Köln – Ja sicher, schreibt mein neuer Kumpel mit dem Nickname „Corona21“. Natürlich könne ich ihm vertrauen. Sein Argument: „Bisher konnte das noch jeder, kein Problem.“ Na dann, ich hatte schon Bedenken. Im Chat beim Messenger-Dienst Telegram, auf der Suche nach einem gefälschten Impfpass, bin ich auf den User Corona21 gestoßen. Und nach kurzem Hin-Und-Her-Geschreibe hat der mir ein gefälschtes Dokument angeboten. „Für 100 Euro“, und leider sei „momentan nur bitcoin möglich“. Alle anderen Bezahlmöglichkeiten seien derzeit ausgeschlossen, weil er so schlimm reingelegt wurde. „PayPal und Überweisung geht seit Mittwoch nicht mehr, ein angeblicher Interessent hat uns verpfiffen, seither sind alle Konten gesperrt.“
Blanko-Impfpässe für ein paar Euro
Das gefälschte gelbe Heft als Eintrittskarte für Kinos, Kneipe oder den Frisör: Nachdem Betrüger zunächst mit untauglichen Schutzmasken oder Schwindel bei der Corona-Soforthilfe Geld ergaunern wollten, nimmt angesichts der geplanten Lockerungen für Geimpfte der illegale Handel mit fingierten Impfpässen Fahrt auf. Zudem kursieren in Impfgegner-Gruppen auch Anleitungen zum Selberfälschen.
Denn Blanko-Pässe gibt es für wenige Euro legal im Internet zu kaufen. Und auch die Etiketten der Impfstoffhersteller lassen sich leicht nachmachen. Für Betreiber von Geschäften, die Geimpfte künftig auch ohne negatives Testergebnis betreten dürfen, sind gefälschte Impfnachweise daher wohl kaum von echten zu unterscheiden.
Neun Ermittlungen der Kölner Polizei
Ende April warnte das Landeskriminalamt Niedersachsen vor der neuen Masche: Den Angaben zufolge boten Kriminelle aus der Region Hildesheim via Messenger-Dienst Telegram einige Originalimpfpapiere inklusive Stempel, Sticker und Unterschrift eines Arztes an. Die Kosten lagen zwischen 99 und 250 Euro. In Berlin gab es schon die ersten Ermittlungserfolge. Die Polizei bahnte Scheinkäufe an, vier Verdächtige konnten verhaftet werden.
Und vor zehn Tagen hat die Kölner Kripo die „Ermittlungsgruppe Stempel“ eingerichtet, in der derartige Straftaten zentral bearbeitet werden. Derzeit gebe es neun Verfahren, sagt die Kommissionsleiterin Nicole Gentner. „Wir gehen davon aus, dass es bis zur Einführung eines digitalen Impfpasses und im Zuge der angekündigten Lockerungen noch deutlich mehr Delikte werden.“
Gefälschtes Dokument soll mit Bitcoin bezahlt werden
Die von ihm angebotenen Fälschungen seien so gut, dass damit auch der digitale Impfpass beantragt werden könne, der im Juni an den Start gehen soll, behauptet Corona21 im Telegram-Chat. Er sei auch nicht geimpft: „Seit 30 Jahren nicht mehr.“ Auf die Idee mit den gefälschten Papieren sei er bei einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung gekommen. Und klar, auch eine Kölner Version des Dokumentes sei im Angebot. „Köln haben wir von Haus aus dabei“, schreibt Corona21. Aber nochmal zu was Wichtigerem: Wie ich denn jetzt bezahlen wolle?
Na ja, für die direkte Überweisung von Bitcoins sei ich schlichtweg zu blöd, gestehe ich: „Habe ich noch nie gemacht. Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?“ Es gibt, wird mir versichert. „Du kannst auf www.cryptovoucher.io so einen Gutschein kaufen. Den Gutschein-Code, den du dort bekommst, schickst du dann mir. Schon ist alles bezahlt und ich kann dir deinen Pass schicken.“
Homepage ist im Indischen Ozean beheimatet
Ein Angebot wie auf Croyptovoucher ist nichts Ungewöhnliches, ergeben meine Recherchen. Die Homepage bietet unter anderem die Möglichkeit, Euros gegen Bitcoins zu tauschen. Die länderspezifische Endung „.io“ ist da schon etwas spezieller. Sie steht für das Britische Territorium im Indischen Ozean. Eine Gruppe aus 58 meist unbewohnte Inseln etwa 1750 Kilometer südlich von Indien.
„Dahin also soll mein Geld gehen“, berichte ich Oliver van Bebber, Kriminalhauptkommissar bei der Kölner Polizei. Die habe ich nach meinem ersten Chat mit Corona21 informiert und auf dem Laufenden gehalten. Auch über das Angebot eines anderen Betrügers, der mich im Telegram-Chat auf eine weitere Bezahlmöglichkeit hingewiesen hat. Ich könne im Supermarkt Gutscheine kaufen, „z.b. von Amazon, Netflix, STEAM oder Ikea“. Und: „Je nachdem steht dort ein Code oder man muss erst ein Kästchen freirubbeln. Du machst mir von den Karten und der Rechnung jeweils ein Foto.“
„Kölner Stadt-Anzeiger“ gibt Informationen an die Polizei weiter
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat einige Gutscheine gekauft, die Code-Nummern übermittelt und die Kölner Polizei informiert, die seitdem ermittelt. Der versprochene Impfpass kam nie an. Die Gutscheine hat der Fälscher vermutlich auf der Plattform www.paxful.com in Bitcoin umgetauscht. Könnte er darüber ausfindig gemacht werden? „Schwierig“, sagt der Kölner Kripo-Mann van Bebber. „Wenn wir bei derartigen Unternehmen anfragen, bekommen wir oft zeitverzögert Antwort.“ Auch der Geldtransfer mit Bitcoins sei meist schwwer nachzuvollziehen. „Die Vorgänge sind extrem verschlüsselt. Und die Accounts, auf die das Geld letztlich geht, können unter einem falschen Namen angelegt werden.“
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Die Sache mit den Gutscheinen biete er sowieso nicht an, schreibt Corona21: „Zu viel Verlust, habe 700 Euro verloren. Gebühren und Abzocke.“ Oh ja, antworte ich. „Abzocke im Internet ist extrem.“ Er aber sei zuverlässig, verspricht Corona21. Den Pass schicke er mir „als DHL-Paket mit Sendungsnummer“. Treffen wäre mir aber lieber, antworte ich. „Wäre zu gefährlich, man weiß nie. Aber selbst wenn, bin gerade an einem Ort der 900km von Köln entfernt ist“, behauptet Corona21.
NRW-Justizminister will Gesetzeslücke schließen
Während „normalen“ Urkundenfälschern eine Geld- oder Haftstrafe von bis zu fünf Jahren droht, sieht das Strafgesetzbuch bei Kriminellen, die fingierte Impf- oder Gesundheitsdokumente anbieten, nur bis zu einem Jahr Gefängnis vor. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) will diese Lücke im Gesetz jetzt schließen. Die bestehende Regelung werde „der hohen kriminellen Energie, die dahintersteckt, nicht gerecht“, sagte der CDU-Politiker auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Beim Justizministertreffen im Juni wolle er deshalb vorschlagen, dass der Bund einen Gesetzentwurf erarbeitet, um den „Privilegierten-Passus“ aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Biesenbach: „Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Täter mit dem Fälschen dieser Dokumente und damit Umgehung der Infektionsschutzmaßnahmen die Gefährdung der Gesundheit einer unbestimmten Anzahl von Menschen in Kauf nehmen.“