In unserer Serie „Momentaufnahme“ halten sich Fotografin Martina Goyert und Autor Uli Kreikebaum 90 Minuten lang an einem Ort in in Köln auf.
Auf dem Breslauer Platz haben sie Fakih, Bitar und Hijaze getroffen. Sie sind nun arbeitslos. Der Grund: Corona.
Während Michael vergeblich auf Kundschaft wartet, genießen Peter und Volker die neue Ruhe. Und die Sonne.
Eines haben alle Passanten gemeinsam: Es bewegt sie aktuell nur ein Thema – auf die eine oder andere Art. Nur bei zwei Stammplätzen des Platzes ist das anders.
Köln – 15.50 Uhr Es riecht ein bisschen nach Sommer auf dem Breslauer Platz: Pommes, Würstchen und Zigarettenrauch, Nichtstun und ganz viel Zeit.
Ein junges Paar sitzt auf einer Bank vor einem Café, sie hat den Kopf an seine Schulter gelehnt, ihr Blick geht zu zwei balzenden Tauben: Das Männchen stakst mit wippendem Hals dem Weibchen hinterher, der Kopf der jungen Frau bleibt in der Schulterbeuge des Freundes geborgen, sie sind zusammen, nichts kann sie aus der Ruhe bringen. Drei Polizisten schlendern über den Platz, auch die Mitarbeiterinnen des KVB-Service-Teams haben keine Eile. Eine Blondgelockte sagt zu ihrer brünetten Kollegin: „Was meinst Du, was passieren würde, wenn ich jetzt hier völlig hysterisch schreien würde?“ Sie kichern.
16.03 Uhr Sie trügt wohl, die Ruhe in Zeiten der Unruhe. Ein paar Meter weiter arbeiten Ärzte und Pfleger rund um die Uhr, horten Menschen in der Erwartung einer Apokalypse Klopapier, Mehl und Nudeln, keifen sich Fremde in Supermärkten und Familien in Wohnzimmern an. Tut gut, Menschen zu sehen, die in der Sonne sitzen und lachen, eine Hotel-Managerin, die freudig ihre Hand entgegenstreckt und sie in der nächsten Sekunde entschuldigend zurückzieht, einen Skater, der sich über einen gelungenen Trick freut.
16.11 Uhr Peter und Volker haben Freunde zum Bahnhof gebracht, jetzt hocken sie auf einer Stufe vor dem Container der Bundespolizei in der Sonne. „Es ist sehr still geworden in der Stadt, wie tot“, sagt Peter, „ich finde das sehr entspannend.“ Peter ist Astrologe, „eigentlich müsste ich in Zeiten wie diesen viel zu tun haben, aber es melden sich eher wenig Leute“, sagt er. Die Zeit nutze er, um sich (auch mental) von seinem alten Kirschholzvitrinenschrank zu trennen. „Ich mag den Schrank sehr, ich hänge an ihm, aber vielleicht ist es eine gute Zeit, um Ballast abzuwerfen.“ „Kannst du ja gegen Klopapier oder Mehl tauschen“, feixt Volker. „Bleib mir weg mit Mehl, ich backe nie und werde nie backen“, sagt Peter. „Ich hoffe, dass die Welt etwas lernt aus dieser Krise.“ Und, glaubt er daran? „Ich bin mir nicht sicher.“
16.32 Uhr Zu den wenigen Gewissheiten gehört, dass einige Menschen momentan überhaupt keine Zeit und viele Menschen viel Zeit haben. Fakih zieht seine fristlose Kündigung aus der Brusttasche – Grund: Corona, steht in fetten Lettern über der förmlichen Anrede. Mit seinen Kumpels Bitar und Hijaze, ebenfalls frisch entlassen, steht Fakih auf dem Platz und raucht. Ihre Arbeitsplätze bei einem Reinigungsunternehmen, das vor allem für Hotels gearbeitet hat, sind vorläufig futsch. „Wenigstens das Wetter ist gut“, sagt Fakih, „stellen Sie sich vor, jeder müsste jetzt 24 Stunden zu Hause sein, was dann los wäre? Möchte ich nicht dran denken.“
16.42 Uhr Auf einem Balkon des Wyndham-Hotels steht ein junger Mann mit nacktem Oberkörper und macht ein Selfie. Ein Mädchen isst an der Hand ihrer Mutter ein Eis am Stiel, die Mutter trägt ein Kleid ohne Strumpfhose, ihre Beine sind weiß wie die Hoffnung. Schwarz ist die martialische Maske eines Radfahrers, der auf die Alkis auf den Metallbänken zusteuert.
16.48 Uhr Lena und Miriam waren einkaufen. Jetzt sitzen sie vor dem Backwerk, essen Crunchmüsli mit getrocknetem Obst, trinken Eistee und reden. „Es ist fast nichts los in den Geschäften, das ist sehr angenehm“, findet Lena, die normalerweise als Schulbegleiterin arbeitet, und zieht eine CD aus der Tasche, das neue Album von Twice, K-Pop (steht für Korean Popular Music). Dazu passt nicht die Beobachtung, dass es vornehmlich Asiaten sind, die am Bahnhof Atemschutzmasken tragen, eher schon passt die unauffällige Gefälligkeit der Twice-Musik zur Unaufgeregtheit der Menschen auf dem Platz.
17.05 Uhr Auf seiner Rischka kommt Michael des Wegs, „Michael on the cycle, der älteste Rikscha-Fahrer der Stadt, Michael George, nicht George Michael, aus Irland“, stellt der 72-Jährige sich vor. „Die Stadt ist leer, keine Touristen mehr, ich hatte heute erst eine Fahrt“, sagt er. „Aber ich habe keinen Stress, bekomme Rente.“ Die Leute blieben auf Distanz, „wir grüßen jetzt mit Corona-Kick“, sagt Michael, und streckt seinen Fuß entgegen. Beliebt auch der Hüft-Kick, den zwei Mädels vor dem U-Bahn-Eingang praktizieren, verwandt mit dem Stippeföttche (Hinternreiben im Karneval).
17.12 Uhr Der Verkäufer am Currywurststand sagt, die Umsätze seien um 80 bis 90 Prozent zurückgegangen, im Presseladen sind es der Verkäuferin zufolge lediglich 50 Prozent. An den Eingangstüren werden die Kunden gebeten, Abstand zu halten. „Ich habe keine Sorge, angesteckt zu werden, am Bahnhof hat sich so viel ich weiß bislang noch keiner infiziert“, sagt die Verkäuferin und bedient eine Frau mit Atemschutzmaske, die ihre Maske draußen abnimmt.
17.20 Uhr „Ich trage nur in geschlossenen Räumen eine Maske, keine Ahnung, ob das was bringt“, sagt Erika Standke. Nach einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt vergangenen Mittwoch habe sie Fieber und Schüttelfrost bekommen, erzählt sie. Sie habe beim Hausarzt angerufen, der ausrichten ließ, dass sie nicht in die Praxis kommen müsse, um sich krank schreiben zu lassen. Nur die Karte, die habe sie als gesetzlich Versicherte vorbeibringen müssen. „Getestet wurde ich nicht. Ich weiß also nicht, ob ich Corona habe“, sagt sie und läuft in Richtung Regionalbahn ins Bergische, die sie an diesem Nachmittag fast für sich allein hat.