizei zu melden, als in den Medien über den Mordfall berichtet wurde. Also habe man damals davon abgesehen.
Cold Case womöglich gelöst: DNA des Beschuldigten auf Jacke von Petra Nohl
35 Jahre schwieg der Zeuge. Der Beitrag bei „Aktenzeichen XY“ habe aber etwas in ihm ausgelöst, berichtete Mordermittler Markus Weber am Dienstag. Also habe der Mann der Polizei sein Wissen offenbart. Und tatsächlich: Die DNA des Beschuldigten stimmt laut Kölner Rechtsmedizin mit der auf Nohls Jacke überein.
Der Beschuldigte ist heute 56 Jahre alt und nicht vorbestraft. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und sein Leben in Köln verbracht. „Was mich fassungslos macht, ist, dass der Mann all die Jahre hier gewohnt hat“, sagt Petra Nohls Tochter Natalie – vorausgesetzt, der Verdächtige ist auch der Schuldige. „Ich habe immer gedacht, es war jemand von außerhalb, der nur für Karneval nach Köln gekommen war.“
Natalie Koch fragt sich: „Wie kann ein Mensch nur so etwas mit sich vereinbaren? Er muss doch immer wieder an der Stelle vorbeigekommen sein, an der er sich dann immer wieder erinnert, was er da getan hat.“ Den Beitrag über ihre Mutter in der XY-Sendung habe sie auch gesehen – es sei ihr sehr schwer gefallen. „Aber es ist erleichternd zu sehen, dass diese Sendung doch etwas bringt.“
Ob der Verdächtige auch verurteilt wird, ist unklar. Der Haftbefehl lautet auf Raubmord, und Mord verjährt nicht. Das Mordmerkmal sei Habgier, begründet Oberstaatsanwalt Bastian Blaut. Sollte sich die Tat dagegen als Totschlag erweisen, wäre dieser seit mindestens fünf Jahren verjährt. Ein überführter Täter käme dann vor Gericht straffrei davon.