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Die SpezialistenEine Ärztin für die Lieblingspuppe

Lesezeit 3 Minuten

In Joyce Merlets Puppenklinik werden die Patienten teils von weit her eingeliefert.

Köln – Von allen Kliniken in Köln ist diese die einzige, die noch nie von einem Krankenwagen angesteuert wurde. Dabei leisten die bei Joyce Merlet tätigen Operateure in den Augen vieler Kinder wohl wichtigere Arbeit als der Onkel Doktor im weißen Kittel, der gern mit dem Holzstäbchen herumfuchtelt und befiehlt „aaahh“ zu sagen. Erwachsene betrachten die Puppenklinik mitunter als letzte Maßnahme, um das herzzerreißende Weinen zu stoppen, das in dem Moment einsetzte, als der Teddy sich den Arm auskugelte.

Nicht nur Mädchen wissen, wie sehr es schmerzt, wenn die Lieblingspuppe verletzt wurde. „Nein, nein, wir haben nicht nur weibliche Kunden“, betont Joyce Merlet mit ihrem leichten französischen Akzent. „Die pingeligen von unseren Sammlern, das sind die Männer“, erklärt die Klinikchefin, derweil sie ihre Besucher durch einen schmalen Gang zu vier oder fünf übereinander gestapelten Kunststoffboxen in Koffergröße führt, in denen die Neuzugänge liegen: Elegant gekleidete, teilweise über einhundert Jahre alte Puppen.

Joyce Merlet spricht hervorragend deutsch, aber das Wort „nein“ kommt ihr nur schwer über die Lippen, wenn ihr ein in die Jahre gekommenes Puppenkind angeboten wird. Längst ist die Kölner Puppenklinik nicht nur ein Restaurations- und Werkstattbetrieb, sondern auch ein Museum, das Besucher kostenlos durchstreifen können.

Einige kommen von weit her, wie etwa die Besitzerin des kleinen Hampelmanns Buratino, bei dem ein Beinchen erbärmlich in der Luft baumelt. In der Puppenklinik wird diese Anfang der 1960er Jahre in Moskau erworbene russische Version des Pinocchio wieder vollständig kuriert werden. Joyce Merlet liebt die Figur des Buratino, was allerdings nicht viel heißt. Im Grunde liebt sie alle ihre Schützlinge: ob zweibeinig, porzellanhäutig, zottelig, dickpfotig oder filigran und zart besaitet.

Die 68-Jährige stammt gebürtig aus Bordeaux, wuchs in Nizza auf und absolvierte nach der Schule eine Ausbildung als Masken- und Bühnenbildnerin. In den darauffolgenden Jahren wurde sie von einer französischen Agentur quer durch Europa geschickt. Wenn an einem Theater vorübergehend eine Maskenbildnerin fehlte, sprang Merlet ein. Ein Besuch bei einer Freundin in Köln brachte die entscheidende Veränderung im Leben der Französin. Sie, die das Herumreisen und das Leben aus dem Koffer ohnehin leid war, beschloss hier zu bleiben. Als auf der Ehrenstraße das Ladenlokal einer Zoohandlung frei wurde, machte sich Merlet dort mit Geschenkartikeln selbstständig und dekorierte die Schaufenster mit Modellmöbeln und Puppen, die sie seit ihrer Kindheit besaß. Obwohl gar nicht zum Verkauf gedacht, war das Interesse groß, und immer wieder tauchte die Frage auf, wo man altes Spielzeug restaurieren lassen könne.

Joyce Merlet erkannte die Marktlücke, klapperte Maler- und andere Handwerksbetriebe ab, ließ sich Tipps geben und übte nachts an renovierungsbedürftigen Puppen, die Antiquitätenhändler ihr überlassen hatten. „So lange man noch etwas sieht, ist es nicht gut“, lautete ihr Credo damals. Wie viele Puppen, Tiere oder Komikfiguren sie im Laufe der 33,5 Jahre auf der Ehrenstraße und danach in ihrer neuen Klinik in Rathausnähe perfekt wiederhergestellt hat, lässt sich unmöglich beziffern; wahrscheinlich genauso wenig wie die Zahl der Menschen, die sie durch ihre Arbeit glücklich gemacht hat.